Nerven aus Gummiseilen

Am nächsten Morgen hielt ich es dann nicht mehr aus. Eigentlich wollte ich warten, bis wir in der Stadt Queenstown – der Welthauptstadt des Extremsports und des Schauplatzes des ersten Bungy Jumps – waren, aber Jere war durch die gute Campingerfahrung so motiviert die nächste Nacht auch wieder im Freien zu verbringen, dass ich ihn in die Geheimnisse dieses Tages einweihte. Zumindest nutzte ich das als Ausrede, um ihm endlich das zu sagen, was ich schon seit Tagen fast verplappert hätte – echt, ich bin so schlecht darin, ein Geheimnis zu behalten. Man müsste es mir eigentlich sofort ansehen, denn ich kann es einfach nicht lassen, um das Thema herum zu reden und Andeutungen zu machen! Doch Jere hatte keine der Andeutungen bemerkt und keinen Verdacht gehegt, dass er noch am gleichen Tag aus 134 Meter Höhe in den Abgrund springen „darf“.

Ich sagte es ihm direkt vor der Kamera und als sie aus war, glaubte er mir kein Wort. Ich musste ein paar Mal wiederholen, dass das sein Weihnachtsgeschenk von meine Mutti und ihrem Freund ist, bevor er es wirklich glaubte und augenblicklich anfangen konnte, nervös zu werden. Ein bisschen abgelenkt hat ihn noch mein Vorschlag, mit Hilfe des Blogs für mich eine kostenlose Zuschauerkarte zu ergattern. Wir sind ja beide nicht so gut im Handeln, aber mit ein bisschen Rumgerede hat es dann tatsächlich funktioniert und ich durfte als Kamerafrau mit, unter der Bedingung, unser Material vorher erst der Makatingbeauftragten zu zeigen und das Ganze in folgender Schreibweise zu verfassen: Bungy Jump. Der Nevis Sprung ist ein sehr bekannter Sprung in Neuseeland und der Anbieter A.J. Hackett Bungy macht das ganze zu einem Erlebnis.

In ganz Neuseeland sind gerade Festivals und so tranken wir noch einen Kaffee vor der großen Jazzbühne, die über einem kleinen Bach aufgebaut war. Und dann ging es los. Die Veranstalter versuchen ja, den Ort des Sprungs etwas geheim zu halten, denn auch an den Zuschauern wollen sie ja Geld verdienen. Der Canyon liegt eine Stunde außerhalt von Queenstown und ist von der Straße aus nicht zu sehen. Das ganze Gelände rund herum ist Privatgebiet, also keine Chance, sich hin zu schleichen. Einer der Teilnehmer hatte tatsächlich die Nerven, auf der Fahrt dorthin einzuschlafen. Aber auch er wachte am entscheidenden Teil der Strecke auf, nämlich als es eine halzbrecherische Straße ohne Sicherung hinauf auf den Berg ging. Aber für Extremsportler ist das ja nur das Vorspiel.

Angekommen, ging es rasant weiter. Alle, auch die Zuschauer, wurden in eine Art Sicherheitsgeschirr gesteckt, mit roter Kordel dran, die einen hindern soll, aus der Seilbahn, die zur Station über dem Canyon fuhr, heraus zu springen. Naja, die wissen halt ihre Zielgruppe einzuschätzen! Zusammen mit zwei anderen Verrückten fuhren Jere und ich gleich in der ersten Fuhre zur Station. Eine Spannung zwischen überspielter Angst und Erwartung machte alle etwas mundfaul. Ich konzentrierte mich aufs Filmen, um meine eigene Aufregung nicht zu sehr zu steigern. In der Station schmissen die zwei Mitarbeiter, die die Jungs an das Seil bunden, erst einmal agressive Musik an und alles ging relativ schnell zur Sache. Wahrscheinlich würden mehr Leute zögern, wenn dort nicht so eine Energie aufgebaut werden würde. Gleich als dritter war Jere an der Reihe und meine Beine zitterten. Ich hatte den vollen Adrenalinausstoß schon allein vom Zuschauen. Immer ist es eine kleine Metallplatte, von der aus die gruseligen Sachen beginnen – zumindest war es beim Skydiven auch so. In kleinen Tippelschritten, weil das Seil nicht mehr zuließ, hoppelte Jere auf den Abgrund zu. Und ohne sich zu versichern, ob auch alles wirklich an ihm fest gemacht war, mit vollem Vertrauen breitete er die Arme aus und kippte nach vorne. Ab einem gewissen Punkt, wenn das Seil sich strafft, gibt es einen Knall. Ich habe nicht ganz heraus gefunden warum, auf jeden Fall hat mich der Ton erschreckt und ich dachte, es sei etwas schief gelaufen, obwohl ich ihn bei den zwei Springern davor auch schon gehört hatte. Dann war alles auch schon vorbei, Jere wurde nach oben gezogen und ich war überzeugt, dass es ihm nicht gefallen hat, ehrlich! Ich dachte, er ist froh, dass es vorbei ist. Doch dann kam er mit einem Strahlen auf mich zu und wäre am liebsten noch mal gesprungen! So ein Irrer!

Meine Anspannung von Jeres Bungy Jump Erfahrung hat sich den ganzen Nachmittag nicht abgebaut und ich fühlte mich erst am nächsten Tag etwas besser.


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