Nibelungen Sage 26/28 | Wie Rüdiger erschlagen ward

Nibelungen Sage 26/28 | Wie Rüdiger erschlagen ward Kriemhild glaubte die Burgunden seien alle in den Flammen umgekommen. Doch ihre Späher brachten am Morgen die Kunde, dass viele noch lebten, darunter auch Hagen von Tronje. Da bot sie aufs neue die Hunnenscharen auf und ließ Schilde voll Gold herbeitragen, um die Kämpfer anzuspornen. Mit unermesslichen Schätzen wollte sie dem lohnen, der ihr das Haut des Todfeindes, des verhassten Tronjers, brächte! Wieder begann das Morden, und wieder sanken Hunderte dahin. Vor der Stiege des Saales häuften sich abermals die Toten, aber keiner der Hunnen kam über die Schwelle, so erbarmungslos mähten die Schwerter Hagens und Volkers und der anderen Burgunden. Zwölfhundert Hunnen vermochten nichts auszurichten gegen sie. In höchster Not rief da König Etzel den Markgrafen Rüdiger, der voll Kummer dem blutigen Spiel zusah, um Hilfe an. "Wie könnte ich gegen Männer kämpfen, die ich als Gäste in dieses Land brachte und die mir liebe Freunde wurden!" entgegnete ihm fest der edle Rüdiger. Aber Etzel ließ nicht ab mit seinen Bitten, und Kriemhild mahnte den Markgrafen an den Eid, den er ihr bei der Werbung in Worms geleistet hatte: "Ihr habt mir Treue geschworen bis in den Tod, Herr Rüdiger, und als Ritter müsst Ihr diesen Schwur halten!" "Ja, Leben und Ritterehre habe ich Euch verpfändet, Frau Kriemhild, aber nicht meine Seele", entgegnete er in tiefstem Schmerz, "denkt daran, dass ich meine Tochter Dietlinde dem Fürsten Giselher verlobte! In meinem Haus waren die Burgunden liebe Gäste. Wie könnte ich ihnen Freundschaft und Treue brechen und Unheil bringen über die Meinen?" "Zum König will ich dich machen, wenn du unser Leid rächst", rief Etzel, "zum König über reiche Länder, und neben mir sollst du herrschen!" Vergebens beschwor ihn Rüdiger: "Erlasst mir den Kampf! Eine Krone begehre ich nicht." Ja, vergebens erbot er sich, alles zurückzugeben, was er je von Etzel erhalten habe, Land und Burgen; arm wolle er mit seiner Frau und Tochter in die Fremde gehen. Der König und die Königin fielen flehend vor ihm auf die Knie, und wiederum mahnte ihn Kriemhild an seinen Eid. Da erkannte der treue Mann, dass sein Wort ihn zu dunklem Verhängnis band, und das Herz von Jammer und Qual zerrissen, sprach er: "So sei es denn! Mein Ritterwort löse ich heute mit dem Leben ein. Meine Frau und meine Tochter empfehle ich Eurer Huld." Traurig wandte er sich zu seinen Recken: "Wir müssen uns waffnen; er geht gegen die Burgunden im Saal." Er legte seine Rüstung an, und an der Spitze seiner Fünfhundert trat er den schweren Gang an. "Da kommt Rüdiger, der Freund, als Retter in der Not!" frohlockte Giselher, als er ihn erblickte. Aber der Markgraf trat an die Stiege, stellte den Schild vor sich hin und rief in den Saal: "Ihr kühnen Nibelungen, nehmt Schwert und Schild zur Hand! Bisher waren wir Freunde. Nun muss ich euch die Treue aufsagen." Wie erschraken die Burgunden ob dieser Worte! Vergebens erinnerten Gunther und Gernot den Markgrafen an die Tage der Eintracht und Freundschaft in Bechlaren, vergebens rief Giselher ihm zu: "Wie könnt Ihr mit eigener Hand das Glück Eurer Tochter zerstören?" Rüdiger blieb fest: "Der Schwur, den ich der Königin geleistet habe, bindet mich. Als Mann und Ritter kann ich nicht anders: ich muss mit euch streiten, so schwer es mir ums Herz ist. Gott, der Herr, möge uns gnädig sein!" Schon hob er den Schild und setzte den Fuß auf die Stiege, da rief Hagen ihm von oben zu: "Auf ein Wort noch, Herr Rüdiger! Den Schild, den Frau Gotelind mir gab, haben die Hunnen mir zerhauen. Hätt ich einen solchen, wie du ihn an der Hand trägst, dann wäre ich mancher Sorgen ledig!" Nicht zweimal brauchte er zu bitten. Rüdiger reichte ihm den eigenen Schild: "Nimm ihn hin, Hagen, und möchtest du ihn glücklich heimführen ins Burgundenland!" Es war die letzte Gabe, die der Markgraf einem Freund bot. Keiner der Recken schämte sich der Tränen, die ihm in die Augen stiegen. Der grimme Hagen aber dankte bewegt: "Nie wird es solche Milde mehr geben, edler Markgraf. Und solltet Ihr alle Burgunden in den Tod schicken, meine Hand wird nicht das Schwert gegen Euch erheben." Er und auch Volker traten beiseite und gaben Rüdiger den Weg in den Saal frei. Mit ihrem Herrn drangen auch die Fünfhundert aus Bechlaren ein. Wieder hallten die Schilde von den Schwerthieben, wieder barsten die Helme und rieselte das rote Blut aus den Panzerringen. Hin und Her wogte das grausige Würgen. Immer wieder brach Rüdiger sich Bahn durch das Wilde Getümmel, bis er auf Gernot stieß. Da fuhren beider Schwerter empor, und beiden gelang der tödliche Streich durch Brünne und Helm. Miteinander sanken die Helden in den Tod. Rüdigers Wunde aber hatte das gleiche Schwert geschlagen, das er selbst Gernot in Bechlaren als Gastgeschenk gab. Laute Klage erscholl von beiden Seiten, und für eine Weile schieg der Lärm der Waffen. Dann tobte der Kampf um so erbitterter weiter, und wie tapfer die Mannen Rüdigers auch stritten, keiner entkam dem grimmigen Wüten Hagens und seiner Gefährten. Als der letzte Gegner gefallen war, hielten die Burgunden stumme Rast. Müde saßen sie auf Balken und Trümmern, und kein Schwerterklirren, kein Kampflärm drang mehr nach draußen. Da glaubten Etzel und Kriemhild, Rüdiger habe ihnen die Treue gebrochen und wolle den Burgunden freien Abzug geben. Doch als Volker den toten Markgrafen aus dem Saal tragen ließ, erkannten sie, welches Unheil geschehen war, und in bitterem Leid beklagten sie den Tod des Besten, der ihrem Thron nahegestanden hatte.
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