Noch einmal zum Nicht-Denken, Brad Warner und Dôgen

"Da ich das Kloster nun ganz für mich allein hatte, beschäftigte ich mich mit dem bemitleidenswertesten aller heimlichen Vergnügen eines Mönchs: Ich googelte spirituelle Lehrer aus allen Traditionen auf YouTube und wies sie dann hochmütig zurecht. Meistens deshalb, weil sie etwas nicht genau auf die Art und Weise ausdrückten, wie ich es getan hätte; vorausgesetzt, ich hätte den Mut und das Mitgefühl aufgebracht, die jemand braucht, um überhaupt ein Filmchen von sich zu drehen und so seine spirituelle Lehre zu verbreiten."
(Shozan Jack Haubner: Zen Berserker. Aurum/Kamphausen 2014)
***
Ich gehe nun auf einen Kommentar von "Reiko" ein, der mich zum Beitrag vom 1. Februar erreichte, weil er die gute Gelegenheit bietet, das Problem aufzuzeigen, das ich in der heute gängigen Verengung des Zen unter Rückgriff auf Dôgen sehe. Hier ist er nochmal: 
"In meinem Verständnis ist der Gedanke des Nicht-Denkens nichts anderes, als einen Gedanken als Gedanken zu erkennen. Die damit einhergehende Differenzierung des Gedankens als Gedanke (Niklas Luhmann hat das sehr schön beschrieben) ist bereits der "Nicht-Gedanke".
Der Fehler liegt eher darin, nach dem Erkennen eines Gedankens ein Kommentar abzugeben und diesen dann mit dem Nicht-Gedanken zu verwechseln, also das was du mit "Schulter zurück" benennst.
Darüber schreibt Brad Warner aber nicht. Vielmehr benennt er in einem anderen Beitrag (Link)
genau das als Fehler beim Meditieren. Das Zurückkehren zur Haltung passiert von selbst in dem Moment, indem der Gedanke als Gedanke erkannt wird.
Da das ganze eben nur als Ping-Pong funktioniert, man also nur "Nicht-Denken" kann, wenn man vorher gedacht hat, bzw. nur loslassen, wenn man ergriffen hat wurde einfach diese praktische Übungs-Haltung erfunden, da man für das Realisieren der Wirklichkeit zwei Schläger braucht, nämlich einmal Form und einmal Leere und das ist nichts anderes als Denken des Nicht-Denkens und das geht dann immer hin und her, bzw. fließt halt ständig."

Zum einen kennt das Zen, schon von Chih-i beeinflusst und im Chan aufgegriffen, "Nicht-Denken" als tatsächliche Abwesenheit jeglichen Gedankens. Wer dies nicht glaubt (etwa aufgrund einer neurologischen Unmöglichkeit eines solchen Zustandes), der soll sich fragen, ob er nicht schon selbst Zustände erlebt hat, die er genauso beschreiben würde: "Ich habe an nichts gedacht, mein Kopf war leer, ich habe nur Löcher in die Luft gestarrt" usw. Es gab also schon früh offensichtlich eine Übungsmethode, bei der es tatsächlich darum ging, gar keine Gedanken mehr zu hegen. ich verbürge mich dafür, dass es möglich ist, diesen Zustand als solchen - unabhängig von seiner wissenschaftlich korrekten Existenz - zu erleben.
Ein weiteres Verständnis von "Nicht-Denken" sieht, wie von Reiko beschrieben, das Unterbrechen gewöhnlichen Denkens als wesentliche Übung an, also die üblichen Gedankenketten, die aufeinander aufbauen und mit Wertungen und Gefühlen verbunden sind. Im Wesentlichen ist das eine Achtsamkeitsübung, bei der mir klar ist, dass ich Gedanken habe, und in deren Fortschreiten sich in dieser Klarheit die üblichen Gedankenketten aufheben lassen.
Der Link zu einem weiteren Artikel von Warner zu diesem Thema hat jedoch meine Ansicht verstärkt, dass Warners Verständnis des Sitzens einem Gedanken folgt, der eben einer jener üblichen Gedankenketten entsprungen ist, in diesem Falle einem Dogma, nämlich dem des rechten Sitzens, einer rechten Haltung. Warner stellt zunächst klar, dass es Dôgen nicht darum geht, dass wir nichts denken sollten, sondern dass wir beim Zazen nicht gewollt Dinge erwägen sollten ("delibarately pondering stuff"). Dann jedoch bringt Warner ausgerechnet das Beispiel eines zitierten Mantras, mit dem Übende ihren Gedankenfluss unterbinden, als minderwertig an, da die Gewohnheit des zwanghaften Denkens damit nur kaschiert würde. Zazen sei da radikaler, da mit jedem zerstreuten Gedanken die Körperhaltung sich ändere. Also solle man, so man dies bemerkt, seine Körperhaltung wieder korrigieren, denn garantiert fände man einen Fehler in seiner Haltung. 
Mit anderen Worten, Warner setzt als Prämisse zwei Dinge voraus, die jeder Zazen-Übende selbst schon bald als falsch erfahren wird. Zum einen die Behauptung, dass es eine richtige Haltung gäbe. Tatsächlich ist eine lange Zeit eingenommene Haltung irgendwann unbequem, ganz egal, welche es ist, und man ändert sie normalerweise dann - es sei denn, irgendeine Regel soll dies verhindern. Dies gilt auch für die Zazen-Haltung. Zum anderen wird man, sobald man diese korrekte Haltung erlernt hat, schon recht früh feststellen, dass es möglich ist, völlig bewegungslos den wirrsten Unsinn zu denken. Genau darum verzapfen ja auch langjährige Zazen-Praktizierende immer wieder solchen, ich möchte wetten, dass der nicht nur dann entsteht, wenn sie nicht sitzen.
Entscheidend ist hier also, dass Warner einen Gedanken empfieht, der sich eben nicht von selbst einstellt, nämlich den Verweis auf die korrekte Haltung, um den unerwünschten, anhaftenden Gedankenfluss zu beheben. Genau das war es, was ich im letzten Blogbeitrag kritisierte. Denn der Gedanke, den Warner dazu braucht, ist ein wertender, er ist "gewolltem Dinge erwägen" entsprungen, nämlich der Frage, wie man denn wohl am besten zu meditieren habe, und er bedeutet genau das, was Brad kritisiert: "judging stuff". Ich glaube, hier lässt sich deutlich zeigen, warum Zazen darum nur upaya, ein geschicktes Mittel, sein kann, und inwiefern es sogar ein bisschen ungeschickt ist. Die Folge einer solchen Denkweise dürfte dann zwangsläufig sein, dass die Integration der eigentlichen Geistesübung des Zen, also eben jenes Nicht-Denkens (ob nun sogar mit der Fähigkeit völliger, momentweiser Gedankenlosigkeit oder einfach des jederzeit verfügbaren Loslassenkönnens von Gedankenketten - etwa des sich Hineinsteigerns in Hass usf.) in den Alltag nicht optimal gelingen wird, da ja der Reflex - und insofern ähnelt er einem Mantra - dahin geht, bei Gedankenzerstreuung immer wieder auf eine Körperhaltung zurückzugreifen - statt sich ganz auf den Geist zu konzentrieren, egal, wie es gerade um den Körper bestellt ist. 
Solche Diskussionen habe ich oft geführt, und wenn ich zuletzt davon schrieb, dass man Dôgen nüchtern darstellen sollte, dann nehme ich ihn doch in Schutz vor seiner Vereinnahmung hunderte Jahre nach seinem Tod, die in bestimmten Darstellungen der Soto-Schule mündete, wie sie auch heute das Verständnis bestimmen. Dôgen kannte offensichtlich hishiryô (auch wenn es in der von ihm signierten Fassung des Fukanzazengi fehlt) und ich weiß wohl, wie es auch von Deshimaru gelehrt wurde, als Denken jenseits des konventionellen Denkens, also vergleichbar dem, was Warner sagte. In einigen von Dôgens Gedichten (und Textstellen seiner Hauptschriften) scheint mir jedoch ein Verständnis jenes frühen Chan des Nicht-Denkens durchzuschimmern. Wenn Dôgen nicht durch seine Nachkommen korrumpiert wurde und nicht, wie schon vermutet wurde, durch spätere Geistesschwäche in seiner Lehre verhärtete, dann kommt es mir am wahrscheinlichsten vor, dass er eine tiefe originäre Zen-Erfahrung machte, diese aber nicht adäquat in die chinesische Tradition einzubinden wusste (mit der er letztlich nicht vertraut genug war) und deshalb seine eigenen Ausdrücke (wie shinjin datsuraku) erfand, um dem Ganzen beizukommen. Dôgen hat wesentliche Züge des Chan nicht begriffen oder abgelehnt, etwa die von mir beschriebene Übungsmethode des Geistes, wie sie schon Huineng zugeschrieben wurde, und die Unabhängigkeit von Ritualen, wie sie schon lange vor seiner Zeit überliefert und in Laien wie Vimalakirti versinnbildlicht war. Wir müssen aber nicht erst denken, um Nicht-Denken zu erfahren, sondern Nicht-Denken war unser Ursprung. Wir kehren also zu dem zurück, was vor dem Denken war. Es genügt nicht - und es hat auch Dôgen m.E. nicht genügt -, einen Gedanken nur als Gedanken zu erkennen.
Natürlich kann man auch das als bloß behelfsmäßige Rhetorik ansehen.

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