Nur mühsam verbarg Mime sein Erschrecken, als er Siegfried wohlbehalten wieder in die Schmiede treten sah. Jetzt musste er für seinen hinterhältigen Mordplan büßen! Angst im Herzen, bot er dem Eintretenden einen freundlichen Gruß, doch Siegfried blickte ihn verächtlich an und sagte: "Der Drache liegt im Waldtal unter der Linde erschlagen, und ich selbst will keine Stunde länger unter einem Dach blieben, wo böse Gedanken und falsche Worte wohnen!"
Das war dem Schmied eine Freudenbotschaft, und eiligst brachte er eine funkelnde Brünne, einen Helm und einen Schild herbei: "Dies schenke ich dir zum Abschied! Nie hat ein Held herrlichere Wehr getragen, und ich weiß dir auch ein Ross, wie es kein zweites in der Welt gibt. Unten am Rhein in der Herde auf den Uferwiesen weidet es, grau von Farbe wie Wotans Hengst und schnell wie der Falke in der Luft. Es wird dich zu Kampf und Sieg tragen!"
Siegfried legte die Rüstung an und gürtete sein gutes Schwert um, Gram hatte er es genannt. Dann machte er sich auf zu den Uferwiesen.
Unterwegs begegnete ihm ein Wanderer, ein großer alter Mann mit greisem Bart. Der fragte nach Weg und Ziel, und Siegfried antwortete: "Ein Ross will ich mir holen auf den Weiden am Strom." - "Folge mir", sagte der Alte und schritt kräftig voran.
Am grünen Saum des Flusses fanden sie eine Koppel edler Pferde. Mähnen und Schweife standen wie Fahnen im Wind, wenn sie in übermütigem Spiel dahinjagten. Auf den Rat des Alten trieb Siegfried die Herde in den Strom. Doch nur ein einziges Tier, ein grauer Hengst, vermochte sich gegen den reißenden Wogengang in der Mitte des Flusses zu halten, die übrigen wendeten bald schon zum Ufer zurück. Der Hengst kam erst an Land, als Siegfrieds Begleiter ihm zurief.
"Nimm ihn", sagte der Alte mit dunkler Stimme, "sein Name ist Grani, er stammt von Sleipnir, Wotans Ross, und ist noch nie unter einem Reiter gegangen. Bis ans Ende der Welt wird er dich tragen, und kein Ross vermag ihn einzuholen."
Als Siegfried aufblickte, war der Alte verschwunden. Da bestieg er den Hengst Grani und ritt zu neuen Abenteuern in die Welt.
Er ritt gegen Norden, Tag für Tag, und kam endlich in das Reich der dunklen Waldberge, in das Land der Nibelungen. Das waren reiche und kunstfertige Zwerge, die in tiefen Berghöhlen und verborgenem Geklüft wohnten und zwölf starke Riesen in ihrem Dienst hatten. Einen unermesslichen Schatz an Gold und Silber und edlem Gestein hatten sie unter der Erde aufgehäuft: den Nibelungenhort, und Alberich, der listigste der Zwerge, war sein Hüter.
Als Siegfried in den Waldbergen anlangte, war eben der alte Zwergenkönig gestorben, und seine beiden Söhne Schilbung und Nibelung hatten beschlossen, den Hort unter sich zu teilen. Sie ließen ihn aus den unterirdischen Schatzkammern heraustragen, und da wuchs es höher und höher: ein Berg von goldenem Geschmeide und Gerät, von Silber und Waffen und Edelgestein, und dies alles funkelte und blitzte in der Sonne, dass das Auge fast geblendet wurde. Hundert Wagen hätten nicht gereicht, den Wunderhort fortzuschaffen.
Doch Schilbung und Nibelung konnten nicht einig werden über die Verteilung des Schatzes, so tief saß die Habgier in ihrem Herzen. Jeder fürchtete, der andere könne eine Handvoll Gold oder ein paar silberne Spangen mehr bekommen, und so baten sie Siegfried, Richter zu sein in ihrem Streit und den Hort gerecht zu teilen. Als Lohn boten sie ihm im voraus das Schwert Balmung, das ihr Vater getragen und das nicht seinesgleichen hatte unter den Waffen der Männer.
Siegfried nahm das angetragene Amt an und schied den Schatz redlich in zwei gleiche Hälften. Aber er machte es den beiden Brüdern, die mit gierigen Blicken einer des andern Schätze maßen, nicht zu Dank, und sie forderten ihn auf, nochmals zu teilen, jeder in der Hoffnung, den eigenen Anteil zu mehren. Doch Siegfried durchschaute ihre Absicht und lehnte solches Ansinnen ab. Da riefen die tückischen Zwergenfürsten ihre Riesen herbei. Mit gewaltigen Eisenstangen stürmten die ungeschlachten Gesellen tobend heran. Aber Siegfried wich keinen Schritt zurück. Das Schwert Balmung fuhr blitzend aus der Scheide, und jeder Streich mähte das Haupt eines Riesen auf den Plan, bis alle zwölf leblos in ihrem Blute lagen.
Noch wilder entbrannte darob der Grimm der Zwergenkönige. Siebenhundert Recken, die ebenfalls in ihrem Dienste standen, boten sie nun gegen Siegfried auf, und aufs neue hub der Kampf an. Unverwundbar in seinem Hornpanzer stand Siegfried da und ließ den Balmung kreisen. Die Siebenhundert fielen bis auf den letzten Mann, und dann mussten auch Schilbung und Nibelung ihre verräterische Tücke mit dem Leben büßen. Das Volk der Zwerge aber erkannte Siegfried nun als seinen König an und gab ihm den Hort zu eigen.
Nur Alberich, der Hüter des Schatzes, sann auf Rache für den Tod seiner beiden Herren. Er besaß eine Tarnkappe, die war von wunderbarer Macht. Wer sie aufsetzte, der wurde unsichtbar und gewann die Kraft von zwölf Männern, auch war er geschützt gegen Hieb und Stich, und kein Ohr vermochte ihn zu hören.
Im Schutz dieser Tarnkappe fiel er über Siegfried her und umklammerte mit Zwölfmännerkraft seinen Hals. Vergebens zog Siegfried das Schwert und hieb verzweifelt um sich. Fester und fester würgten ihn die unsichtbaren gewaltigen Hände. Da endlich gelang es ihm mit letzter Anstrengung, dem Zwerg die Tarnkappe abzureißen, und nun fiel dieser ihm zu Füßen und bat flehentlich um sein Leben.
Siegfried gewährte ihm Schonung, doch behielt er die Tarnkappe zu eigen und ließ sich von Alberich unverbrüchliche Treue geloben. Dann hieß er die Zwerge den Hort wieder in die Tiefe des Berges schaffen und setzte Alberich aus neue zu seinem Hüter ein.
Niemand machte ihm nunmehr die Herrschaft über das Nibelungenland streitig, und bis an sein Ende hätte er dort als König die Krone tragen können, wenn nicht das Verlangen nach der Heimat über ihn gekommen wäre. So nahm er eines Tages Abschied von den Zwergen und verließ die dunklen Waldberge. Er wandte sein treues Ross Grani dem Rhein zu, und froher Jubel grüßte bald in der väterlichen Burg zu Xanten den heimkehrenden jungen Helden, den Drachenbezwinger und Herrn des unermesslichen Hortes der Nibelungen.