Im Gegensatz zu letzter Woche entsprach die Wahl zum „Film der Woche“ diesmal den Erwartungen. Lubitschs Komödienklassiker stellte alle anderen Streifen erwartungsgemäss in den Schatten, inklusive des bombastisch trickreichen, teuren Weltraum-Krachers Valerian.
FILM DER WOCHE
(dt.: Ninotschka)
USA 1939
Mit Greta Garbo, Melvyn Douglas, Ina Balin, Sig Ruman, Felix Bressart, Alexander Granach, Bela Lugosi u.a.
Drehbuch: Billy Wilder, Charles Brackett und Walter Reisch, nach einer Idee von Melchior Lengyel
Regie: Ernst Lubitsch
Musik: Werner R. Heymann
Der Film kam bei uns erst 1948 in die Kinos.
Der eiserne Vorhang ist gefallen, die Berliner Mauer eingerissen, der Sozialismus existiert nicht mehr real, sondern nur noch in den Köpfen und Wunschvorstellungen der Linken. Und gerade deshalb ist Ninotchka noch heute genauso amüsant wie damals, weil er u.a. den Sozialismus frech ad absurdum führt. Dank Billy Wilders Drehbuch – letzterer sollte das Aufeinandertreffen von Sozialismus und Kapitalismus später als Regisseur nochmals genauso scharfzüngig aufgreifen (One, Two, Three, USA 1961) – wird uns die Demontage einer Ideologie genüsslich, mit perlenden Dialogen und viel Situationskomik gespickt vor Augen geführt. Und die Demontage überzeugt: Sie entlarvt den Kommunismus mit einer einfachen Prämisse als theoretischen, ideologisch motivierten Überbau, der nicht funktionieren kann, weil der Faktor Mensch darin schlichtweg nicht eingeplant wurde.
Das Grundkonzept des Ideengebers Melchior Lengyel ist simpel, aber wirkungsvoll: Lass eine Vertreterin des Kommunismus in den Westen reisen, dort die Annehmlichkeiten der freien Welt erleben, sich in einen westlichen Lebemann verlieben – und die Verheissungen des Sozialismus fallen wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Im Film reisen die drei Inspektoren Iranoff, Buljanoff und Kopalski (Ruman, Bressart und Granach) nach Paris, um die Juwelen einer Grossherzogin der Zarenzeit zurückzuholen; sie sollen dem rechtmässigen Besitzer, dem Volk, zurückgegeben werden. Doch die drei erliegen den Verlockungen von Luxus und Lebensfreude und weichen von der Parteilinie ab. Worauf ihnen das Zentralbüro die Genossin Yakushova auf den Hals schickt. Nina „Ninotchka“ Yakushova (Garbo) soll in Paris nach dem Rechten sehen – und erliegt dem Charme des Westens und eines westlichen Charmeurs ebenso wie die drei Inspektoren.
Sieht man die Garbo in Ninotchka das erste Mal, glaubt man nicht an eine Wandlung. Die Frau wirkt derart abgehärmt, verschlossen, kalt und verhärtet, dass man sich besorgt zu fragen beginnt, wie Drehbuch und Regie ihre Wandlung glaubhaft hinbekommen wollen. Es funktioniert, und die eine Sequenz, in der es geschieht, ist die alles entscheidende – von ihr hängt die Glaubwürdigkeit des restlichen Films ab. Die Drehbuchautoren und der Regisseur waren sich dessen genaustens bewusst: Die Szene musste überzeugen, sonst ist der Film gestorben. Aber wie bekommt man eine derartige Wandlung hin?
Der Film zerfällt in der Tat in zwei Hälften: Die erste zeigt Ninotchka als sture Genossin, die zweite, die unmittelbar daran anschliesst, zeigt eine geöffnete, lebenslustige Frau. Keine Zeit, den Prozess langsam entstehen zu lassen. Er musste in eine Szene gepackt werden, sonst wäre der Film an Überlänge erstickt (wie der im selben Jahr entstandene, ausufernde Vom Winde verweht, an den Ninotchka sämtliche Oscars verlor).
Wilder, Brackett und Reisch kamen mit der grandiosen Idee der „Witz-Sequenz“: Ein Lachanfall würde aus Genossin Yakushova von einer Minute zur nächsten zu einem anderen Menschen machen: Count d’Algout (Douglas), der sich in sie verliebt hat, möchte sie in einem Restaurant zum Lachen bringen. Er erzählt einen Witz nach dem anderen, doch die Genossin verzieht keine Miene. Als er sich geschlagen gibt und sich beleidigt zurücklehnt, kippt er mit dem Stuhl in einen voll gedeckten Tisch. Und nun gibt es kein Halten mehr: Das ganze Restaurant brüllt vor Lachen – inklusive „Ninotchka“. Danach ist sie eine andere – und man glaubt es!
Lubitsch wusste genau, dass sein Film mit dieser Szene stand oder fiel. Sie musste einfach funktionieren! Der grosse Unsicherheitsfaktor war ausgerechnet die Darstellerin der zentralen Figur: Die Garbo war am Set ausgesprochen kapriziös und schwierig. Melvyn Douglas gab später zu Protokoll, dass sie der Lachanfall vor grosse Probleme gestellt habe. Lachen rangierte bislang ganz unten auf der Skala ihrer Gefühlsregungen. Nicht umsonst galt diese Szene dann als Sensation, der Film wurde sogar damit beworben („Garbo laughs!“).
Lubitsch kriegte das Kunststück hin, die introvertierte Aktrice aus sich herausgehen zu lassen. Der Lachanfall wirkt nicht nur echt, er wirkt auch ansteckend (Melvyn Douglas äusserte den Verdacht, es sei ein Voice-Double, eine nachträgliche Sychonisation im Spiel gewesen). Und damit funktionierte auch der Rest des Films, der bis heute Generationen von Film freunden begeistert und bezaubert.
Die Regie: 10 / 10
Das Drehbuch: 10 / 10
Die Schauspieler: 9 / 10
Die Filmmusik: 8 / 10
Gesamtnote: 9 / 10
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Kurzkritiken
PARENTHOOD
(dt.: Eine Wahnsinnsfamilie)
USA 1989
Mit Steve Martin, Mary Steenburgen, Jason Robards, Dianne Wiest, Martha Plimpton, Rick Moranis, Tom Hulce
Drehbuch: Lowell Ganz und Babaloo Mandel
Regie: Ron Howard
Musik: Randy Newman
Parenthood thematisiert das Thema „Kinder und Eltern“ anhand einer Grossfamilie, bestehend aus Opa Frank (Robards), dessen inzwischen erwachsenen vier Kindern und deren Kinder. Das ergibt fünf Familien, die jede nach einem anderen „Konzept“ funktioniert. Das Konzept des Film ist höchst ergiebig und wurde – in leicht abgeänderter Form – von der noch immer laufenden TV-Serie Modern Family übernommen. Es ermöglichte den Machern, damals gängige Familienformen aufzugreifen und zu persiflieren. Und da im Witz immer ein Körnchen Wahrheit steckt und die damals gängigen Formen noch heute „en vogue“ sind, hat Parenthood kaum etwas von seiner Wirkung und Aktualität eingebüsst.
Da wird etwa die noch heute grassierende Therapierwut in der Schule thematisiert, pubertäre Irrläufe, der Hochbegabtenwahn – mit sicherem Gespür lokalisierten die Drehbuchautoren die sensiblen Themen, obwohl diese damals noch relativ neu waren. Und am Ende destillieren sie eine Wahrheit aus all den elterlichen Irrungen und Wirrungen, die ihre Gültigkeit noch in 20’000 Jahren haben wird.
Alle gezeigten Schicksale und Probleme bleiben allerdings eher harmlos und werden zuletzt auch noch wundersam in Minne aufgelöst; trotzdem muss man den Autoren doch erhebliches Talent zugestehen: Obwohl die Familiengeschichten als Gesellschaftskomödie aufbereitet werden, scheint doch immer wieder der Ernst durch; nicht selten bringt der Witz den Ernst der Sache auf den Punkt. Und das geschieht mit einer scheinbaren Lockerheit, die man im europäischen Kino schlichtweg vergebens sucht. Die gesamte Darstellertruppe unterstützt diesen Ton in idealer Weise – allesamt Komödianten vor dem Herrn, denen ein plötzliches Umschwenken auf ernste Töne keine Schwierigkeiten bereitet.
Parenthood ist wegen seiner Oberflächlichkeit in erster Linie ein Unterhaltungsfilm – ein wirklich guter. Langweile kommt in den zwei Stunden Laufzeit nie auf, und gewisse Situationen sind derart sec auf den Punkt gebracht, dass es eine Freude ist.
Die Regie: 6 / 10
Das Drehbuch: 9 / 10
Die Schauspieler: 10 / 10
Die Filmmusik: 7 / 10
Gesamtnote: 8 / 10
VALERIAN AND THE CITY OF A THOUSAND PLANETS
(dt.: Valerian und die Stadt der tausend Planeten)
Frankreich 2017
Mit Dane DeHaan, Cara Delevingne, Clive Owen, Rihanna, Ethan Hawke u.a.
Drehbuch: Luc Besson nach den Comics von Jean-Claude Mézières und Pierre Christin
Regie: Luc Besson
Musik: Alexandre Desplat
Nach Subway und Le grand bleu wollte ich keinen Besson-Film mehr sehen; ich fand beide hohl und prätentiös. Der Regisseur, obwohl damals voll „in“ und gefeiert, war danach für mich abgeschrieben. Ich hielt mich daran und schaute mir keinen einzigen Besson-Film mehr an (es interessierte mich auch keiner mehr). Doch weil man ja niemals „nie“ sagen soll, liess ich mich diese Woche überreden und ging ins Kino.
Ich stelle fest: Besson ist noch keinen Schritt weiter. Ein Armutszeugnis.
Damit lasse ich es bewenden – ich weiss, das Urteil ist völlig undifferenziert. Aber ich habe nicht die geringste Lust, über diesen zeitverschwendenden Schmarren weitere Worte zu verlieren. Doch – noch dies: Wie kann ein Regisseur zwei derart untalentierten Darstellern wie Dane DeHaan und Cara Delevigne die Hauptrollen übertragen, wenn er weiss, dass die beiden den ganzen Film tragen müssen? Weil er nicht merkt, wie schlecht sie sind? Weil er ausser auf die Special Effects auf nichts sein Augenmerk legte?
Die Regie: 6 / 10
Das Drehbuch: 4 / 10
Die Schauspieler: 4 / 10
Die Filmmusik: 7 / 10
Gesamtnote: 5 / 10
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Vorschau
Ich war heuer für zwei Tage am Filmfestival in Locarno. Die folgenden drei Filme, die ich dort gesehen habe, werden im nächsten Blog-Beitrag vorgestellt. Einer davon wird zum „Film der Woche“ gekürt…
Jules et Jim (Frankreich 1962)
The Big Sick (USA 2017)
Wonderstruck (USA 2017)
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