Niedersächsische Musiktage 2015, Thema "Abenteuer" - Wolkenreiches Auftaktwochenende in Verden, Rückblick

Was  zu erwarten war, darüber habe ich ja schon in meinem Vorblick geschrieben. Aber so wie geplant und vorgedacht und vorbereitet kommt es nicht immer - das Wetter richtet sich nicht nach einzelnen Menschen oder einer bestimmten Menschengruppe. Es blieb wechselhaft, auch mit kräftigen Schauern zwischendurch. Einige Änderungen waren nötig - aber die organisierenden Menschen haben alles prima bewältigt, das sei vorweg gesagt!
Einen Vorteil jedoch hatte die Wettersituation: Der herbe Reiz der Landschaft an der Aller war ungeschönt zu erleben: ein Wasser- und Wolkenland mit Weideflächen, die für die Pferdezucht wie geschaffen erscheinen ...

In ihrer Eröffnungsrede am Abend im Dom hob Dr. Sabine Schormann, die Stiftungsdirektorin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, die das Festival veranstaltet, die Besonderheit der Musiktage hervor: .„Neben der thematischen Ausrichtung ist das Besondere der Musiktage die Vernetzung mit kulturellen Initiativen und den Sparkassen vor Ort. Dieser Dreiklang ermöglicht in den kommenden vier Wochen spannende Konzerte mit hochkarätigen Künstlern und außergewöhnlichen Programmen, die Intendantin Katrin Zagrosek zusammengestellt hat.“
In Verden bewährte sich der Dreiklang bereits am Nachmittag ab 15 Uhr: Schülerinnen und Schüler des Domgymnasiums Verden boten auf dem weitläufigen Gelände der Schule über zweieinhalb Stunden einen musikalischen Abenteuer-Parcours. Das Projekt war im Rahmen des Musikvermittlungsprogramms vivam von der Schauspielerin und Regisseurin Stephanie Harrer und dem Musiker und Komponisten  Vladislav Bystrow entwickelt und eingeübt worden. Eine große Spielfreude konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer an diesem Nachmittag erleben! Überall tauchten Fantasiewesen (Elfen? kleine Hexen?) auf und umgaukelten uns. Einer Legende nach ist Verden der Geburtsort Klaus Störtebekers - die dargestellte Geschichte nimmt das zum Ausgangspunkt: Eine Ururur...enkelin Störtebekers ist die Heldin. Sie findet einen Schatz und wird vor die Entscheidung gestellt: Soll sie nach Familientradition handeln und das Piratenleben fortführen oder soll sie sich ins übliche Dasein mit Familie und Job eingliedern? Oder gibt es einen dritten Weg ihrer eigenen individuellen Persönlichkeit gemäß? Wie wird sie sich entscheiden? Das musikalische Schauspiel schließt ab mit einer Fahrt auf der Aller, zu der alle Zuschauerinnen und Zuschauer eingeladen sind einschließlich Genuss von Kaffee oder Tee und Kuchen und weiterer Jazzmusik. Ein sehr schöner Abschluss auf dem ruhig durch die Flusslandschaft dahingleitenden Boot!

Am Abend dann war im Verdener Dom ein musikalischer Höhepunkt zu erleben: Der Trompeter Till Brönner, einer der prominentesten deutschen Jazzmusiker (1971 in Viersen in einer Musikerfamilie geboren) hatte sich vom Thema Abenteuerlust anstecken lassen - wenn Abenteuer als eine Reise ins Unbekannte und Ungewisse begriffen wird, dann ist Jazz Abenteuer pur, so seine Auffassung, denn guter Jazz lebt von der Improvisation und setzt Weggefährten voraus, auf die absolut Verlass im Zusammenspiel ist: ein Blickkontakt, ein Kopfnicken genügt, und das musikalische Feuer wird weitergereicht. Das war in diesem Konzert auf besonders beeindruckende Weise zu erleben. Die weiblichen und männlichen Weggefährten an diesem Abend, jede, jeder eine hochqualifizierte Persönlichkeit: die Streicherinnen Meta Hüper und Johanna Franz (Geige), Kristina Labitzke (Viola) und Romy Nagy Dörpholz (Cello);
der Jazzsänger kanadisch-polnisch-deutscher Herkunft mit großer Liebe zur brasilianischen Musik Peter Fessler; der Kontrabassist Dieter Ilg aus Offenburg, von dem Brönner sagt, dass ein Duo mit ihm alles von ihm fordert; der schwedische Pianovirtuose Jakob Karlzon, dessen beeindruckende Technik und großes Einfühlungsvermögen ihn zu einem gefragten Gastmusiker machten; sowie der ebenfalls aus Schweden stammende Saxofonist und Flötist Magnus Lindgren, dessen Zusammenspiel mit Brönner geradezu überwältigend wirkte. Das Publikum dankte mit langem Beifall - sicherlich auch, weil all diesen Spitzenmusikern die große Freude am Zusammenspiel, am Abenteuer der musikalischen Reise, bei aller Technik und Routine immer noch anzumerken war.

EÖ_Till Brönner 1 (c) Helge Krückeberg

Am Sonntagmorgen in der Früh um sechs Uhr ging es bereits weiter mit einem Konzert zum Sonnenaufgang. Wegen der Witterung konnte es leider nicht am Allerufer im Freien stattfinden - es wurde in den spätromanischen Backsteinbau der St. Andreaskirche verlegt. Die Kirche war mit brennenden Kerzen beleuchtet, doch schimmerte durch die Fenster das heraufdämmernde Morgenlicht herein, sodass auch hier der Sonnenaufgang mit seinem Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit zu spüren war. Die Musik des Helian-Quartetts und der Harfenistin Katharina Steinbeis war perfekt darauf abgestimmt: "L'Aurore", der 1. Satz einer Violinsolosonate von Eugène Ysaÿe; 2 Sätze aus dem Streichquartett "Der Sonnenaufgang" von Joseph Haydn; "Dance of the Night Insects", ein Satz aus einer Suite für Harfe, Perkussion und Tonband von R. Murray Schafer und zwei weitere Sätze aus "Der Sonnenaufgang" von Haydn. Anschließend gab es ein Frühstück.

Für 11 Uhr bereits lud die evangelische Kirche St. Johannis (einer der ältesten Backsteinbauten Norddeutschlands) zu einem musikalischen Gottesdienst ein: Die Predigt widmete Pastor Marko Stenzel dem Thema "Abenteuer Leben". Der Organist Dietrich Wimmer und der St. Johannischor unter der Leitung von Vanessa Galli gestalteten den musikalischen Teil. (Von diesem Teil kann ich keine eigenen Eindrücke schildern, weil ich nicht teilgenommen habe.)

Den Abschluss fand das Eröffnungswochenende ab 13 Uhr als dreistündige "Wandelveranstaltung" auf dem Gerkenhof mit Gestüt in Kirchlinteln, etwa 20 km nordöstlich von Verden - mit einigen interessanten nicht-musikalischen Elementen. Das Artistik-Trio Satchok zeigte im Freien seine Kunst zwischen Humor und Klamauk; die drei (eine Frau, zwei Männer) haben sich auf Partner-Akrobatik spezialisiert: Banquine, Drei-Mann-hoch, Hand-auf-Hand. Wortakrobatik bot der Poetry Slammer Tobias Kunze aus Hannover. Der Hausherr des Gestüts, Detlef Ruddat, stellte einige der edlen Pferde aus der eigenen Zucht vor. Das alles konnten die Besucherinnen und Besucher erleben, wenn sie von Ort zu Ort gingen - ausgestattet mit einem Lunchpaket. Was dieses betrifft: eine wunderbare Idee, erfreulicherweise gab es eine fleischlose Alternative (Käse statt Salami), leider war das Brötchen ein Weißmehlprodukt - das wäre doch das I-Tüpfelchen gewesen, wenn die Tüte ein Vollkornbrötchen enthalten hätte (meine persönliche Meinung, die einzige kritische).
Zum Ausklang aber - ab ca. 15 Uhr in der Reithalle - gab es noch ein weiteres musikalisches Kleinod: Das Kammerorchester musica assoluta unter dem begeisternden Dirigenten Thorsten Encke, später verstärkt durch das Hornquartett German Hornsound, ließ "Ein Sommernachtstraum" von Mendelssohn-Bartholdy sowie Robert Schumanns "Konzertstück für vier Hörner und Orchester" erklingen. Welch Fest für die Ohren! Hatte das etwas mit "Abenteuer" zu tun? Ich zitiere aus der sehr informativen Broschüre zum Einführungswochenende: "Mut und Neugier, Leidenschaft und der Blick über die Grenzen des eigenen Horizontes hinaus: Seit nunmehr vier Jahren und mit einer Vielzahl ungewöhnlicher Konzerte beweist das in Hannover ansässige Orchester musica assoluta um den Komponisten und Dirigenten Thorsten Encke, dass Erneuerung in der Musik möglich ist."

Und abschließend noch ein Zitat aus der Pressemitteilung zum Wochenende: Bis zum 4. Oktober gehen die Niedersächsischen Musiktage dann mit 58 Themen-Konzerten zum „Abenteuer“ in ganz Niedersachsen weiter. 70 hochkarätige Solistinnen und Solisten sowie Ensembles und Orchester entdecken gemeinsam mit den Niedersächsischen Musiktagen musikalisches Neuland. Auch Trompeter Till Brönner wird die Musiktage auf ihrer Abenteuerreise an weiteren fünf Stationen begleiten.
Das Festival wird von der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und den Sparkassen in Niedersachsen ausgerichtet.
Der NDR begleitet die Niedersächsischen Musiktage als Medienpartner. NDR Kultur, NDR 1 Niedersachsen und Hallo Niedersachsen berichten ausführlich und überregional über die Niedersächsischen Musiktage."

Weitere Informationen auf der Netzseite der Musiktage.

Foto: Helge Krückeberg, Text: Dr. Helge Mücke, Hannover

Niedersächsische Musiktage 2015, Thema

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