Niedersächsische Musiktage 2016, Thema "Leidenschaft": Eröffnungswochenende in Einbeck

Niedersächsische Musiktage 2016, Thema "Leidenschaft": Eröffnungswochenende in Einbeck

Inzwischen haben die Niedersächsischen Musiktage begonnen, auf die ich hier schon kurz vorausgeblickt habe. Wie üblich mit einem Eröffnungswochenende  - dieses Mal in Einbeck, am 3. und 4. September. 

Ein großartiger Auftakt! Leidenschaften: Erstaunlich, zu erleben, welche Vielfalt es gibt und was alles sich an einem Ort entfaltet (und manchmal erst aus dem Verborgenen hervorgeholt werden muss). Manches entwickelt sich aus den Produkten des Ortes. Einbeck gilt als "Stadt des Bieres" - 13 Sorten sind es wohl heute, die hier im Brauhaus hergestellt werden. Die Leidenschaft für Bier ist für die Menschen, die hier leben, also gewissermaßen Pflicht. Es war zu spüren an diesen spätsommerlichen Tagen vor den vielen Lokalen mit Außenplätzen. Aber wussten Sie, dass es hier auch eine Senfmühle gibt? Neun Sorten bietet sie auch immerhin an, mit mindestens genauso anspruchsvollem Reinheitsgebot: die Rohstoffe nur mit hochwertigen Zutaten aus der Region, ausschließlich ökologische Qualität (Bioland), traditionell steinvermahlen, nach eigenen Hausrezepturen.

Doch gibt es noch ganz andere Leidenschaften in Einbeck, die nicht so ohne weiteres zu erwarten sind - und sie haben eine Identifikationsfigur, einen leidenschaftlichen Förderer. Einbeck ist auch eine Stadt der Oldtimer (der zwei- und vierrädrigen Veteranen). Der Fabrikant Karl-Heinz Rehkopf hat (fast) zeitlebens welche gesammelt und hat sich im reifen Alter entschlossen, seine Sammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren und dazu ein altes Gebäude, einen ehemaligen Kornspeicher, auszubauen. PS.Speicher nennt sich die Kultureinrichtung mit über 300 historischen Fahrzeugen, einer der größten privaten Sammlungen der Welt.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Leidenschaft der Bürgerinnen und Bürger Einbecks für "ihre" Fachwerkhäuser. Etwa 400 konnten noch erhalten bleiben, Ergebnis eines starken Engagements.

Aber was hat das alles mit Musik zu tun? Eine Antwort: Gewiss prägen sich diese Leidenschaften auch im Klangbild der Stadt aus: lärmende Gäste am lauen Sommerabend, laubgedämpfte Vogellaute und Wasserplätschern auf und neben dem Mühlenwall, Trompetentöne von hoch oben aus einem Turm, Glockengeläut, Verkehrslärm und im Kontrast dazu Röhren und Schnurren alter Motoren, Blechgeklapper und hallendes Trommeln und knisterndes Gebälk - so konnte ich es an jenem ersten Septemberwochenende in Einbeck erleben. Das ist jedoch eine subjektive Antwort. Objektiv ist ganz viel Fantasie, Vorarbeit, Planung und Organisation nötig, um für ein solches Wochenende Musik im Zusammenklang mit den vorhandenen Strukturen in einen solchen Ort wie Einbeck zu bringen. Meine Bewunderung ist groß, wie gut das Programm des Eröffnungswochenendes wieder rundum gelungen ist - das kann nur funktionieren in enger Zusammenarbeit des Stammkollegiums (der Sparkassenstiftung) mit den lokalen Verantwortlichen und tatkräftigen Helferinnen und Helfern vor Ort, hier vor allem der regionalen Sparkasse, der PS.Speicherstadt, der BBS. Die Zusammenarbeit scheint hier besonders gut gewesen zu sein - die Leidenschaft für die Sache hat alle geeint.

Niedersächsische Musiktage 2016, Thema

Das Festival des Wochenendes begann um 15 Uhr mit einem Stadtspaziergang "Mit allen Sinnen", musikalisch begleitet von Schülerinnen und Schülern der Mendelssohn-Musikschule - Einstudierung Vladislav Bystrov. Das musikalische Anfangszeichen wurde sinnigerweise in einer Straße namens "Hören" gesetzt. Als kleine Überraschung trat eine ganz junge Trommlerin griechischen Ursprungs auf und improvisierte perfekt. Vor der Senfmühle gab es einen Imbiss, im Brauhaus Kostproben. Unterwegs konnten "Sch(l)aufenster" vorgestellt werden: Wie in vielen Innenstädten werden auch in Einbeck immer wieder selbst alteingesessene Läden geschlossen, das leere Schaufenster macht dann einen tristen Eindruck. Auf Initiative von Karl-Heinz Rehkopf hat eine Bürgerinitiative es sich vorgenommen, mit einfachen Mitteln und geschickter Beleuchtung solche Schaufenster mit lokalen Themen zu gestalten.

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Am Abend ab 19 Uhr folgte das Konzert mit Martin Grubinger "Passion Percussion" (Leidenschaft Schlagwerk) - genau genommen, ein Doppelkonzert. Beim ersten Teil, auf dem Vorplatz am PS.Speicher, waren Schülerinnen und Schüler der nahegelegenen Berufsbildenden Schule Einbeck die hauptsächlichen Akteure. Sie hatten im Rahmen eines Integrationsprojekts ein "Soundmobil" gebaut und selber bespielen gelernt, unter Anleitung des ehemaligen Lehrers Schmah (der sich extra aus dem Ruhestand reaktivieren ließ) und des Hamburger Multi-Percussionisten Stephan Krause-Bantzer. Tolle metallische Klänge konnten sie damit zaubern - und, eine große Ehre!, Martin Grubinger und sein Ensemble kamen später dazu und spielten mit ihnen zusammen! Das Soundmobil war von Schüler*innen der Fachschule Sozialpädagogik und mehreren Flüchtlingsklassen der BBS vorwiegend aus Autoteilen, z.B. Auspuffrohr oder Nockenwelle, hergestellt worden.
Das eigentliche Konzert mit Martin Grubinger und seinen acht Mitwirkenden (vier davon bilden das Percussive Planet Ensemble) fand in der neuen Festhalle des PS.Speicher statt, die in einer Rekordzeit von einem Jahr gerade noch rechtzeitig fertig gebaut worden war. Dieses ganz und gar ungewöhnliche Konzert war also zugleich das Einweihungskonzert der Festhalle. Martin Grubinger gehört zu den Musikern, die nicht einfach nur interpretieren; er setzt sich ganz intensiv mit dem jeweiligen Stück auseinander und entscheidet sich manches Mal für Abwandlungen. Dieses Konzert war auch inhaltlich ungewöhnlich: Martin Grubinger hat zwei Stücke miteinander verschmolzen - von Schostakowitsch die Sinfonie Nr. 15 op. 141 (in einer Bearbeitung für Violine, Violincello, Klavier und 13 Schlaginstrumente von 1971-72) und die Pléïades fü sechs Schlagzeuger von Iannis Xenakis (1978 entstanden). Abwechselnd wurde erst ein Satz aus dem einen Stück, dann eines aus dem anderen gespielt (wobei Schostakowitsch im Vergleich geradezu erholsam wirkte). Grubingers Auftritte sind geradezu legendär, "ein wahrer Schlagzeugmarathon. Seine Energie, seine Begeisterung und seine Leidenschaft sind dabei geradezu spürbar" (aus der Festivalbroschüre zum Eröffnungswochenende). Gewöhnungsbedürftig, aber sehr faszinierend, so habe ich es empfunden - und gestaunt, dass das Publikum doch sich weitgehend von der Leidenschaft hat anstecken lassen, nur wenige sind vor dem Ende gegangen. 

Der Sonntagmorgen begann mit einem musikalischen Gottesdienst in der Münsterkirche St. Alexandri (10 Uhr), zu dem ich weiter nichts sagen kann, weil ich nicht daran teilgenommen habe.

Und dann kam (ab 11.30 Uhr) die Oldtimer-Ausfahrt "Vier Räder, eine Leidenschaft", auf die sich sicherlich schon viele gefreut hatten. Obwohl ich kein besonderer Auto- oder Oldtimerliebhaber bin, hatte ich doch, bevor es losging, Freude an der hier versammelten Ästhetik der alten Autos.

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Die Fahrt führte durch das idyllische Einbecker Umland - sonnenbeschienen, erst am Schluss kam ein Regenschauer - mit einer Zwischenstation in Fredelsloh im Café Herbst-Hof, wo wir köstlich bewirtet wurden. Vor allem aber kam hier die Musik zum Zuge: Jakob Neubauer, Bajan (russisches Knopfakkordeon), und Julia Schilinski spielten und sangen Lieder und Stücke aus dem Mittelmeerraum und von Piazolla. Sie zeigten die Zweiseitigkeit, die die "Passion" in allen romanischen Ländern hat: Begeisterung auf der einen, Leiden auf der anderen Seite. Danach ging es auf dem nicht-kürzesten Weg zurück zum PS.Speicher - bewusst waren Nebenstraßen ausgesucht, auf denen das Langsamfahren "erlaubt" war. Ich fuhr in einem VW-Bus mit, der einst für den ADAC fuhr; der VW-Motor erweckte Kindheitserinnerungen.

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Schneller ging es nicht: Die Oldtimer kamen etwas zu spät zurück, die übrigen Konzertbesucher "durften" 20 Minuten warten - und das war möglich, obwohl der NDR das Konzert aufzeichnen wollte! (Es wird am 5. Oktober gesendet.)  Dank an die Organisatoren, dass sie auch "uns Oldtimern" den Konzertbesuch ermöglicht haben.

Denn für 15 Uhr war der herausragende Abschluss-Höhepunkt des Wochenendes in Einbeck vorgesehen: ein Jazzkonzert mit dem Tingvall-Trio. Der schwedische Jazzpianist Martin Tingvall hat sich vor inzwischen 13 Jahren mit dem Bassisten Omar Rodriguez Calvo (in Kuba geboren, lebt in Hamburg) und dem Schlagzeuger Jürgen Spiegel zu dem Trio zusammengetan.

Niedersächsische Musiktage 2016, Thema

Niedersächsische Musiktage 2016, Thema

In den vergangenen zwei Jahren hat sich das Tingvall-Trio "in die europäische Spitze junger Jazz-Ensembles hineingespielt, die ohne Berührungsängste Jazz mit den Mitteln populärer Musik präsentieren und damit ein ganz neues Publikum für den Jazz gewinnen". "Ausschlaggebend für die mitreißende Dynamik und überbordende Spiellust der drei ist vor allem ihre Herkunft, in geografischer wie auch musikalischer Hinsicht ..." (Zitate aus der Festbroschüre zum Eröffnungswochenende) Alle Stücke, die gespielt wurden, hat Martin Tingvall komponiert (ohne Frage skandinavisch geprägt). Wenn er "Stücke für ein neues Album komponiert, zieht er sich in die Weite und Einsamkeit seiner schwedischen Heimat zurück. Natur, Stille, ein Haus am See, im Kopf jederzeit Bruchstücke schwedischer Volkslieder ..." Selten oder nie habe ich Jazz von einer solchen mitreißenden Dynamik erlebt wie hier, oft in einem schweißtreibenden Tempo, dann wieder ruhig-poetisch - ich war begeistert!
So ging das Eröffnungswochenende mit einem wirklichen Glanzlicht zu Ende - perfekter lässt sich ein solcher Auftakt nicht komponieren. Dank an alle Beteiligten!

Die nächsten Termine: "Frederick, die Maus" 7.9. in Bad Rehburg, 8.9. in Verden; "Drei Leidenschaften, Jörg Widmann": 8.9. in Verden, 9.9. in Walsrode.  Weitere Informationen hier ...

Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; ebenso das 2., 3. und 4. Bild von oben. Die übrigen Bilder (das 1., 5. und 6. von oben) stammen von (C) Helge Krückeberg.

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