Niedersächsische Musiktage 2015: Rückblicke und Vorblicke - Bersenbrück, Hannover, Loccum, Einbeck, Landesbergen

29. Musiktage Niedersachsen 2015: Die Halbzeit ist überschritten. Staunen kann ich nur immer wieder über das Feuerwerk an Ideen: Konzerte nach einer Radtour (13.9. Bersenbrück), in einer Höhle (18.9. Bad Grund), bei Kerzenschein (23.9. Brake), mit Schnitzeljagd (26.9. Landesbergen) oder unter dem Sternenhimmel (2.10. Sankt Andreasberg) beispielsweise.

An der Radtour, die von Bersenbrück nach Quakenbrück zum Gut Vehr führte, habe ich nicht teilgenommen, aber ich habe mir berichten lassen, sie sei hervorragend organisiert gewesen. Begleitet hat die Fahrradreise (etwa 25 km) das Jourist-Quartett mit Bajan, Violine, Gitarre und Kontrabass. An besonders schönen Stellen wurde eine Pause mit musikalischer Darbietung gemacht, an der Endstation in der Konzertscheune auf Gut Vehr gab es ein Abschlusskonzert mit Mussorgski und Schostakowitsch.

Das Konzert in der Orangerie Herrenhausen in Hannover am 17. September hatte eine ganz besondere Qualität: Das Projekt "Über-Wunden" beschäftigt(e) sich mit der Realität des Ersten Weltkrieges. Mit Wunden, die auch in der nächsten und übernächsten Generation noch nicht völlig überwunden sind. Musikalischer Gast war Concerto Köln, eines der besten Orchester für die Musik von Mozart und Haydn auf Originalinstrumenten - es spielte u.a. die Jupitersymphonie von Mozart, die vor dem Hintergrund der Kriegsschrecknisse einen ganz anderen Klang bekam. Der Dramaturg, Kulturmanager und Sprecher Folkert Uhde hatte den Kriegsalltag anhand privater Biografien erforscht - auch die Familienbiografien der Künstlerinnen und Künstler wurden durchleuchtet. Folkert Uhde las pazifistische Texte aus 500 Jahren, im Hintergrund wurden Bilder projiziert, u.a. seltene frühe Farbfotos aus dem Kriegsalltag. Folkert Uhde - so konnte ich nachlesen - hat sich als "Kulturmanager" zum Ziel gesetzt, klassische Musik auf andere Art zu präsentieren und dafür den Begriff "Konzertdesign" erfunden, der sich im öffentlichen Austausch über die Zukunft der klassischen Musik immer mehr durchgesetzt hat. Es geht Uhde um die umfassende Neugestaltung von Konzertinhalten und -abläufen als Reaktion auf die rasant sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Das Konzert in Herrenhausen war ein sehr bewegender Abend.

 Niedersächsische Musiktage 2015: Rückblicke und Vorblicke - Bersenbrück, Hannover, Loccum, Einbeck, Landesbergen

Niedersächsische Musiktage 2015: Rückblicke und Vorblicke - Bersenbrück, Hannover, Loccum, Einbeck, Landesbergen

Das Konzert in der Klosterkirche Loccum am 20. September ab 17.30 Uhr war auf ganz andere Art ein besonderes Erlebnis: durch das Temperament der Sängerin Patricia Petibon (Sopran) und ihren Spaß am schauspielerischen Rollenwechsel. "Auf in neue Welten" hieß hier das Abenteuer - das von der Sängerin entworfene Programm wurde zu einer musikalischen Reise "von der Alten in die Neue Welt, vom eroberungs- und kolonialisierungswütigen Europa nach Lateinamerika". "Eine Zarzuela von José de Nebra von 1744 trifft auf eine Passacalle von Henry Le Bailly aus dem 17. Jahrhundert oder auf eine selten aufgeführte weltliche Kantate in spanischer Sprache von Georg Friedrich Händel, die der Meister 1707 in Rom für Kardinal Ottoboni komponiert hatte" (aus den Texten des Faltblatts zum Konzert). Für den Orchesterpart war das La Cetra Barockorchester Basel gewonnen worden, das auf Alte Musik, besonders die italienische Instrumentalmusik des 18. Jahrhunderts spezialisiert ist - sein Name geht auf Vivaldis Violinkonzert op. 9 "La Cetra" zurück, was die Leier (Zither) bezeichnet. Außer der Sängerin waren als Gäste Joël Grare - Schlagwerk - und Pierre Hamon - Flöte und Dudelsack - geladen.
Patricia Petibon gilt als eine der vielseitigsten Sängerinnen ihres Fachs (mit einem Repertoire vom französischen Barock bis zur zeitgenössischen Musik) - das konnte sie in diesem Konzert eindrucksvoll bestätigen - großer Applaus und Zugaben. Angenehm war, dass den Besucherinnen und Besuchern die Liedtexte mit Übersetzungen ausgeteilt wurden. Das Konzert wurde von NDR Kultur aufgezeichnet; Sendung am 26. Dez. 2015 von 11 bis 13 Uhr. 

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 Die 29. Niedersächsischen Musiktage dauern noch bis zum 4. Oktober. Ich empfehle, sich noch Karten zu besorgen, vor allem wenn ein Konzert in räumlicher Nähe stattfindet. 

Ich greife zwei Beispiele heraus:
Am 24. September ab 20 Uhr gastiert in Einbeck das David Orlowsky Trio unter der Überschrift "Klezmer - Heimat in der Fremde". Für die jüdischen Auswanderer nach Amerika erforderte ihr Wagnis besonderen Mut - das Etikett "Abenteuer" ist in diesem fall nicht ganz angemessen. Ihre Musik brachten sie mit, Klezmer ist für sie ein Stückchen Heimat. 

Am 26. September ab 20 Uhr ereignet sich auf dem Rittergut Brokeloh in Landesbergen ein Wandelkonzert - wiederum ist das David Orlowsky Trio beteiligt. Sie spielen zunächst im Saal des Herrenhauses Klezmermusik. Ein abendlicher Spaziergang führt dann zur Wikingerhütte, wo Texte zum Thema Auswanderung gelesen werden. 

Weitere Informationen auf der Seite der Musiktage.

Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Fotos: Helge Krückeberg.

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