Von Michaela Preiner
(Foto: Petra Gruber)
26.
März 2018
N eue, kulturelle Formate brauchen für gewöhnlich ein wenig Anlaufzeit, um vom Publikum wahrgenommen zu werden. Für den Theaterbereich heißt das: Ein paar Saisonen oder Festivals durchhalten, dann beginnt es zu laufen.
Unter diesem Gesichtspunkt haben die Verantwortlichen des Max Reinhardt Seminars bei ihrem Festival im März alles richtig gemacht. Zum dritten Mal in Folge zeigt dort der Schauspiel- und Regienachwuchs, wie hoch die Qualität seiner Ausbildung tatsächlich ist und das nicht vor leeren Sitzen. Zwar sind die Räume, bis auf die neue Studiobühne, von der Bestuhlung her überschaubar, aber dennoch ist es nicht ohne, diese für drei bis vier Aufführungen ein und desselben Stückes voll zu bekommen.
Das Publikum lukriert sich aus Studierenden, aus deren Eltern und auch Freunden, aus Unterrichtenden und Interessierten aus dem Theaterbereich. Es gibt aber auch jede Menge Theaterfreaks, die das geballte Programm nützen, das in diesem Jahr auch mit Publikumsdiskussionen und einem Panel aufwartete, an dem die Autorinnen und Autoren der gespielten Stücke teilnahmen. Einzig mit der Produktion „Die Hinrichtung“ öffnete sich ein kleines Fenster in die Vergangenheit. Unter der Regie von Simon Scharinger wurde ein Text von Carl Merz und Helmut Qualtinger aufgeführt. Mit „In Ewigkeit Ameisen“ nahm sich Anna Marboe ein Hörspiel von Wolfram Lotz vor. Jenem Literatur-Shootingstar, der in Wien am Akademietheater mit „Die lächerliche Finsternis“ reüssierte. Beide, wie auch die folgend genannten Produktionen, waren mit Beiträgen zum Thema „Neues Wiener Volkstheater“ vertreten, das mehrfach interpretiert werden kann. Ging es darin doch einerseits um die Begriffe „Volk“ und „Theater“ aber auch um den im Titel versteckten Hinweis, dass auch das Volkstheater eingebunden worden war.
Das 4-tägige Festival ist keine reine Leistungsschau des Max Reinhardt Seminars. In der intimen Atmosphäre des Hauses mit seinen vielen kleinen Räumen – immerhin wurde der Grundstein für das Palais 1744 gelegt – bekommt man hautnah auch etwas von den Arbeitsbedingungen, dem Teamgeist, aber auch so manchen Wünschen, Träumen und kleineren und größeren Katastrophen der Studierenden mit. Bevölkern sie doch kurz vor Vorstellungsbeginn, sich intensiv austauschend, die Gänge, um ihre Kolleginnen und Kollegen in den einzelnen Vorstellungen genau unter die Lupe zu nehmen. Und ganz nebenbei ist es für einige Besucherinnen und Besucher auch nicht wenig reizvoll, vielleicht auf diese Weise den einen oder anderen zukünftigen Superstar am Beginn seiner Theater- oder Filmlaufbahn zu erleben.
„Keine Zeit für Klassenkampf“ (Foto: Thyl Hanscho)
„Keine Zeit für Klassenkampf“ (Foto: Thyl Hanscho)
Keine Zeit für Klassenkampf
Mit dem Stück „Keine Zeit für Klassenkampf“ von Robert Woelfl hatte sich Thyl Hanscho einen ziemlichen Sprachbrocken vorgenommen. Geht es darin doch in der Rahmenhandlung um eine graphisch aufbereitete Video-Dokumentation des Aufstieges der Wanda Group, einem globalen, börsennotierten Unternehmen, das seinen Gründer Wang Jianlin zu einem der reichsten Männer Chinas machte. In seinen Kernaussagen zelebriert der Autor jedoch auf höchst kunstvolle Art einen Blick auf unsere Gesellschaft und deren Vergangenheit aus der Perspektive von Investoren eines Freizeitparks. Vorbild dafür ist der Wiener Bezirk Meidling, ein einstmaliger Arbeiterbezirk, der sich jedoch zu einer „monofunktionalen Schlafstadt“ gewandelt hat. Mit Sätzen, an deren Anfang sich Substantive immer und immer wiederholen und die wie Luftmaschen einer Handarbeit hintereinander fein säuberlich aufgereiht sind, beleuchtet Woelfl die Absenz von politischem Bewusstsein genauso wie die Möglichkeit, soziales Elend von Schauspielern nachspielen zu lassen. Paula Kroh, Philipp Quell, Aaron Röll und Sümeyra Yilmaz haben an einem langen Konferenztisch Platz genommen und bemühen sich, in einer Art Brainstorming, den chinesischen Auftraggebern mit ihren Ideen gerecht zu werden. Dabei tut Hanscho gut daran, den Text in kleine Bausteine zu zerteilen und ihn in rascher Abfolge vom Ensemble vortragen zu lassen. Dadurch entstehen keine intellektuellen Überforderungen, die sich aufgrund der kunstvollen Sprache sonst beim Publikum leicht einstellen könnten.
Welthauptstrand Europa
Ähnlich geht Hans-Christian Hasselmann in „Welthauptstrand Europa“ von Gerhild Steinbuch vor. Er lässt ihren Text ebenfalls unter drei Personen aufteilen, oder ihn zum Teil auch chorisch vortragen. Diese „szenische Recherche mit dokumentarischem Material“ vereint die Flüchtlingsthematik mit der ultrarechten Szene in Deutschland und Österreich. Nicht alles, was darin politisch-philosophisch verhandelt wird, kann Hasselmann auf ein leicht fassliches und verständliches Niveau herunterbrechen. Und das ist sicher auch gar nicht gewollt. Vielmehr lässt er seine Truppe an einem Papierschnipsel-Strand unter Klängen der Beach Boys über den Zustand der Welt und insbesondere der NSU-Gruppe um Marion Zschäppe räsonieren und letztlich auch einen fatalen Befehl erteilen.
Dabei agieren Maximilian Herzogenrath, Dominik Jedryas, Maren-Sophia Streich, Aaron Röll und Kerim Waller, angefangen vom Badeoutfit bis hin zu plüschigen Tiergewändern, in unterschiedlichen Kostümen. Schließlich ist Urlaub, und da wird ja wohl so manche modische Blödheit erlaubt sein. Der Text um Aus- und Eingrenzungen, um Sichtbarmachen und Verschwinden von Narrativen und dem politisch Bösen in Frauengestalt, ist eine Herausforderung für jede Regie. Dass es Hasselmann gelingt, den Figuren sogar Charaktere zu verpassen, ist mehr als bemerkenswert. Dadurch gelingt es ihm, Steinbruchs Gedanken greifbarer zu machen und den Text emotional zu verstärken.
Den beiden letztgenannten Stücken stehen zwei weitere auf der Bewertungsskala des zeitgenössischen Theaters beinahe diametral gegenüber. „Der Zwerg reinigt den Kittel“ und „Hungaricum“ legen zwar auch ihren Zeigefinger in zeitgenössische, politische Wunden. Aber sie tun dies bühnentauglicher mit je einer durcherzählten Geschichte.
„Der Zwerg reinigt den Kittel“ (Foto: Andrea Klem)
Der Zwerg reinigt den Kittel
Im Fall von „Der Zwerg reinigt den Kittel“ geschieht dies mit der Aufarbeitung der Biografie der 70-jährigen Almut, tiefgründig gespielt von Clara Schulze-Wegener. Die kettenrauchende Pensionistin lebt mit ihren drei Freundinnen gemeinsam in einem Altersheim, in das sie sich durch Sozialbetrug hineingeschwindelt haben. So hat es zumindest über lange Strecken den Anschein. Der Umstand, dass Almut das Heim beinahe in Brand gesteckt hat, löst eine psychiatrische Untersuchung aus, wobei geklärt werden soll, ob es aufgrund ihres geistigen Zustandes zu einer Anklage kommt. Die aus Klagenfurt stammende Autorin Anita Augustin hat den Text vor sechs Jahren als Roman verfasst. In Wien kam er nicht nur, wie schon zuvor in Deutschland, für die Bühne adaptiert zur Aufführung, sondern musste auch noch extrem gekürzt werden. Dennoch darf man den Beteiligten gratulieren: Veronika Mauerer, derzeit Dramaturgin am Volkstheater und Maria Sendlhofer, für die Regie verantwortlich, hievten das spannende Stück mit Bravour vor die lichtdurchflutete Fensterfront des Wintergartens, einzig mit vier Stühlen und wenigen, kleinen Requisiten ausgestattet.
Mit viel Witz, aber auch jeder Menge kritisch-reflexiver Ansätze versehen, entwickelt sich das Geschehen von einer heiteren, mit Leben prallvollen Szene der ehemals 30-jährigen Frauen hin zu einem veritablen Krimi. Neben Schulze-Wegener verkörpern Eva Dorlass, Maria Lisa Huber, Nina Lilith Völsch die Freundinnen, die von Doktor Klupp (Manuel Ossenkopf) genauer unter die Lupe genommen werden. Dabei schwingt jede Menge Sozialkritik mit, hin bis zu einer veritablen Dystopie, in die das Publikum am Ende eingebunden wird. Ein Stück, das, wie die Autorin in einem Publikumsgespräch informierte, alleine schon wegen seiner schwierigen Besetzung, selten zur Aufführung kommt. Vier Schauspielerinnen in höherem Alter lassen sich so gut wie nie aus einem Ensemble rekrutieren und erfordern teure Gastauftritte. Wie Sendlhofer jedoch vorzeigte, ist das Alter kein Hindernis, um dennoch ein spannendes und intensives Theatererlebnis zu gewährleisten.
„Hungaricum“ (Foto: Andrea Klem)
Hungaricum
Alexandru Weinberger-Bara, der in diesem Semester nicht nur seine beachtliche Diplomarbeit „Foxfinder“ vorstellte, sondern sogar mit der Inszenierung „Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs“ im Volx-Margarethen reüssierte, wählte „Hungaricum“ der russischen Brüder Presnjakow. Ein aberwitziges Stück, mit den mitreißenden Ingredienzien von schwärzestem Humor, grotesken Charakteren und jeder Menge unerwarteter Handlungsvolten. Ein gekündigter Autoverkäufer, der seinen Arbeitslosenstatus seiner Ehefrau verheimlicht, erschafft sich selbst einen „Arbeitsplatz“ und agiert darin als falscher Polizist. In der Nähe der österreichischen Grenze hält er Menschen an, um ihnen unter Strafandrohung ihren Laptop und Geld abzunehmen. Dabei verwickeln sich Anton Widauer als junger Mann in einem poppigen Mozart-Kostüm und Franziska von Harsdorf als Kellnerin in einen Strudel von Ereignissen, der sie immer tiefer in gefährliche Turbulenzen zieht. Weinberger-Bara lässt Widauer in einemderart herrlichen, wienerischen Striezi-Idiom parlieren, dass man davon gar nicht genug bekommen kann. Die Bühnenpräsenz des jungen Schauspielers ist unglaublich, aber auch Franziska von Harsdorf agiert an seiner Seite ebenbürtig. Mit Schlauheit und völlig ungekünstelt entwickelt sich ihre Figur im Laufe des Geschehens weg von einer eher undurchsichtigen, jungen Frau, die schaut, wie sie ihr Leben finanziell auf die Reihe bekommt, hin zu einer genervten Kellnerin, die den Drangsalen des falschen Polizisten ausgesetzt ist.
Maximilian Herzogenrath gibt glaubhaft den falschen Exekutivbeamten, der nicht vor Gewalt zurückschreckt und ganz in seiner selbst gefundenen Berufsrolle aufgeht. Sophie Juliana Pollack verkörpert die verrückte Sára. Pollack gebührt eine Tapferkeitsmedaille, denn sie spielt trotz Kreuzbandrisses auf High-Heels eine ausgeflippte, junge Frau, die das Trauma des Verlustes ihres Mannes nur durch geistige Hochschaubahnexperimente erträgt. Nélida Martinez muss sich als des falschen Polizisten Ehefrau eine Rüge von Sára einfangen, erträgt dies aber tapfer im Bewusstsein, an etwas Höherem teilzuhaben. Ihre „Weltsuppe“ spielt eine nicht unwesentliche Rolle gleich von Beginn an und entwickelt sich – wie könnte es auch anders sein – völlig unvermutet hin zu einem Würgereflexauslöser. Mit Nick Alexander Pasveer als Mózes ergänzt ein weiterer halbseidener Charakter die Szenerie. Er wird dem falschen Polizisten schließlich zum Verhängnis.
Dass Alexandru Weinberger-Bara zu Beginn und am Ende des Stückes „Gas-Gas-Gas“ von Goran Bregovic einspielen lässt, spiegelt nicht nur das aberwitzige Tempo des Stückes wider, sondern auch seine Verortung an der Schwelle von West- zu Osteuropa. Seine Regiehandschrift zeigt sich in diesem Stück auch in der immerwährenden Konterkarierung der gelesenen Handlungsstränge, wenn zum Beispiel der Polizist anstelle der beschriebenen Hand seinen Fuß in einen Suppentopf setzt. Dieses Stilmittel wird so kongruent durchgezogen, dass das Publikum, je länger das Spiel dauert, von selbst schon die nächsten Regieanweisungen erraten kann. Eine höchst vergnügliche Idee, die sich wunderbar in das verrückte Setting einfügt.
Mit dem Festival „Neues Wiener Volkstheater“ präsentierte sich das Max Reinhardt Seminar als höchst virilen Ort, in dem die Ausbildung der Studierenden am Puls der Zeit stattfindet. Die Öffnung nach außen und die Kooperation mit dem Volkstheater bringt sichtbar frischen Wind in die an Tradition so reiche Schauspiel-Kaderschmiede.
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