Was ist Neuroeconomics / Neuroökonomie?
In der Ökonomie geht es letztendlich immer um die Bewertung von mehreren Optionen, da mit limitierten Ressourcen (z.B. monetärer oder temporaler Art) unendliche Bedürfnisse befriedigt werden müssen. In unsicheren Situationen, d.h. wenn wir nicht genügend Informationen besitzen, um eine konkrete, logische Schlussfolgerung zu ziehen, fällen wir auf Grund dieser Bewertungen unsere Entscheidungen.
Die klassische Ökonomie geht davon aus, dass wir diese Entscheidungen aufgrund "rationaler" Bewertungen treffen. Die Erkenntnis, dass wir Menschen jedoch gerade an dieser Rationalität sehr oft scheitern, hat die Behavioral Economics Forschung nach fast 100 Jahren wieder ins Bewusstsein gerückt: Wir lassen uns in unseren Bewertungen (und demzufolge auch Entscheidungen) von moralischen und emotionalen Gesichtspunkten wie Fairness oder Angst leiten und verlassen uns auf Heuristiken, da wir mit der Entscheidungskomplexität überfordert sind. Zahlreiche Verhaltensanomalien sind bereits aus der Verhaltensökonomie bekannt - was von Psychologen und Ökonomen aber nicht ermittelt werden konnte und kann, sind Schlussfolgerungen WARUM diese Anomalien auftreten.
Die Behavioral Economics Forschung per se kann zwar bessere Modelle liefern als es die Neoklassik mit dem Homo Oeconomics vermochte, dennoch fehlt es auch hier an eindeutigen Methoden, um den Zusammenhang zwischen Ursache und Anomalie zu erklären und zu belegen. An dieser Stelle kommt die Neurowissenschaft ins Spiel:
Die Hirnforschung (Neuroscience, Neurobiology) untersucht schon seit geraumer Zeit, welche Rolle unser Gehirn in unterschiedlichsten Situationen spielt - unter anderem auch in Entscheidungssituationen.
bereiche (z.B. den Präfrontalen Cortex, Inselcortex, Amygdala, usw.) zu identifizieren, die an bestimmten Entscheidungen beteiligt sind. Die verhaltens-
wissenschaftlichen Erkenntnisse werden um "brain data" erweitert und Zusammenhänge dadurch besser erkennbar.
Wenn wir verstehen, warum wir immer wieder die falschen Entscheidungen treffen, können wir diese besser vorhersagen und eventuell sogar vermeiden. Die Experimentelle Neuroökonomie kann hierbei auf jahrelange Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften zurückgreifen, so dass dieses relativ neue Forschungsfeld bereits in kürzester Zeit erste konkrete Erkenntnisse liefern konnte. Bedauerlich, dass diese bisher weltweit kaum Beachtung finden. In Anbetracht der Tatsache, dass mit den "brain based models" der neuroökonomischen Theorie die allseits geliebte Naturwissenschaft wieder in die Ökonomie zurückkehrt, hätte man eigentlich etwas mehr Begeisterung erwartet. Gegen die Neuroökonomie wird auf lange Sicht auch keine Ignoranz helfen, wie Priddat und Kabalak 2008 feststellen:
Nun kann aber mit naturwissenschaftlichen Mitteln die Regelmäßigkeit von Emotionen in ökonomischen Kontexten gezeigt werden. Was physikalisch messbar ist, kann die Ökonomie nicht gut ignorieren, schließlich geht es hier nicht mehr nur um bloße Philosophie.(in: Wirtschaftsdienst 2008)Wer mehr über die Vorteile der neuroökonmischen Theorie erfahren möchte, dem sei dieser Artikel oder das Paper Neuroeconomics: How Neuroscience Can Inform Economics (2005) von Camerer, Loewenstein und Prelec ans Herz gelegt.
Geht das auch etwas anschaulicher?
Eine wirklich empfehlenswerte und unterhaltsame Einführung in die Neuroökonomie und die Bedeutung von moralischen Empfindungen bei Entscheidungen liefert dieses Video aus der Curious-Reihe von THIRTEEN. Behandelt wird unter anderem das "Trolley-Problem", "Ultimatum Game", "Ellsberg-Paradox" und das "Orphanage Dilemma".
Wie "tickt" das Gehirn an der Börse?
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Direktor der psychiatrischen Uniklinik in Ulm, erläutert in Folge 57 der Sendereihe "Geist & Gehirn" (BR-alpha) sehr verständlich einige Forschungsergebnisse aus Stanford, die sich mit den neuronalen Grundlagen im Umgang mit finanziellen Risiken beschäftigen (Paper: The Neural Basis of Financial Risk Taking).