Rat Suchende sind oft verzweifelt, weil sie das andere Geschlecht nicht verstehen können, bzw. weil sie sich vom Partner nicht verstanden fühlen. Zwar kenne ich diesen Schmerz auch. Trotzdem biete ich nicht Hand zu glauben, dass sich daran etwas ändern liesse. Vor diesem Hintergrund hat mir Frau R.B. folgende Zeilen geschrieben: „Mein Partner lässt sich regelmässig in einem Institut in Zürich sinnlich massieren. Was das genau beinhaltet, weiss ich nicht. Er sagt mir, er liebe und geniesse diese Art der Berührung, dabei könne er sich so richtig fallen lassen. Ich selber kann mir solchen Körperkontakt ausserhalb der Beziehung nicht vorstellen. Ich möchte meinen Partner nicht begrenzen. Das kann ich auch gar nicht, weil er nie darauf eingehen würde. Er lebt eben seine Freiheiten… Ich versuche, ihn zu nehmen, wie er ist. Trotzdem kann ich ihn nicht verstehen.“
Liebe Frau B. Männer und Frauen sind total verschieden. Verzichten Sie also darauf, Ihren Partner verstehen zu müssen. Sie sind viel mehr herausgefordert, ihn zu achten, obwohl Sie ihn zuweilen als geheimnisvolles Wesen erleben. Das mag bedrohlich klingen. Das Geheimnis des anderen sorgt aber auch dafür, dass die Beziehung spannend bleibt.
„Wenn er mich liebte, dann würde er damit aufhören.“ Vielleicht sind Sie dieser (oder einer ähnlichen) inneren Stimme auch schon begegnet. Es wäre zumindest verlockend, Annahmen darüber zu treffen, wie die Dinge sich verändern würden, wenn Ihr Partner fair wäre oder Sie wirklich schätzte. Das nenne ich „Fairness als Trugschluss“, womit ich den Umgang mit Vereinbarungen über die Launen zwischenmenschlicher Beziehungen meine. Andere Menschen sehen es eben selten genau gleich wie man selber. Und am Ende bereiten wir uns damit viel unnötigen Schmerz.
Zwischen Ihren Zeilen höre ich die Botschaft Ihres Partners: „Wenn du mich so nimmst, wie ich bin, dann akzeptiere ich dich auch.“ Das lässt sich auch als Drohung verstehen: „Wenn du mir meine Freiheiten nicht gewährst, verlasse ich dich.“ Achten Sie auf sich selbst und Ihre persönlichen Grenzen. Sie sind gefordert, Ihren Partner nicht nur so zu nehmen, wie er ist, sondern sich ihm umgekehrt auch so zu geben, wie Sie sind. Dazu gehört wesentlich, dass Sie Ihre persönliche Wahrheit (er-) kennen. Ich vermute, in Ihrem Herzen gibt es den Ort, von wo aus Sie Ihrem Partner sagen möchten: „Stopp! Hier ist meine Grenze, die darfst du nicht überschreiten.“ Dass dabei Ihre Angst, verlassen zu werden, berührt wird, ist verständlich.
Sie wollen Ihren Partner nicht begrenzen und seinen Wunsch nach Freiheit akzeptieren. Damit beschreiben Sie einen typischen Stolperstein im Tanz zwischen Mann und Frau. Freiheit braucht Grenzen, so wie der Fluss die Ufer zum Fliessen. In einer Beziehung leben heisst, einander Grenzen setzen. Wir können gar nicht anders. Ihr Mann will sich abgrenzen und seine eigene Wahrheit leben. Daran ist nichts verkehrt, solange er das in bewusster Fühlung zu Ihren Bedürfnissen tut. Das setzt voraus, dass er Ihre Bedürfnisse kennt. Es ist paradox: Die Freiheit des Mannes wird gestärkt, indem er sich der Frau und ihren Begrenzungen mutig und entschlossen zuwendet. Ich übe es jeden Tag.