NATO packt ein; Türkei am Nervenzusammenbruch
Am 8. Oktober hat die ‘Kollektive Sicherheitsallianz Organisation’ (CTSO) die Manöver ‘Unverbrüchliche Freundschaft’ begonnen. Das Szenario ist die Entsendung einer Friedensmacht in ein gedachtes Land, wo internationale Jihadisten und Terroristen-Organisationen auf dem Hintergrund von ethnischen und konfessionellen Trennungen operieren. Das akkreditierte Diplomatencorps, das zu den Übungen eingeladen war, hörte aufmerksam der Ansprache des stellvertretenden Generalsekretärs der Organisation zu. Er machte klar, dass die CTSO sich auf eine eventuelle Intervention im Nahen Osten vorbereitet. Und für diejenigen, die Taubheit vortäuschten, verdeutlichte Nikolai Bordjuscha, dass sein Stellvertreter nicht von Afghanistan sprach.
Die Genfer Erklärung, die von Kofi Annan am 30. Juni ausgehandelt wurde, sah die Entsendung einer Friedensmacht vor, wenn die syrische Regierung und die Opposition gemeinsam es verlangten. Die Freie Syrische Armee verwarf das Abkommen. Der Begriff ‘Opposition’ bezieht sich allein auf die politischen Parteien, die sich seither in Damaskus unter der Schirmherrschaft der russischen und chinesischen Botschafter getroffen haben. Da das Genfer Abkommen von dem Sicherheitsrat gebilligt wurde, kann die Entsendung der ‘Blaumützen’ geschehen ohne eine ad hoc Resolution. Valeri Semerikow erklärte, dass 4000 Männer bereits von der Friedensmacht registriert seien und 46 000 Männer für eine schnelle Mobilisierung bereitstünden.
Auf diesem Hintergrund vermehren sich die Anzeichen eines westlichen Rückzugs aus Syrien. Der Strom an westlichen Waffen und Kämpfern nimmt ab außer den Lieferungen, die von Saudi-Arabien und Katar finanziert werden.
Noch überraschender ist, dass bei sechs aufeinanderfolgenden Gelegenheiten das NATO-Kommando in Incirlik den Jihadisten Instruktionen gegeben hat, sich in bestimmten Gebieten neu zu formieren, um sich auf große Operationen vorzubereiten. Während die Syrische Arabische Armee, die für die Konfrontation mit Israels Armee ausgebildet wurde, schlecht auf einen Guerillakrieg vorbereitet ist, so ist sie doch auf konventionelle Kämpfe bestens vorbereitet.
In allen diesen Treffen hat sie die Truppenverbänder der Freien Syrischen Armee leicht eingekesselt und vernichtet. Obwohl die ersten Niederlagen der FSA auf taktische Irrtümer oder auf inkompetente Befehlshaber geschoben werden können, muss nach dem sechsten Debakel eine andere Hypothese erwogen werden: dass die NATO diese Kämpfer bewusst in den Tod schickt.
Im Gegensatz zur allgemeinen Vorstellung, ist die Motivation der Jihadisten genau gesagt nicht ideologischer oder religiöser, sondern ästhetischer Natur. Sie sind nicht darauf aus, für eine Sache zu sterben und kümmern sich nicht um die Zukunft Jerusalems. Sie nehmen eine romantische Haltung ein und versuchen, ihre Empfindungen entweder durch Drogen oder durch den Tod zu verstärken. Ihr Verhalten macht sie empfänglich für Manipulierung; sie suchen extreme Situationen, mit denen sie dann konfrontiert werden, wobei ihre Bewegungen total gesteuert werden.
In den vergangenen Jahren wurde Prinz Bandar bin Sultan der führende Architekt dieser Gruppen, auch der Al Qaida. Er lieferte ihnen Prediger, die ihnen ein Paradies versprachen, wo siebzig Jungfrauen ihnen exstatische Vergnügungen bereiten würden, nicht weil sie eine besondere militärische oder politische Tat vollbringen, sondern nur, wenn sie als Märtyrer stürben, wo immer Bandar sie brauchte.
Es scheint, dass Prinz Bandar von der Szene verschwunden ist seit dem Angriff auf ihn am 26. Juli. Er ist wohl tot. Von Marokko bis Sinkiang sind die Jihadisten sich selbst überlassen worden, ohne jede echte Koordinierung. Sie können von jedem beliebigen rekrutiert werden, wie die kürzliche Ermordung des US-Botschafters in Libyen bestätigt. Infolgedessen will Washington dieses riskante und beschwerliche Gesindel los werden oder zumindest ihre Anzahl reduzieren. Die Befehle, die sie von der NATO erhalten, sind dazu angetan, sie dem Feuer der Syrischen Arabischen Armee auszusetzen, das sie massenhaft auslöscht.
Kürzlich hat die französische Polizei einen Salafisten getötet, der ein jüdisches Geschäft angegriffen hat. Die folgende Untersuchung hat ergeben, dass er zu einem Netzwerk gehörte, das aus Leuten bestand, die nach Syrien in den Jihad gezogen sind. Die britische Polizei hat eine ähnliche Entdeckung nur wenige Tage später gemacht.
Die Botschaft aus Paris und London ist, dass die Franzosen und Engländer, die in Syrien getötet wurden, keine Agenten auf Geheimmission waren, sondern Fanatiker, die auf eigene Faust agierten. Das ist offensichtlich falsch, weil manche dieser Jihadisten Kommunikationsgeräte aus NATO-Quellen bei sich hatten, die von Frankreich und England geliefert worden waren. Wie auch immer, so markieren diese Ereignisse das Ende des franko-britischen Beistands auf Seiten der FSA, während Damaskus diskret die Gefangenen austauscht. Ein neues Blatt ist aufgeschlagen worden.
Unter diesen Umständen kann man die Frustration der Türkei und der Wahhabisten-Monarchien verstehen, die auf Verlangen der Allianz reservationslos in den geheimen Krieg investiert haben, jetzt aber das Scheitern der Operation alleine tragen sollen. Ankara setzte alles auf eine Karte und stieß eine Serie von Provokationen los, um zu verhindern, dass die NATO sich zurückzieht. Alles ist zulässig – von türkischem Granatenbeschuss syrischen Territoriums bis zum Kapern eines zivilen syrischen Flugzeugs. Aber diese Gesten sind konterproduktiv.
Zumal das syrische Flugzeug aus Moskau, das von türkischen Jägern zur Landung gezwungen wurde, keine Waffen enthielt, sondern Geräte zur Entdeckung von Sprengstoff zum Schutz von Zivilisten. Aber die Türkei will ja nicht, dass Russland Material liefert, um syrische Zivilisten vor Terroristen zu schützen, sondern will vielmehr die Spannungen erhöhen, indem es die russischen Passagiere misshandelte und ihnen keinen Kontakt zu ihrem Botschafter erlaubte.
Vergebliche Bemühung: die NATO hat nicht auf die Phantasie-Anklagen von Recep Tayip Erdogan reagiert. Die einzige Konsequenz ist, dass Präsident Putin seinen Besuch, der für Anfang Dezember vorgesehen war, auf unbestimmte Zeit verschoben hat.
Der Weg zum Frieden wird noch lang sein. Aber selbst wenn die Türkei jetzt oder die Wahhabiten-Monarchien später den Krieg zu verlängern versuchen, ist doch ein Prozess in Gang gesetzt worden. Die NATO packt ein und die Medien suchen sich schon andere Horizonte aus.
Aus dem Französischen von Michèle Stoddard
Aus dem Englischen von Einar Schlereth