Nikolaus Schneider und die Sterbehilfe

Haltende Hände, Foto: Maik Meid, Flikr (CC BY-ND 2.0)

Haltende Hände, Foto: Maik Meid, Flikr (CC BY-ND 2.0)

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) Nikolaus Schneider hat durch seine spektakulären Äußerungen in einem Stern- und einem ZEIT-Interview der Sterbehilfe-Debatte neue Impulse verliehen. Schneider sagte darin, dass er bereit sei, seine Frau Anne zur Sterbehilfe in die Schweiz zu begleiten, wenn sie dies wünsche.

Anne Schneider ist schwer an Brustkrebs erkrankt, im Juni dieses Jahres wurde festgestellt, dass vom Krebs bereits das Lymphsystem ihres Körpers befallen ist. Ihr Mann hat kurz danach seinen Rücktritt vom Ratsvorsitz der EKD für den Herbst dieses Jahres angekündigt, um sich ganz seiner Frau widmen zu können. Eine Tochter war 2005 an einer Leukämie-Erkrankung gestorben.

Nikolaus Schneider hat jetzt darauf verwiesen, dass er seine Frau auch gegen die eigene Überzeugung aus Liebe unterstützen werde.

Respekt, Herr Schneider; diese Entscheidung verdient höchste Anerkennung!

Nur: die Unterstützung eines Menschen, der Assistenz beim Suizid wünscht, darf nicht nur in diesem einen Falle gelten. Generell muss jedem Menschen eine kompetente und ergebnisoffene Beratung sowie das Aufzeigen von Alternativen und tatsächlichen Hilfsangeboten zustehen. Und letztlich muss die Entscheidung eines verständigen und informierten Menschen, die dieser nach reiflicher Abwägung getroffenen hat, von allen akzeptiert werden. Das muss ohne jeden Einschränkung auch in Deutschland gelten, denn eine Reise in die Schweiz kann sich nicht jede(r) leisten und ein Zwang zum “Sterbetourismus” ist menschenunwürdig.

Hinzu kommt: Nicht die Auffassung eines Angehörigen ist maßgeblich, sondern die Auffassung des betroffenen Menschen, der für sich ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Ende seiner Existenz wünscht und einfordert. Das allein kann und darf der Maßstab sein.

Eine Reise in die Schweiz, um dort zu sterben, bedeutet immer zugleich auch, ärztliche Hilfe zum Sterben in Anspruch zu nehmen. Das wird von der katholischen Kirche schlechthin und von den evangelischen Kirchen weithin abgelehnt. Schneiders Vorvorgänger im EKD-Amt, Wolfgang Huber, hat bereits vor zehn Jahren Sterbehilfe eindeutig abgelehnt und unmissverständlich betont, dass der Mensch Leben und Sterben aus Gottes Hand empfange und sich deshalb nicht zum Richter über das Leben machen dürfe. Huber sprach sich auch gegen eine ärztliche Mitwirkung beim Suizid aus. Eine Änderung dieser zynischen und das Leid und den Schmerz Schwersterkrankter ignorierenden Haltung ist nicht bekanntgeworden.

Die Auffassung Hubers wurde in diesem Jahr vom Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, bekräftigt. Seine Ideologie: das Leben sei ein für den betreffenden Menschen unverfügbares Geschenk (Gottes). Sterbehilfe für schwerst erkrankte Menschen lehnte Jung deshalb ab. Lediglich “unnötiges Leiden” sei durch Palliativmedizin zu lindern. Mehr aber auch nicht.

Huber und Jung repräsentieren die Auffassung der offiziellen Kirche – eine Auffassung, die auf einen Leidensweg und das Durchleben des Leidens orientiert. Man darf sich schon fragen, was das eigentlich für Menschen sind, die aufgrund eines ideologischen Konstrukts andere leiden lassen wollen – selbst gegen deren Willen. Auch hierüber sollte einmal die Debatte geführt werden.

Nicht übersehen werden sollte, dass es auch die “andere Kirche” gibt, wie aus Umfragen bekannt ist, und diese andere Kirche (die Mehrheit der Kirchenmitglieder) lehnt die Glorifizierung des Leidens strikt ab und spricht sich für Sterbehilfe aus. Der evangelische Sozialethiker Hartmut Kreß etwa fordert die Achtung der Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen und lehnt Regelungen ab, die ihnen nur noch den Weg in die Schweiz offenlassen.

Zu dem “Argument” des Gottesgeschenkes weist Kreß darauf hin, dass bekanntlich ein Geschenk immer in die Verfügungsmacht des Beschenkten übergeht und er nach seinem eigenen Gutdünken damit umgehen kann.

Doch für derartige Überlegungen sind die Befürworter des Leidensweges nicht offen – denn dann müssten sie ihren ideologischen Bankrott einräumen. So werden sie wohl damit weitermachen und weiterhin verlangen, dass sich Menschen quälen müssen und kein menschenwürdiges Sterben erleben dürfen. Dies wird Leute wie Huber und Jung nicht einmal stören; verkündigen ihresgleichen doch regelmäßig, im Besitz einer höheren wenn nicht sogar der einzigen Moral zu sein.

Die Gesellschaft aber sollte diesen Leuten ihr Geschäft nicht durchgehen lassen: sie sind nicht die Kirche(n), sondern nur noch eine Minderheit in den Kirchen. Und: wenn Kirchen zum Gespräch über Sterbehilfe oder auch über andere Themen geladen werden, dann muss auch die kirchliche Mehrheit gehört werden.

Anne Schneider, die Theologie studiert und als Religionspädagogin gearbeitet hat, vertritt keine Leidenstheologie. Sie sagt, dass für sie zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen eine Gestaltungsfreiheit vom Anfang bis zum Ende dazugehöre und dass es Teil der Verantwortung des Menschen sei, sich eines Tages zu entscheiden, das ihm von Gott geschenkte Leben dankbar an ihn zurückzugeben. Sie hält deshalb auch organisierte Sterbehilfe und ärztlich assistierten Suizid für legitim. Auch eine oder sogar die christliche Haltung?

Walter Otte

[Erstveröffentlichung hpd]


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