Nathalie küsst

Erleben wir derzeit den französischen Film so frisch und unverbraucht, wie nie? Sprechen die Zahlen nicht für sich? „Ziemlich beste Freunde“ ist bisher der erfolgreichste Film des Jahres. „Und wenn wir alle zusammen ziehen“ präsentiert die creme de la creme der europäischen Schauspielliga. Genug Argumente, die für ein Mitreiten auf der Erfolgswelle sprechen. Das haben sich wohl auch die Brüder Foenkinos gedacht, die sich für ihr regiedebut Audrey Tautou geschnappt haben und sie nun wild um sich küssen lassen.
Nathalie führt sozusagen den Inbegriff einer harmonischen Beziehung. Francois ist ihr Mann für's Leben. Die wahre Liebe. Alles passt perfekt. Die Eltern verstehen sich hervorragend, der Heiratsantrag ist super romantisch und die Planung des Nachwuchses nimmt konkrete Formen an. In dem Moment, in dem man sich sagt, es klänge alles zu gut, um wahr zu sein, wird dieses Rosamunde-Pilcher-Gemälde brutal zerrissen Durch tragische Umstände kommt Francois ums Leben und Nathalie ist sich sicher, nie wieder lieben zu können. Um sich von Trauer und Schmerz abzulenken, lässt sie sich von ihrem aufdringlichen Chef mit Arbeit zu schütten. Der sieht natürlich durch das Ableben ihres Liebsten seine Chance und verstärkt seine Avancen. Eines Tages kommt ein eher unauffälliger Mitarbeiter Nathalies in ihr Büro. Was auch immer sie dazu treibt, lässt sie aufstehen und ihn einfach küssen, noch bevor sie seinen Namen erfährt. Sein Name ist Markus, er kommt aus Schweden und wird von Nathalie ziemlich verwirrt zurück gelassen.
Audrey Tautou ist vor allem dann ein Garant für einen guten Film, wenn sie in einer romantischen französischen Komödie auf der Suche nach der wahren Liebe ist. Wer hier allerdings ein ähnliches Erlebnis erwartet, wie seinerzeit die Reise in Jean Pierre Jeunet's „Fabelhafte Welt der Amelie“, wird enttäuscht werden. Die Brüder Foenkinos begehen in ihrem Erstling klassische, aber auch fatale Fehler bei der Inszenierung der Geschichte. Ob nun aus Mangel an Erfahrung auf dem Regiestuhl, oder eben aus Angst, Fehler zu machen, entschied man sich für den denkbar unspektakulärsten Stil, den man sich wohl vorstellen kann, wenn man an den typischen französischen Film aus den 80er und 90er Jahren denkt. Alles wirkt so altbacken und undynamisch. Perspektiven und Kamerafahrten wirken lahm und uninspiriert. Der Eindruck wird verstärkt durch eine kulissenartige Darstellung eines Großraumbüros, wie es wiederum in den 60er Jahren nicht besser hätte eingefangen werden können. Unfreiwillig komisch wirken da fast schon die Szenen, in denen die Continuity geschlammpt hat. In einer Szene während eines Dialogs zwischen Nathalie und Markus zum Beispiel drehen sich die Weingläser auf dem Tisch wie durch Zauberhand immer wieder hin und her; im nächsten Schnitt sind es plötzlich Biergläser.
All diese Dinge könnten jedoch verziehen werden, und man könnte sich auf eine oberflächliche aber nette Komödie einlassen, wären wenigstens die Figuren und ihre Beziehungen ausführlich konstruiert. Doch auch die wirken irgendwie farblos und nicht überzeugend. Audrey Tautou gibt sich wohl große Mühe und wirft all ihr Können in die Waagschale. Dieses Potential wird nicht genutzt. Sympathischer ist da schon Francois Damiens als etwas trotteliger Bürotroll, dessen reduzierte Darstellung sogar für einige dezente Schmunzelattacken sorgt.
„Nathalie küsst“ wirkt uninspiriert und farblos. Fast wie eine ungeliebte Probenfassung des Jeunet-Meisterwerks. Möglicherweise haben sich die beiden Regieneulinge daran orientiert, konnten aber weder mit den Einflüssen Jeunets, noch mit den Vorgaben des Skripts wirklich viel anfangen. Das Rezept scheint hier eindeutig zu sein: Oberflächlichkeit, flache Dialoge und eine krampfige Langatmigkeit ergeben Langeweile in Reinform. Schade!
La Délicatesse (F, 2012): R.: Les Frerres Foenkinos; D.: Audrey Tautou, Francois Damiens, Bruno Todeschini, u.a.; Offizielle Homepage
In Weimar: lichthaus
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