Sterben, geboren werden, sterben, geboren werden. Das Leben auf der Erde ist ein -scheinbar – unendlicher Kreislauf. Einmal in einem Körper gefangen, entkommt man ihm nicht mehr. Der Körper ist das Einzige, das für uns wirklich ist, was wir nicht negieren können. Aber was passiert, wenn wir gestorben sind? Was passierte in den Generationen vor uns? Was wird in den Generationen nach uns passieren?
Die Historie lässt sich rekonstruieren, die Zukunft aber nicht vorhersagen. Und dennoch hält diese beiden Pole eine ununterbrochene Kette des Lebens zusammen, die nur im jeweilig gelebten Augenblick real erfahrbar ist. „Where to be born“ ist die bereits sechste Arbeit des jungen Theaterkollektivs .Evolve Theatre Company. Sie beschäftigt sich mit den menschlichen Vorstellungen rund um Leben und Tod. Dabei geht sie zugleich auch der Frage nach der eigenen Lebensverantwortung nach. Nach dem Warum des Leides und Entbehrungen ganzer Generationen und dem Warum des Überflusses, in den andere hineingeboren werden.
Die Individualität geht nicht verloren
Nach einem Konzept von Barbara Wolfram, Gründerin und künstlerische Direktorin des Kollektivs, erarbeiteten insgesamt neun junge Performerinnen und Performer das Stück, das an drei Abenden als Gastspiel im Schauspielhaus gezeigt wird. Alaa Ghamian, Tarek Ghamian, Elissaveta Grigorova, Sallar Othman, Elena Pichler, Negin Rezaie, Lara Rump, Susanne Siebel, Fabienne Swoboda präsentieren sich dabei als eine höchst sympathische, junge Truppe mit hoher Spielfreude, in der niemand seine Individualität verliert. Ganz im Gegenteil.
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Evolve Where to be born (c) Caspar Thiel[/caption]
Die Inszenierung, die nur zu Beginn vom gesprochenen Wort lebt, sich danach aber ausschließlich des Transportes von Bildern bedient, die das Ensemble kreieren, lebt von einer klugen Dramaturgie. Diese lässt ein Menschengeschlecht nach dem anderen sterben und wiederaufleben. Dabei finden wir uns in einem Moment auch unversehens in unserer Zeit, in der kurze Nachrichtensequenzen von großen TV-Stationen aus aller Welt, rasch hintereinander geschnitten, auf weiße Leinwände projiziert werden. Diese dienen kurz später als Leichentücher, erleben bald darauf aber auch noch weitere Einsätze. Wie jenen, in welchem die Menschheit erneut zu sich kommt und versucht, nicht kriegerisch, wie es zu Beginn der Fall war, sondern nun in Liebe miteinander auszukommen. Ganz der Darwin-Lehre verpflichtet, kreieren die jungen Performenden auch einen Garten Eden mit Fischen, Blumen, Vögeln und anderem Getier, das lautstark die Erde zu bevölkern beginnt.
Für die einen ein Spiel, für die anderen ein Albtraum
Kurz nach Beginn wird auch klar gemacht, dass wir Menschen zum Teil schon vor unserer Geburt mit einem Schicksal behaftet sind, das wir mit uns mittragen, ob wir wollen oder nicht. Und dass wir unser ganzes Leben nach der ultimativen Liebe unserer Eltern gieren. Was für die einen ein Lebensspiel, ist für die anderen Mühe und Plage, wenn nicht sogar ein Albtraum. Finden die einen liebende Partner, bleiben die anderen alleine.
Aber auch soziale und politische Umstände bestimmen das Leben der Menschheit maßgeblich. Deutlich wird das in Szenen, in welchen rohe Gewalt ein Machtgefüge von oben und unten hervorruft. Die „Choreografie“ folgt zwar einem großen, roten Faden, jedoch bietet sie allen genügend Freiraum, sodass sich die Teilnehmenden in ihrer eigenen Körpersprache auszudrücken können. Das unterscheidet die Inszenierung von vielen, bis ins Letzte durchkomponierten Tanz-Events, in welchen bis zur kleinsten Geste, bis zur kleinsten Bewegung kein Spielraum für einen individuellen Ausdruck bleibt. Und dennoch herrscht auf der Bühne kein Chaos und keine Anarchie.
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Evolve Where to be born (c) Caspar Thiel[/caption]
Der Geist der Gemeinsamkeit, das Gefühl etwas zu erschaffen, das erschaffen werden muss, schwappt im Laufe der Vorstellung mehrfach ins Publikum. In der großen Erzählung kommt auch ein Demiurg vor, der sich pfeifend von einem zu Grabe gebrachten Menschengeschlecht verabschiedet. Von einem, das „silberne“ Zeiten erleben durfte. Zeiten in welchen geliebt und menschenwürdig gestorben werden konnte. Mit der Idee eines Weltenherrschers, der das Weltgeschehen zumindest überblickt, wird den Menschen die Selbstverantwortung für ihr Tun jedoch nicht genommen.
Alleine der Zeitpunkt wann man auf die Welt kommt und wo, bestimmt zu einem großen Teil auch unser Leben auf dieser Welt mit. Das wird in dieser Inszenierung, die zwischen den Kategorien Theater, Tanz und Performance angesiedelt ist, überdeutlich. Die besten, aufregendsten Momente sind jene, in welchen multimedial gearbeitet wird, wie im Falle der „Elternprojektion“ oder der Nachrichtenschwemme. Trotz aller Morbidität, die dem Thema logischerweise innewohnt, transportiert die Inszenierung doch jede Menge an Hoffnung. Auch wenn die Welt Kopf steht und die Menschheit nichts Besseres zu tun hat als sich zu dezimieren: Die Welt weiß sich zu helfen, ist stärker als die Menschheit selbst und imstande, wieder aufs Neue ein Abenteuer mit der Menschheit einzugehen. So die beruhigende Botschaft, auch wenn unsere Generation es vielleicht nicht mehr erlebt.
Weitere Infos auf der
Homepage der .Evolve Theatre Company.