Neulich im Notdienst

Neulich im Notdienst

Bei uns sitzen die Kinder in den Notfallboxen (so heissen die eben), und die Ärzt*in geht dann hinein und beginnt das Frage- und Untersuchungsspiel. Heute ist es mal anders. Die fMFA hatte mir die Box No.3 angesagt, ein Kleinkind mit Fieber. Ich also auf dem Weg dorthin, wundere mich schon, weil die Tür weit offen steht. Kein Kind im Zimmer, keine Eltern, aber eine Tasche auf dem Stuhl, die Untersuchungspapiere auf dem Tisch.

„Ach, sind Sie der Doktor?“, fragt mich ein Mann, der fünf Meter weiter im Gang steht. „Moment.“

Er läuft nicht zu mir, sondern in die andere Richtung, hin zur Spiele- und Tobe-Ecke im Aufenthaltsbereich, nahe der Cafeteria. Zwei oder Drei Minuten später – ich habe mir inzwischen noch einen Kaffee geholt, war auf Toilette, es haben sich derweil zwei weitere Patienten angemeldet – kommt die Familie Richtung Box No.3 zurück: Vater, Mutter und ein greinendes Mädchen, die sichtlich erzürnt darüber ist, dass sie nicht mehr spielen darf.

„Sie hat seit heute morgen vierzig Fieber…“, – Kunstpause – , „trotz Paracetamol und Ibuprofen im Wechsel, alle vier Stunden. Das Fieber geht runter, dann geht das Fieber wieder hoch“, sagt die Mutter. Das Kind plienzt und protestiert weiter vor sich hin.

„Und was sagt Ihr Kinderarzt dazu?“, frage ich erwartungsfroh, wohl wissend, dass sie heute nicht beim Arzt waren, denn sonst wären sie nicht heute abend um 22 Uhr bei mir in der Notfallbox No. 3.

Aber: „Da waren wir heute früh, der hat einen roten Hals und rote Ohren gesehen, wir sollen die Fiebermittel geben, und wenn es nicht besser wird, am Montag nochmal vorbeikommen.“ Es ist Freitag.

„Prima. Das klingt doch nach einem Plan“, sage ich. „Und was kann ich da jetzt für Sie tun?“

„Na, weil das Fieber immer wieder hochgeht…“, sagt die Mutter.

„Aber das ist ja normal, wenn Sie es mit den Medikamenten immer runterdrücken. Dann muss es irgendwann wieder hoch. Geheilt wird mit Paracetamol und Ibuprofen nichts.“

„Achso? Unser Arzt hat gesagt, das sollen wir so machen. Auch wegen der Fieberkrämpfe.“

„Hatte sie denn schon mal Fieberkrämpfe?“ – „Nein.“

„Und in der Familie gibt es Fieberkrämpfe?“ – „Nein.“

„Dann besteht kein wirkliches Risiko. Die Fieberhöhe wird keinen Fieberkrampf auslösen, eher das Immer-wieder-Auffiebern. Vielleicht lassen Sie sie mal ein wenig fiebern.“

„Ja, gut. Ok. Und ein Antibiotikum vielleicht?“

„Der Kollege hat doch heute morgen untersucht, der wird gesehen haben, ob sie ein Antibiotikum braucht oder nicht.“

„Schon. Aber letztes Mal war es genauso: Wir sind morgens bei unserem Arzt gewesen, da hatte sie Fieber. Und am Abend sind wir hierher. Und da hat die Ärztin gesagt, sie schreibt uns ein Antibiotikum auf. Da hatte sie eine Halsentzündung. Vielleicht ist das heute ja auch so.“

Wie auch immer. Ich habe das Mädchen untersucht („Spielen, spielen, ich will wieder spielen gehen!“) und konnte nicht mehr finden, als vermutlich der Kollege am Morgen: Etwas roter Hals, etwas rote Ohren, Schnupfen, ein einfacher fieberhafter Herbstinfekt. Also kein Antibiotikum.

Wir können uns viel aufregen über Eltern, die abends in die Notfallambulanz kommen und in Box No. 3 sitzen müssen, wenn wir keine gute Aufklärung in den Praxen betreiben. Der Arzt am Morgen hat alles richtig gemacht: Untersucht, Handlungsmaßnahmen erteilt, eine Empfehlung abgegeben, „falls es nicht besser wird“. Er wusste ja auch, dass das Wochenende kommt. Man kann über die vielen Antipyretika und die Warnungen vor Fieberkrämpfen diskutieren, egal. Leider haben die Eltern „beim letzten Mal“ eine andere Erfahrung gemacht: Nach Meinung des/r Notfallambulanzärzt*in damals war ein Antbiotikum nötig.

Klar war ich nicht dabei, klar kenne ich den Befund vom letzten Mal nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich innerhalb eines halben Tages der Befund von einem banalen Infekt hin zu einem bakteriellen dreht, ist unwahrscheinlich. Ich habe nachgefragt: Es ging nicht um ein eitrig laufendes Ohr, eine subakute Meningitis oder ein erhöhtes CRP. „Wir behandeln mal lieber mit einem Antbiotikum, das ist sicherer“, war die Aussage an die Eltern.

Was bleibt bei der Familie hängen? Alles kann sich schnell ändern, der Arzt im Krankenhaus hat grundsätzlich Recht, und „ein Antibiotikum ist sicherer.“ Ich finde das schade. Es untergräbt das Vertrauen der Eltern in den eigenen Hausarzt. Besser wäre es sicher gewesen, wenn die Zweitmeinungsärzt*in die Eltern darin bestärken würde, dass die eigene Ärzt*in die richtigen Weichen stellt. Sie kennt das Kind besser, sie kennt die Eltern besser, sie hat vermutlich mehr Möglichkeiten in der Praxis, um eine Diagnose zu stellen. Sie kann das Kind wieder einbestellen – was sie ja auch tut.

In der Notfallpraxis kann Dir viel passieren: Du kommst an die jüngste Assistent*in der Kinderklinik (die entweder alle diagnostischen Register zieht oder keinen einzigen, weil unerfahren – die aber aus Sicht der Eltern auf jeden Fall Recht hat, denn die sehen nur Krankenhaus, und Krankenhaus gleich heilig!) oder an den alten Hasen kurz vor der Rente (der immer Antibiotika gibt, auch wenn es sich nur um einen eingerissenen Zehennagel handelt). Eltern können das nicht einschätzen. Deshalb müssen wir in den Praxen beraten, aufklären, Handlungswege aufzeigen und nachvollziehbar besprechen – und uns Zeit nehmen.

Die haben wir nicht, aber wir müssen sie aufwenden, denn langfristig holen wir die Zeit wieder ein, wenn Eltern dann weniger zu Zweitmeinungen anrücken, wegen Verunsicherung in den Notfallpraxen aufschlagen oder am Folgetag in der eigenen Praxis, „weils noch nicht besser ist“.

(c) Bild bei pixabay/wilhei (lizenzfrei)


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