Neue Leseprobe

Fünfzehn Minuten später kamen wir in der Tierklinik an und wurden sofort in ein Behandlungszimmer geschickt. Eine junge Tierärztin kam angelaufen und untersuchte die drei Welpen. Offenbar waren es Huskys, aber sie konnte mir auch nicht sagen ob es reinrassige waren. Sie brachte die Welpen in einem Käfig unter, über den sie eine Rotlichtlampe hängte. Eine Helferin bereitete Fläschchen mit Milch zu.

“Mr. Mushing, woher haben sie die Welpen?”, fragte die Tierärztin. “Ich habe sie in der Auffahrt gefunden als ich nach Hause kam. Es waren noch zwei, aber die waren schon tot.”, antwortete ich. “Haben Sie die Polizei benachrichtigt?” “Nein, hätte ich das tun sollen?” Wahrscheinlich werden die Besitzer nie gefunden. Wollen Sie die Welpen behalten?” “Nein, das ist unmöglich.” Hinter mir brach ein Proteststurm los. Jenny und Jack kämpften unisono wie die Löwen um die drei Welpen. “Aber Lucy könnte sie doch adoptieren.”, schrie Jenny. “Sie haben eine Hündin?”, fragte die Tierärztin. “Ja, eine Malamuthündin.”, antwortete ich. “Wie alt ist sie?” “Genau weiß ich es nicht, um die 4 oder 5 Jahre.” “Möglicherweise nimmt sie die Welpen an. Hatte sie schon Kontakt?” “Ich habe sie nicht zu den Welpen gelassen. Hören Sie, ich bin berufstätig und Vater von den beiden. Mehr als ein Hund geht nicht!” “Dad!”, meldete sich mein Sohn zu Wort. “Du kannst sie nicht einfach einschläfern lassen.” “Wer redet von einschläfern?”, fragte ich ihn. “Das ist leider wahr.”, sagte die Tierärztin. “Wenn sie niemand will, müssen wir sie einschläfern. Es gibt schon viel zu viele herrenlose Hunde im Asyl.” Jetzt wurde ich doch nachdenklich. Hatte ich die Welpen gerettet, damit sie lediglich ein bisschen später sterben würden? “Ich muss darüber nachdenken.”, wandte ich mich an die Ärztin. “Können Sie die kleinen Racker ein paar Tage hier behalten?” “Ja! Aber sie müssten die Kosten übernehmen.” “Gut, das ist kein Problem.” Jenny strahlte und Jack war mit sich zufrieden.

Am Abend redeten Jenny und Jack noch lange auf mich ein. Lucy saß daneben und spürte offenbar genau, das sich etwas anbahnte. In dieser Nacht schlief ich kaum. Am nächsten Morgen hatte ich meine Entscheidung gefällt. Die Welpen würden so lange in der Tierklinik bleiben, wie sie mit der Flasche gefüttert werden mussten. Dann würde ich weiter sehen. Sobald Kinder und Hund versorgt waren rief ich die Tierklinik an und sagte ihnen, dass ich für die Welpen aufkommen würde. Nach Aussage der Tierärztin waren die Kleinen nur wenige Tage alt und würden mindestens drei Wochen bleiben müssen. Bis dahin müssten entweder neue Besitzer her oder ich musste ein Welpenzimmer einrichten. Ich fragte mich immer noch wie die ausgerechnet zu mir gekommen waren. Wusste der Besitzer der Hundemutter, dass ich einen Husky hatte? Wenn ja, woher? Vielleicht stammte er sogar aus der Umgebung.

Die Geschichte wurde die Sensation im Büro. Dann hatte meine Sekretärin, Mrs Moorman, einen Einfall. Es schien nur logisch, dass die Hundemutter nicht so weit weg sein konnte. Daher bat sie die Tierklinik ihr einige Fotos der Welpen zu mailen und sie fertigte Flugblätter an. Irgendjemand musste eine Huskyhündin haben, die trächtig gewesen war, aber nun keine Welpen hatte. Jenny und ihr Bruder konnten die Flugblätter in der Umgebung verteilen. Gegen Mittag war meine Firma vollkommen im Huskyfieber. Peter, der noch gar nicht als Hundefreund aufgefallen war, wollte sich an die örtlichen Radiostationen wenden. Er schaffte es tatsächlich ein Interview zu bekommen, das auch gesendet wurde.

Als ich am Nachmittag nach Hause fuhr, nahm ich einen ganzen Karton voll Flugblätter mit. Jenny war schon zuhause und hatte zwei Freundinnen aus der Schule mitgebracht. Die Mädchen machten sich sofort daran die Huskyhündin zu finden. Sie kamen erst gegen 8 Uhr wieder, als ich mir schon Sorgen machte. Eine ältere Frau hatte ihnen erzählt, dass in der Nähe ein Mann wohnte, der mit einer Huskyhündin gesehen worden war. Sie wusste aber nichts weiter. Die Mädchen hatten sich geistesgegenwärtig die Adresse der Frau aufgeschrieben. Das er mit einer Huskyhündin gesehen worden war hieß allein noch nichts, aber möglicherweise war das der eigentliche Besitzer der Welpen. Ich beschloss am nächsten Tag mit meiner Tochter zu der Frau zu fahren und sie selbst zu fragen.

Meine Mitarbeiter waren noch immer in heller Aufregung, als ich am nächste Morgen das Büro betrat. Es hatten sich einige Bewohner meines Viertels bei der Radiostation gemeldet und behaupteten, den Besitzer der Welpen zu kennen. Es deutete aber nichts auf die Hündin hin, von der den Kindern berichtet worden war. Als ich schon Mittagspause machen wollte, ich wollte mich mit einem Klienten treffen, rief noch jemand an. Der Anrufer nannte seinen Namen nicht, behauptete aber, dass eine Huskyhündin eines Nachbarn trächtig gewesen war, nun jedoch keinen einzigen Welpen hatte. Der Besitzer sollte unweit der Adresse leben, die die Kinder aufgeschrieben hatte. Der Anrufer erwähnte auch, dass der angebliche Hundehalter ein ganz übler Kerl wäre, der schon verschiedene Tiere getötet hätte. Jetzt fragte ich mich, ob es klug wäre meine Tochter mitzunehmen.

Am späten Nachmittag, auf dem Weg nach Hause, fuhr ich dort vorbei. Das Haus war vergammelt, der Garten völlig verwahrlost. Das kleine Fenster neben der Haustür hatte keine Scheibe mehr und war mit ein paar Brettern notdürftig zugenagelt worden. Ich stieg trotzdem aus und ging auf die Tür zu. Ehe ich klopfen konnte, wurde sie von innen aufgerissen und ein Mann stand mir gegenüber. Er hielt ein Gewehr in den Händen und zielte auf mich. “Mach, das Du weg kommst!”, schrie er, “Oder es knallt!” Langsam ging ich rückwärts zum Bürgersteig zurück. Mir zitterten die Hände. Hierher zu kommen war wohl ein Fehler gewesen. Ich konnte jetzt nur noch eines tun, zur Polizei gehen und gegen Unbekannt Anzeige erstatten wegen der Aussetzung der Welpen.

Als ich Zuhause ankam lief mir Jenny schon entgegen. “Daddy, Daddy! Wann holen wir die Babys ab? Hast Du die Mama gefunden?” “Langsam, Jenny. Lass mich doch erst mal reinkommen.” “Daddy, die Babys brauchen uns doch. Und Lucy will sie auch.” Lucy hatte mich wie immer stürmisch begrüßt und sprang mir um die Füße herum. Gewöhnlich ließ sie sich dann wie ein nasser Sack auf den Boden fallen, damit ich ihr den Bauch kraulen konnte. Sie war vor kurzem läufig gewesen und benahm sich jetzt doch etwas merkwürdig. Normalerweise schlief sie im Wohnzimmer unter dem Coachtisch oder in meinem Schlafzimmer, wo sie gelegentlich sogar in mein Bett kam. Aber jetzt hatte sie eine Decke hinter das Sofa gezerrt und begann Plüschtiere aus Jennys Zimmer zu sammeln, die sie dann auf die Decke legte. Die Begrüßung fiel heute kurz aus, denn Lucy verschwand wieder hinter dem Sofa. Was war nur los mit ihr?

Jack kam aus seinem Zimmer . “Hi, Dad! Ich bin bei Chris.” Ehe ich mich versah, war er schon an der Tür. “Sei zum Dinner zurück! Aber pünktlich.”.

“Daddy, was ist mit Lucy. Sie ist so komisch.”, meinte Jenny. “Ich weiß es auch nicht, aber ich rufe morgen früh in der Tierklinik an. Dann frage ich auch nach den Welpen.”

Ich ging nach oben und zog mich um. Es war Zeit für unsere Runde. Ich nahm Halsband und Leine vom Haken und rief nach Lucy, aber sie kam nicht. “Lucy, hier!”, rief ich jetzt lauter. Zögernd kam sie aus dem Wohnzimmer, stand da und sah zurück. An diesem Nachmittag kamen wir nicht weit, denn Lucy hatte einfach keine Lust. Sie wollte eindeutig wieder so schnell wie möglich nach Hause. Dort angekommen berichtete Jenny, dass Jack angerufen hatte. Er wollte mit Chris essen und bei ihm übernachten. Ich hatte nichts dagegen und rief Anna an, um es ihr zu bestätigen.

Nach dem Abendessen setzte ich mich ans Notebook, um vielleicht im Internet herauszufinden was mit Lucy los war. Was ich las, warf mich fast vom Sessel. Sie war offenkundig scheinträchtig. Ich gab ja zu von Hunden nicht viel Ahnung zu haben. Ich hatte mich bis jetzt nie damit beschäftigen müssen, aber ich ahnte, dass ich noch viel zu lernen hatte. Etwas später fand ich die Adresse eines Huskyclubs in Seattle. Einen Malamuten zu haben war das eine, aber jetzt noch für drei Welpen verantwortlich zu sein, das war noch etwas anderes. Ich schrieb eine Email, dass ich dringend Rat und Unterstützung bräuchte, da ich mit der Welpenadoption doch arge Probleme auf mich zukommen sah.

Am nächsten Morgen kam Anna mit Jack, der irgendwie gar nicht zu glücklich aussah. Aber mir fehlte die Zeit ihn zu fragen ob etwas passiert war. Auch Anna wirkte sehr, sehr ruhig. Irritiert sah ich sie an, aber sie tat als wäre nichts. Gleich darauf kam eine quietschfidele Jenny herunter und verlangte nach einem Pfannkuchen mit Sirup. Die beiden schnappten sich ihre Schulsachen und rannten um die Wette zum Schulbus. “Ist irgendetwas, Anna?” “Nein, es ist alles in Ordnung.”, erwiderte sie. Sie suchte nach irgendetwas, an dem sie sich festhalten konnte. “Anna, ich sehe doch, dass etwas nicht stimmt.” “Es ist wirklich nichts.” Ich wollte nun auch nicht weiter in sie dringen. Schließlich war sie mir keine Auskunft schuldig. Kurz darauf machte ich mich auf den Weg ins Büro.

Als erstes sah ich nach neuen Emails. Der Huskyclub hatte noch nicht geantwortet, aber eine Nachricht von Patricia war dabei. Sie gratulierte mir zum Nachwuchs und fragte, ob ich die Welpen behalten würde. Ich antwortete ihr, dass ich sie gern aufnehmen würde, bis sich neue Besitzer gefunden hätten, es mir aber unmöglich war sie alle zu behalten. Vier Hunde, zwei Kinder, ein Haus und eine Firma waren mir eindeutig zu viel. Ob sie gern einen hätte, fragte ich sie. Natürlich hoffte ich nur auf eine Gelegenheit sie wieder zu sehen, nachdem ich es so verbockt hatte.

Peter kam herein und fragte, ob ich denn den vermuteten Besitzer gefunden hätte. Ich erzählte ihm knapp, dass er mich mit einer Waffe bedroht hatte und ich überlegte Anzeige gegen ihn zu erstatten. Er bezweifelte, dass eine Anzeige irgendwelche Ergebnissen hätte. Die Welpen waren in Sicherheit. Das zählte. Die Tierklinik rief an und berichtete, dass es den Welpen gut ginge und sie tüchtig zugenommen hatten. Es hieß, ich könnte sie in einer Woche zu mir nach Hause holen.

Jetzt wurde ich nervös. Ich hatte vorgehabt die Abstellkammer als Welpenzimmer herzurichten. Die Tür wollte ich einfach aushängen und dafür eine Absperrung einrichten, die für die Welpen nicht zu überwinden war. Lucy würde jedoch hinein und heraus kommen wie sie wollte. Die Welpen waren jetzt fast zwei Wochen alt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die mehr Platz brauchen würden. Nichts wusste ich über Welpen.

In einem Geschäft für Babyartikel besorgte ich ein Absperrgitter, das eigentlich für Treppen gedacht war, sich aber in der Breite einstellen ließ. Anna würde die Putzsachen und den Staubsauger in der Küche unterbringen müssen.

Nach fast einer Woche erhielt ich endlich eine Antwort vom Huskyclub. Anthony schickte mir seine Telefonnummer und bot ein Gespräch an. Mir war jeder Rat willkommen, so speicherte ich die Nummer gleich in meinem privaten Handy ab. Ich war schon gespannt, was er zu erzählen hatte. Zuerst musste ich jedoch den Tag im Büro hinter mich bringen. Der Vormittag verging wie im Flug, dann aber nach der Lunchpause hatte ich keine Lust mehr. Ich saß da und fragte mich, wie es wohl anders laufen könnte. Ich dachte an Patricia und an die Kinder. Diese Frau ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Obwohl wir nur sporadisch Kontakt hatten, geisterte sie durch meine Gedanken. Wie hatte sie das nur geschafft? Dieser Zustand musste irgendwann mal ein Ende haben. Seufzend beschloss ich, mich zusammen zu reißen. Sie wollte nicht und gut.

Pünktlich um fünf Uhr fuhr ich nach Hause. Lucy wartete auf die nachmittägliche Runde. Aber immer noch blieb sie am liebsten drinnen und hockte hinter dem Sofa. Die Runde war auch an diesem Tag wieder eher kurz. Wir liefen nur etwa drei Meilen. Als ich zurück kam, saß Jenny auf der Treppe und wartete auf mich. “Daddy!”, legte sie los, “Ms. Windon sagt, Lucy könnte die Welpen adoptieren wenn sie doch schweinschwanger ist.” Für ein Kind in ihrem Alter kam ihr das Wort fast zu selbstverständlich über die Lippen. “Wie kommt sie darauf?” “Ms. Windon sagt, das in der Natur bei den Wölfen auch die Tanten für die Jungen sorgen.” “Aha! Aber Lucy

Ist eben kein Wolf.” Der Lucytick meiner Tochter war schon beängstigend. “Nein, aber warum sollte sie die Welpen nicht wollen? Die waren doch so süß. Ach, bitte, Daddy!” “Jenny, ein bisschen dauert es noch. Aber wenn Du willst, rufen wir in der Tierklinik an und fragen wie es den Welpen geht.” Ich hoffte nur, sie würde jetzt Ruhe geben bevor ich den letzten Nerv verlor. Ich ging mit meiner Tochter ins Wohnzimmer und griff nach dem Telefon. “Hallo, hier ist George Mushing. Meine Tochter würde gern wissen wie es den Welpen geht.” “Einen Moment, ich verbinde Sie mit Doktor Smith.”, hörte ich am Ende der Leitung. Nach einem Moment meldete sich die Tierärztin. “Hallo, Mr. Mushing! Den Welpen geht es prächtig. Sie können Sie am Wochenende schon abholen..” Ich hatte das Telefon laut gestellt, damit Jenny mithören konnte. “Wirklich?”, quiekste sie. “Ja, sobald ihr vorbereitet seid könnt ihr kommen.” “Doktor Smith, ist das schlimm, dass Lucy scheinschwanger ist?”, fragte Jenny. “Sie ist scheinträchtig? Warum haben sie das nicht gesagt. Wir hätten ihr Hormone geben können, damit sie Milch bekommt. Damit hätten wir uns viel Arbeit sparen können.” “Moment!”, schaltete ich mich ein. “Wie sollte das gehen?” “Manchmal ist eine scheinträchtige Hündin bereit fremde Welpen aufzuziehen. Wenn das Timing stimmt, kann sie sogar säugen. Das wäre für die Welpen besser gewesen. Aber nun haben wir sie ja aus dem Gröbsten raus.” Jenny war aufgeregt und rief nach Lucy, die auch zu ihr kam. Jenny schnappte sich den Hund und setzte sich zu ihr auf den Boden, wo sie die Hündin stürmisch umarmte. Lucy fuhr ihr dafür mit der Zunge durchs Gesicht. “Wie geht es jetzt weiter?”, fragte ich die Tierärztin. “Keine Angst. Sie bekommen einen Futterplan und einen Terminplaner für die Entwurmung und die Impfungen, die die Welpen brauchen. Langsam werden die Kleinen aktiver, das heißt, sie werden Sie ganz schön auf Trab halten. Ich hoffe, Ihnen ist klar, wie viel Arbeit das bedeutet.” “Na ja, so schlimm kann es ja nicht werden.”, antwortete ich. “Es sind ja nur drei, die werden nicht das Haus abbrechen.” “Ihr Wort in Gottes Ohr. Ist Lucy denn Ihr erster Hund?” “Ja!” “Oh…. Ich dachte, Sie hätten schon Hunde gehabt.” Sie gab mir noch ein paar Tipps und wir vereinbarten die Welpen am Samstag Morgen abzuholen.

Ich ging zu meinem Sohn hoch, um ihm von den Welpen zu berichten. Er schien nun weit weniger begeistert zu sein als in der Tierklinik, wo den Welpen noch der Tod gedroht hatte. “Ist mir egal!”, meinte er nur.

Am nächsten Morgen wartete ich vergeblich auf Anna. Den Kindern ein Frühstück zu machen war kein Problem, aber ich hatte mich darauf verlassen das Haus ordentlich vorzufinden wenn ich von der Arbeit kam. Ich rief Anna an, aber es meldete sich niemand. Vielleicht war sie ja auf dem Weg hierher und hatte sich nur verspätet. Als die Kinder auf dem Weg zur Schule waren, machte ich mich selbst auf den Weg. Vom Büro aus rief ich bei mir an, um zu sehen, ob Anna gekommen war. Keine Antwort, aber auch unter Annas Anschluss meldete sich niemand. Ihr Handy war ebenfalls nicht erreichbar. Was war da los? Eine Stunde später war sie immer noch nicht erreichbar. Hatte sie einfach die Nase von uns voll oder war etwas passiert. Mir fiel ein, dass ich am Nachmittag früher zuhause sein musste, damit die Kinder nicht vor der geschlossenen Tür saßen. So war es dann auch. Anna war nicht aufgetaucht. Es war weder aufgeräumt, noch war sonst etwas gemacht worden. Ein Pizzaservice rettete zumindest das Dinner. Ich schimpfte laut vor mich hin, während ich das Geschirr vom Vortag spülte.

Anna kam auch am nächsten Morgen nicht. Wenn sie weiterhin nicht erreichbar war, dann würde ich sie entlassen müssen. Am Nachmittag berichtete mein Sohn, dass auch Chris nicht in der Schule gewesen war. Ich begann mir Gedanken zu machen ob Anna und Chris etwas zugestoßen war. Wieder versuchte ich sie anzurufen, aber die Leitung war tot. Die Nummer nicht mehr registriert. Anna war offenbar ohne Bescheid zu sagen weggezogen. Sie hatte sich nicht mal mehr ihren Lohn abgeholt. Ich hatte sie nicht für derart leichtfertig gehalten.

Damit hatte ich nun ein neues Problem. Ich konnte mich nicht um meine Firma, das Haus, Kinder und Hunde gleichzeitig kümmern. Wo bekam ich so schnell ein neues Hausmädchen her? Im Büro angekommen beauftragte ich Mrs Moorman damit eine Anzeige mit einem Stellenangebot aufzugeben. Ich suchte jetzt eine hundetaugliche, zuverlässige Haushälterin für den ganzen Tag. Als ich es ihr sagte, erwähnte sie, dass ihre Schwiegertochter auf Jobsuche wäre. Sie war Kindergärtnerin, konnte den Job aber nicht mehr ausüben, da sie die Betreuung für ihre Zwillinge nicht mehr bezahlen konnten. Ich sagte meiner Sekretärin, dass ich ihre Schwiegertochter am Montag Morgen treffen wollte. Wenn sie für den Job geeignet war, konnte sie ihre Zwillinge von mir aus mitbringen bis ich eine neue Haushälterin gefunden hatte.

Dann war der Samstag da und ich fuhr mit Jenny zur Tierklinik. Die drei Welpen waren enorm gewachsen, hatten die Augen auf und waren nicht wiederzuerkennen. Sie waren im wahrsten Sinn des Wortes quietschfidel. Statt in einem Karton reisten sie diesmal in einer Transportbox, die auch flugtauglich war.

Zuhause angekommen dachten die frechen Krümel nicht daran in ihrer Welpenstube zu bleiben. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie die ganze Diele erobert und hinterließen ihre Spuren. Nur Lucy blieb relativ gelassen. Ab sofort mussten wir alle Türen im Erdgeschoss geschlossen halten. Ich fragte in der ganzen Nachbarschaft nach alten Zeitungen, mit denen ich den Fußboden bedeckte. Der Tag war noch nicht vorüber, als ich der Verzweiflung nahe war. Das Haus näherte sich einem Zustand, den man getrost als verwahrlost bezeichnen konnte. Die drei Welpen waren mehr als aktiv, wenn man von Schlafpausen absah.

Am Abend klopfte es an der Tür. Ich ging hin, um zu sehen wer da kam und traute meinen Augen nicht. Anna stand vor der Tür. “Anna? Sie hier?” “Mr. Mushing, es tut mir leid.” Ich trat zur Seite, um sie herein zu lassen. Sie trat zögernd ein und blickte verlegen zu Boden. “Meine Schwester ist gestorben und ich musste zur Beerdigung.”, erklärte sie. “Aber warum in aller Welt haben Sie nichts gesagt. Ich hätte doch dafür Verständnis gehabt.” Jenny hatte ihre Stimme gehört und kam die Treppe herunter. “Anna, Anna!” Jubelnd warf sie sich in ihre Arme. Erst jetzt bekam ich mit wie sehr Jenny an Anna wirklich hing. Sie hatte ihr quasi die Mutterrolle übertragen. “Anna!”, sagte ich, “Ich bin froh, dass Sie wieder da sind und ich glaube, ich bin nicht der einzige.” “Jenny, geh Du in Dein Zimmer. Ich muss mit Anna reden” “Ich muss ihr auch was erzählen.”, wandte Jenny ein. “Ich sagte: GEH!” Jenny verzog sich schmollend nach oben. Ich ging ins Wohnzimmer und forderte Anna auf mir zu folgen. “Setzen Sie sich, Anna! Ich will jetzt wissen was los war. Warum haben sie nichts gesagt? Selbst Chris hat unentschuldigt in der Schule gefehlt. Ihre Handynummer ist abgemeldet. Jetzt reden Sie schon!” “Ich, ich…” Anna sah mich verzweifelt an. “Ich konnte die Miete nicht zahlen und der Verwalter hat mir gedroht. Darum musste ich verschwinden. Ich habe gar keine Schwester hier in Seattle.” Sie rang die Hände. “Anna, warum haben sie mir nichts gesagt. Ich hätte Ihnen helfen können.” “Ich wollte sie nicht belästigen. Schließlich mache ich hier nur den Haushalt und gehöre nicht zur Familie.” “Haben Sie gesehen, wie sehr Jenny Sie vermisst hat? Sie gehören sehr wohl zur Familie.” Sie sah schweigend zu Boden. Tränen liefen ihr übers Gesicht. “Um wie viel Geld geht es?”, fragte ich sie ganz direkt. “Ich schulde ihm die Miete für drei Monate. Das sind 2400 Dollar. Dazu kommt noch Strom und Telefon.” “Ich hätte nie zugelassen, dass eine Frau mit einem Kind auf der Straße landet. Wir regeln das gleich morgen früh. Wo ist eigentlich Chris?” “Der wartet draußen.” Ich stand auf und sah aus dem Fenster zur Vorderseite. Tatsächlich saß der Junge da. Schnell erreichte ich die Haustür und rief ihn herein. Er stand da wie ein begossener Pudel. “Ihr beide übernachtet heute erst mal hier.”

Aus Jacks Zimmer hörte ich laute Musik und brüllte, dass die Wände bebten: “Jack, Du hast Besuch!” Er reagierte nicht. “Jack!” Er schien auf den Ohren zu sitzen. Ich wandte mich an Chris: “Geh einfach zu ihm hoch.” Der Junge wartete nicht lange, sondern rannte die Treppe hoch, immer drei Stufen auf einmal nehmend. Einen Moment später war die Musik plötzlich aus und statt dessen hörte ich die Jungen herum toben.

Ich sah zu Anna herüber, die gedankenverloren aus dem Fenster sah. “Anna? Haben Sie überhaupt etwas bei sich? Ich meine an Kleidung für sich und Chris?” “Nein!”, antwortete sie. “Ich habe meinen Koffer in ein Schließfach gepackt an der Busstation.” “Kommen Sie, wir holen ihn. Auf dem Rückweg holen wir etwas vom Chinesen.” Bevor wir gingen, sagte ich den Kindern noch Bescheid, dass wir eine halbe Stunde weg sein würden.

Anna blieb im Auto, als ich den Koffer holte. Er war nicht so schwer wie ich erwartet hatte und war alt und abgenutzt. Das billige Material zeigte bereits Risse. Es sah nach einer hastigen, ungeplanten Flucht aus. Ein paar Minuten später stoppten wir bei unserem Lieblingschinesen und ließen uns ein üppiges Dinner einpacken.


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