Wenn Gelehrte zu Unsinn keine entsprechende Position finden

Vor vielen Jahren habe ich mal freiwillig ein paar Lektionen für das Berzin-Archiv transkribiert. Das heißt, es wurde mir bald so langweilig dabei, dass ich sie an Praktikantinnen delegierte - schließlich hatte ich ein Versprechen gegeben, dies und das zu erledigen. Das Problem bestand darin, dass die Vorträge zu kopflastig waren, es ihnen m. E. zuweilen auch an Struktur fehlte. Nun wurde ich in einem Forum jedoch auf einen Beitrag hingewiesen, der zwar gut verständlich ist, aber inhaltlich so fragwürdig, dass ich im Nachhinein meine Mitarbeit an dem Archiv bedaure. Es geht um einen historischen Aufriss der Sexualethik, vornehmlich im tibetischen Buddhismus. Das eine Problem, der Irrtum von Leuten wie Gampopa u.a., ist nicht weiter verwunderlich. Das andere jedoch, die Position von Berzin zu den Texten, die entweder erschreckend ist (wie sich in seiner Rhetorik zeigt) oder aber weitgehend fehlt, ist ein echtes Manko. Denn wenn man auf diese Art alte Texte wiedergibt, ohne sie zu kritisieren, läge auch ohne gelegentliche persönliche Einsprengsel der Verdacht nahe, dass der Autor deren Inhalt unterschreibt. Worum geht es?
   1) Berzin macht Prämissen, die für Buddhisten allgemein nicht (mehr) gültig sind, er setzt z.B. Wiedergeburt voraus, die er als "samsarisch" bezeichnet.   2) Berzin verwendet auch Begriffe, die wir oft von populären Lehrern dieser Tradition hören, wie "Glücklich-" oder "Unglücklichsein", die jedoch durch ihren Dualismus kaum dazu beitragen, ein tieferes Verständnis des Dharma zu erlangen.   3) Berzin meint, der entscheidende Punkt sei eine "unterscheidende Achtsamkeit", womit er sich, wie ich hier schon öfter andeutete, in die Reihe derer begibt, die Anfängerbuddhismus für Anfänger lehren, und zwar im schlechten Sinne. Diese Art von Lehre geschieht von einem Standpunkt, wo zuallererst der überlieferte Wortlaut von Bedeutung ist und entsprechend Regelwerke und Dogmen hochzuhalten seien. Der fortgeschrittene Standpunkt hingegen ist der von Dazhu Huihai (gest. 788), für den das Unvermögen, die völlige Losgelöstheit von allen Regeln und Vorschriften zu erlangen, karmische Verstrickungen auslöst. Also: Nur wer mit Weisheit lehrt (und diese mit Unterscheidungskraft verbindet), hat dieses Anfängerstadium hinter sich gelassen und kann andere zur Befreiung führen. Wer dies nicht tut, ist nicht erwacht und kann folglich auch nichts Wesentliches lehren. (Ich weiß, auch dies ist eine Prämisse ...)   4) Berzin flicht dann rhetorische Tricks ein: "Wenn wir das selbst untersuchen", kämen wir zu den gleichen Schlüssen, etwa dem, dass nach dem Orgasmus sich ein Gefühl von Ärger einstellt. Aber das tun wir nicht, oder?    5) Um die schlimmsten Ratschläge von Gampopa und Konsorten zusammenzufassen (denn Berzin dehnt die üblichen Regeln für Laien detailreich über die Mönchsgemeinde hinaus aus und begründet dies): Nur vaginaler Sex sei okay; Masturbation sei verwerflich; Sado-Maso ist abzulehnen, da man einen anderen nicht schlagen dürfe (ist das alles, was Berzin darüber weiß?); Homosexuellen bliebe wohl nichts, da der Anus, der Mund, die Schenkel etc. nicht in Frage kämen (hier warf ich scherzhaft den Staubsauger als Alternative ein - wir kennen ja die Horrorgeschichten aus Notaufnahmen -, da man den damals - uff! - ja noch nicht kannte ...). 
Dieser ganze Vortrag ist also ein weiterer Schlag ins Gesicht der LGBT-Bewegung, aber mehr noch, ins Gesicht beinahe aller Buddhisten. Da sich z.B. die meisten selbstbefriedigen, die Mehrheit wohl auch von den Vorteilen des Oralverkehrs weiß und Urologen bei vergrößerter Prostatata sogar deren direkte Stimulation vorschlagen (womit die alten Weisen also medizinisch gesprochen als Idioten entlarvt wären). 
Der Hinweis am Anfang, ea handle sich hierbei ja nicht um ein fixes Regelwerk, sondern eben um jene achtsame Unterscheidung dessen, was hilfreich oder schädlich sei, ist also hier nur Täuschung. Denn tatsächlich kann es schaden, den Ratschlägen und Ermahnungen der Alten zu folgen. Berzin unterstellt jedoch, man könne Leiden vermeiden, wo tatsächlich Leiden erzeugt wird. Nicht zuletzt durch die (von diesen wohl so empfundene) Ausgrenzung derer, die Sex anders praktizieren als jene reaktionären Heuchler. Dahinter steckt natürlich auch wieder das unausgegorene Verständnis von Leiden. Berzin sieht nicht, dass es eine Art von Leiden gibt, die erst durch das Befolgen solchen Irrsinns erzeugt wird, weil er nur die selbstreferentielle Leidensdefinition seiner Schule zulässt. Dabei wurde auch von mir schon aufgezeigt, dass der Dharma gar nicht lehrt, dass jedes Leiden überwindbar sei, weshalb es auch widersinnig ist, alle menschlichen Tätigkeiten unter diesem Aspekt zu bewerten.
Als Zen-Buddhist sehe ich den Fehler vor allem in der Betrachtung eines Vorgangs wie der sexuellen Erregung mit entsprechenden Gedanken- und Gefühlsketten bis hin zum Orgasmus als einem "leidhaften", der tatsächlich meist als das Gegenteil erfahren wird (er ist lediglich "vergänglich" und "leer"). Ein Orgasmus kann durchaus einem kleinen kenshô ähneln, wenn wertfrei und gedankenlos nur das ist, was da geschieht. Auch nach dem Erwachen können sich wieder ganz andere Zustände einstellen, weshalb man es nicht rückwirkend abwerten muss. Wie oft kann man im Alltag noch so wie beim Orgamus "Loslassen" durchleben, wenn man ihn einfach als - um dieses Klischee wieder zu bemühen - reine Gegenwart erlebt? 
Tut mir leid für Ashavagosha, Gampopa und die anderen (ich weiß, sie haben ja dann im Vajrayana Auswege gefunden, um doch noch ihren Gelüsten frönen zu können ...). Ich denke, wir sind da, um diese Fehler auszubügeln.


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