Dreizehn Jahre schon lebte Kriemhild nun an der Seite König Etzels. Ein Sohn war ihnen geboren worden, der in der Taufe den Namen Ortlieb erhalten hatte. Nichts trübte das Glück und die Eintracht am Königshof. Zwölf Fürsten waren dem Herrscherpaar dienstbar, und Kriemhild sah zu ihrer Freude, dass alle Recken im Hunnenreich ihr mit Leib und Leben ergeben waren. Aber in allem Glanz konnte sie das Leid nicht vergessen, das Hagen ihr angetan hatte. "Hätte ich ihn nur hier im Land", wünschte sie Tag und Nacht, "wie sollte ihn da meine Rache treffen!" Auch an alle im fernen Burgundenland, die ihr teuer waren, an Frau Ute, Gernot und Giselher, dachte sie oft, und es kam sie die Sehnsucht an, ihre Lieben wiederzusehen.
So bat sie eines Tages König Etzel: "Wenn Ihr mir eine Freude machen wollt, so ladet meine Brüder und ihre Freunde zu Worms an Euren Hof! So lange schon lebe ich bei Euch, und noch nie hat mich jemand aus der Heimat besucht, davon ist mir das Herz schwer." Dass vor allem aber die Rache an Hagen, dem Todfeind, ihr im Sinn lag, sagte sie nicht.
Etzel nahm ihre Bitte freundlich auf: "Auch mir macht es Kummer, dass die Verwandten am Rhein uns schon so viele Jahre fern sind. Ich will Werbel und Schwemmel, meine beiden Spielleute, nach Worms senden und Eure Brüder mit ihren Getreuen zur Sonnwendfeier nach Etzelnburg laden."
Das war eine frohe Stunde für Kriemhild, als die Boten sich auf den Weg machten! Für Gernot und Giselher gab sie die herzlichsten Grüße mit und bat sie, all ihre Freunde mitzubringen ins Hunnenland. Hagen werde ihnen gewiss ein zuverlässiger Wegführer sein!
Nach zwölf Tagen trafen Werbel und Schwemmel in Worms ein und wurden aufs beste aufgenommen. Sie trugen Gunther ihre Botschaft vor, und dieser nahm sich eine Woche Bedenkzeit, um mit seinen Brüdern und Freunden zu beraten.
Die meisten Burgunden freuten sich über die Einladung Etzels und waren gern zu der Reise an den Hunnenhof bereit, Hagen von Tronje aber erhob warnend seine Stimme und widerriet dem König: "Ihr habt doch wohl nicht vergessen, was Eure Schwester hier am Rhein geschehen ist? Seit ich ihr den Mann erschlug, sinnt sie auf Rache, und da wollt Ihr zu der Unholden ins Hunnenland reisen? Glaubt nicht den trügerischen Worten der Hunnenboten: es gilt uns der sichere Tod!"
"Du siehst zu schwarz, Freund Hagen", erwiderte Gunther, "längst hat Kriemhild uns verziehen. Mit freundlichem Sinn nahm sie damals Abschied, als sie zu Etzel fuhr." Auch Gernot wandte sich gegen Hagen: "Vielleicht mögt Ihr aus guten Gründen Böses von Kriemhild fürchten, uns aber stände es übel an, wenn wir die Einladung ausschlügen." Giselher riet dazu Hagen mit scharfem Spott: "Wenn Ihr Euch des Lebens nicht sicher fühlt in Kriemhilds Land, Herr Hagen, so bleibt doch hier am Rhein und lasst uns allein die Reise tun!"
Da brauste der Tronjer auf in grimmigem Zorn: "Nie hat man mir Feigheit nachgesagt! Wenn ihr zu der Fahrt entschlossen seid, so wisst denn, dass ich mit euch reiten werde. Doch rate ich euch, die Waffen nicht daheim zu lassen und tausend der besten Recken mit auf den Weg zu nehmen."
Der Rat schien Gunther gut, und sogleich sandte er Boten im Land umher, die tapfersten Degen aufzubieten. Da wurden die Rüstungen angelegt und die Rosse gesattelt, und von allen Burgen zogen sie herbei, und auch Volker, der kühne Spielmann, stellte sich mit dreißig seiner Mannen ein. Von den übrigen wählte Hagen tausend der bewährtesten Streiter aus.
Unterdessen warteten die Hunnenboten mit Ungeduld auf Gunthers Bescheid. Hagen riet seinem Herrn, sie möglichst lange hinzuhalten, damit sie Etzel und Kriemhild nicht zu früh die Nachricht von der Ankunft der Gäste bringen könnten. Erst sieben Tage vor dem Aufbruch der Burgunden durften sie sich auf den Heimweg machen. Eifrig spornten sie ihre Rosse und ritten über Passau und Bechlaren, wo sie dem Bischof Pilgrim und dem Markgrafen Rüdiger die frohe Kunde mitteilten.
Groß war die Freude Etzels, als er vernahm, dass die Fürsten vom Rhein mit ihren Recken schon so bald schon eintreffen sollten. Kriemhild gab den beiden Spielleuten reichen Botenlohn und fragte sie, wie Hagen die Einladung aufgenommen habe.
"Heftig hat er die Fahrt widerraten und sie eine Todesreise genannt", ward ihr zur Antwort, "aber dennoch kommt er mit Euren Brüdern, und auch Volker, der kühne Fiedler, ist mit dabei."
"Auf Volker wollte ich gerne verzichten", sagte sie fröhlichen Sinnes, "aber auf Hagen freue ich mich, ihm bin ich besonders gewogen!"
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