Nahrungsmittelsouveränität: Agrargelder dienen zuallererst dem Verbraucher

Nahrungsmittelsouveränität: Agrargelder dienen zuallererst dem Verbraucher Dieser Artikel kam von Wolfgang Rosner als Kommentar, aber ich denke, es sollte einen Artikel wert sein , zumal es sogut zum Thema Cargill passt

„Marktgleichgewicht“ im Lebensmittelmarkt erfordert entweder „Nachfrager, die nicht zum Zug kommen“, was ziemlich euphemistisch den Tatbestand des Verhungerns beschreibt. (vgl. Jean Ziegler, Imperium der Schande)

Oder soviel Überschuß und Preisdruck, daß kein Bauer von seiner Arbeit leben kann.

Wer behauptet, Nahrungsmittelmärkte seien Märkte wie alle anderen und müßten sich durch Angebot und Nachfrage selber regeln, der hat entweder das Prinzip des Marktes nicht verstanden oder macht sich mitschuldig am Völkermord an ca 12 Mio verhungerten Menschen pro Jahr.

Und trotzdem wird dieses Credo überall, auch an unseren Landwirtschaftsschulen, täglich gelehrt.

gesandt am 10.Juni 2009 als Leserbrief an eine Zeitung zum Thema „Bauern brauchen Veröffentlichung der Agrargelder nicht zu fürchten

Ist es für uns Bauern nicht schön, wenn Kommentator Alexander Pausch sich vermeintlich auf unsere Seite schlägt und die Agrargelder als berechtigten Gegenwert für die „landeskulturelllen Leistungen“ darstellt?
Oder ist die Degredierung der Bauern zum „Landschaftsgärtner der Nation“ gar eine der sichtbaren Spitzen des Ursachen-Eisberges, wenn man in den letzten Wochen manchmal schon befürchten konnte, es würde sich ein Bauernaufstand zusammenbrauen?
Haben wir es tatsächlich schon vergessen?
Die Bauern produzieren zu allererst´
Lebensmittel das, was wir täglich auf unseren Tellern haben.

Die Ursprünge der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik der EU) gehen zurück auf das Westeuropa der fünfziger Jahre, also auf die Nachkriegsjahre, als die Landwirtschaft darniederlag und die Lebensmittelversorgung nicht gesichert war. Schwerpunkt der GAP war ursprünglich die Steigerung der Produktivität, damit die Versorgung der Verbraucher mit erschwinglichen Nahrungsmitteln gesichert war, aber sie sollte auch einen lebensfähigen Agrarsektor in der EU gewährleisten.“

Die Nutzer der Agrarzahlungen sind zu allererst und bis zum heutigen Tage die Verbraucher in Form von historisch einmalig niedrigen stabilen Lebensmittelpreisen und nahezu 100% iger´Versorgungssicherheit.

Ein guter König im Mittelalter, sagt man, hätte für 3 Jahre Vorräte für sein Volk gelagert. Obwohl die diversen „…Berge“ der EU wohl kaum für 3 Monate reichen würden, ist bis heute noch kaum jemand in Europa verhungert.
Die Weltmärkte verramschen nur Überschüsse zu DumpingPreisen.
Eine verläßliche Versorgung garantieren sie nicht und wenn, dann nur für die Reichen.
Siehe Haiti, 2008, aber auch Südostasien.

Die Marktfetischisten (im Wesentlichen die selben, die uns die gerade laufende Wirtschaftskrise eingebrockt haben) predigen immer wieder:

  • Der Nahrungsmittelmarkt ist ein Markt wie jeder andere und muß sich durch Angebot und Nachfrage selbst regulieren“.

Was die Freihandelspriester selten dazu sagen:
Anpassung der Nachfrage“ bei knappem Angebot heißt nicht einfach, einen Schnittpunkt auf einer imaginären Kurve im Lehrbuch zu verschieben, sondern für den Betroffenen knallhart „Hunger“.
Täglich scheiden tausende Menschen auf diesem Planeten endgültig als Nachfrager aus dem Markt aus: Tod durch Verhungern.
„Anpassung des Angebots“ bei Überproduktion heißt, daß landwirtschaftliche Existenzen meist´unwiederbringlich vernichtet werden.
Damit geht jedesmal auch ein Stück Stabilität und Sicherheit der Lebensmittelversorgung des betreffenden Landes vor die Hunde.
Die Entwicklungshelfer wissen davon zu berichten.
Nahrungsmittelmärkte sind von Natur aus schwankend:

  • Weil Wetter und Schädlingsgeschehen nicht konstant sind, schwankt das Angebot.
  • Die Anpassung des Angebots erfolgt jedoch sehr langsam mindestens in Jahren (Anbau von Ackerfrüchten),
  • oft erst (Investitionen in Stallbau sind z.B. eine Lebensentscheidung) im Takt von Generationen.

Die Nachfrage (= „Essen“) dagegen erfolgt täglich.
Schwankungen werden im freien Markt erst zeitlich verzögert, dann aber in überhöhter Form als Überreaktion von Preis und Menge ausgeglichen. In der Schule (Marktwirtschaft, 2. Unterrichtsstunde) lernt man das als „Schweinezyklus“.
In den Schwellen- und Entwicklungsländern, wo unter dem IWF-Diktat „freier Markt“ erzwungen wird, spüren die Menschen diese Zyklen im eigenen Magen.

Es gibt aber auch Nutznießer dieser Schwankungen:
Zum einen sind es die Spekulanten, denn nur in schwankenden Märkten läßt sich mit Spekulation richtig Geld verdienen. Terminkontrakte, die Mutter aller
Derivate, sind auf den Nahrungsmittelmärkten schon immer zuhause.
Vor der „Wirtschaftskrise“ wurde berichtet, daß Getreide von der Ernte bis zum Verbrauch 30 mal gehandelt würde. Letzte Woche lag diese Zahl schon bei 50.

Zum anderen profitieren die Lenker des monopolisierten Kapitals. Denn wenn im Zuge der Schwankungen ein Bauer aufgibt, weil nach einer guten Ernte seine Produkte nichts mehr kosten, wird sein Boden von einem anderen bewirtschaftet, der „grad noch kann“. Dies passiert in jedem Zyklus wieder. „Wachsen oder Weichen“ heißt die Devise in der Landwirtschaft der letzten 50 Jahre. Kein bäuerlicher Betrieb kann dieses Wachstum selber finanzieren, er muß sich zunehmend verschulden. Werden diese Kredite dann auch noch verbrieft, gebündelt und gehandelt (wogegen sich unserer Raiffeisenbanken hoffentlich noch lange erfolgreich wehren), dann steht der Weg frei, daß der Boden als Lebensgrundlage unserer Menschen zum Spielball internationalen Großkapitals wird.

Nach der Kontrolle der Kapitalmärkte und der Energiemärkte steht derzeit die Monopolisierung der Nahrungsmittelmärkte ganz weit oben auf der Agenda der „Weltaufkäufer“. Wir „breite Masse“ dürfen derweil schön weiter im Hamsterrad laufen und brav für die Vermögensmehrung der Superreichen strampeln.
Wen wundert es also, daß genau aus diesen Kehlen das schrille Lied des freien Markten weiter lauthals zu vernehmen ist?
Länder wie Argentinien, Brasilien oder Rußland sind (IWFgezwungenermaßen) drauf rein gefallen und durch Verarmung der Bevölkerung vom Status der Schwellenländer auf das Nievau eines Entwicklungslandes zurückgefallen.
Indien dagegen hat sich entgegen dem Trend die Souveränität über seine Nahrungsmärkte weitgehend erhalten und erfreut sich wachsenden Wohlstandes.

Kein entwickeltes Land auf dieser Welt, keine verantwortungsbewußte Regierung, leistet sich freiwillig den Leichtsinn, die Nahrungsmittelversorgung seiner
Bevölkerung alleine vom Weltmarkt abhängig zu machen.
Wenn die EU-Agrarpolitik heute vielen Außenstehenden, aber auch vielen´Landwirten, als irrwitziges Monster sinnlos erscheinender, bürokratisch gespickter Detailregelungen erscheint, dann in hohem Maße deswegen, weil in diversen von WTO, GATT und anderen Freihandelsfetischismen getriebenen Kämpfen der ursprüngliche Sinn Sicherstellen der Nahrunsgmittelsouveränität immer wieder unterminiert wurde und hinter anderen Vorwänden z.B. eben landeskulturellen oder Umweltleistungen versteckt´werden mußte.

Trotzdem konnte sich die EU bisher die Nahrungsmittelsouveränität noch weitgehend erhalten.
Wenn die Veröffentlichung der Zahlungen über eine Neiddiskussion Landwirte und Verbraucher entzweit, dann haben die Freihandelspriester ihren nächsten Teilerfolg erzielt.
Wenn darauf hin (vielleich in Zeiten knapper Kassen?) beschlossen wird, daß uns die „Landschaftsgärnterei“ zu teuer wird, dann werden viele bäuerliche´Betriebe vor dem Ende stehen und als pflückreife Äpfel in den Schoß der Kapitalgeber fallen.
Wenn die Verbraucher dann im Supermarkt feststellen, daß sie beim Essen´genauso abgezockt werden wie heute beim Tanken, dann ist es nicht mehr
rückkgängig zu machen.
Wenn wir dann gar noch in einen Krieg gezerrt werden, um Nahrungsgrundlagen in´fremden Ländern zu sichern, weil wir die eigenen verzockt haben so
wie wir heute in Kriege ums Öl verstrickt werden will es wieder niemand gewesen sein.
Es fällt sicher schwer, den Sinn von Nahrungsmittelsouveränität zu verstehen, wenn zwei Generationen keinen Hunger mehr verspüren mußten,  Strom kommt aus der Steckdose, Milch kommt aus dem Supermarkt.

Was man im Überfluß hat, das schätzt man nicht.

Aber ein Blick über den Tellerrand in andere Länder oder zurück in die Geschichte sollte jedem zu Denken geben.
Essen ist ein Grundrecht, das man tunlichst nicht verspekulieren und verpfänden sollte.

danke Wolfgang für Deinen Beitrag !


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