nicht nur das virus ist unsichtbar (#corona #07)

es ist ja ganz nett. die 127te wohnzimmersession, das 318te balkonkonzert, die 74te onlinelesung und das 111te solidaritätsvideo. es ist vielleicht sogar mehr als nett. es ist die kollektive – manchmal auch hilflose – suche nach einer kultur des austausches unter für uns alle wirklich unerwarteten vorzeichen. niemand konnte ahnen, was da auf uns zukommt.

ein unsichtbares virus treibt uns in die isolation, in das social distancing und wir lernen, dass viel weniger beatmungsgeräte als vielleicht bald notwendig bereitstehen. da ist es wohl nur gut und logisch, dass wir uns ablenken, mut zusprechen und austauschen.

dennoch wirkt das ganze irgendwie wie eine mega-bobo-party. die digital natives bringen den omas und opas das skypen und zoomen bei, somanche menschen aus der babyboomer-generation machen ihr erstes handyvideo ever.

„schatz, ich glaub im gymnastikraum hab ich noch das alte iphone, das könnten wir jetzt doch der oma geben.“ das können nicht alle sagen.

da und dort wird elearning in hohen tönen gelobt und teleworking als die optimale lösung gepriesen. dass das mitunter auch auf bisher kaum erfahrene grenzen stösst, dass wir zb nach 3 videokonferenzen viel geschlauchter sind, als nach drei real life terminen, wird ausgeblendet. wir wollen fest daran glauben, dass wir auf einem guten weg sind, und das ist auch nur allzu verständlich.

ausgeblendet bleiben aber viele menschen, weil es sie nicht gibt – weil es sie digital nicht gibt. weil sie nicht teil der digitalen crowd sind. das sind menschen, die es oft ohnehin schon nicht leicht haben bzw. die es gewohnt sind, nicht dazuzugehören.

das sind nicht unbedingt nur obdachlose, es sind auch menschen in prekären lebensbedingungen mit wenig oder keinen ressourcen. sie und ihre kinder, aber auch deren grosseltern haben eben kein smartphone, machen kein video, sehen kein video und werden auch von keiner rot-kreuz-app erfasst werden. und sie haben kein altes iphone irgendwo herumliegen.

ein umfassendes gesundheitskonzept in der corona-gesellschaft, aber auch in der post-corona-gesellschaft, darf diese menschen nicht ausgeblendet lassen.

diese menschen waren auch vor corona ohnehin nicht von grosser aufmerksamkeit der gesellschaft betroffen. aber in diesen tagen, wochen und monaten, in denen sich die gesellschaft unfreiwillig digitalisiert, werden die „abgehängten“ noch viel heftiger hinten gelassen. sie sind unsichtbar.

social distancing bekommt eine schlimme bedeutung, wenn wir glauben, dass wir via social media die ganze gesellschaft abbilden.

nicht nur das virus ist unsichtbar

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Bild von Manfred Antranias Zimmer auf Pixabay


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