© Concorde Filmverleih GmbH / Martina Gedeck und Jeremy Irons in “Nachtzug nach Lissabon”
Ein einsamer Mann kann sich schon mal in so manche Sinnkrise stürzen. Von seiner Frau verlassen empfindet sich Raimund Gregorius, eine lang ersehnt-ernstzunehmende Rolle für Jeremy Irons, als Langweiler, der weder eine aufregende oder bedeutsame Vergangenheit vorzuweisen hat, noch sich auf eine entsprechende Zukunft hinzu bewegt. Er führt zu seiner eigenen Missgunst ein ganz herkömmliches Dasein, aus dem er erst hinaus gerissen wird, als er eine junge Portugiesin vor dem Sprung von der Kirchenfeldbrücke in Bern bewahrt. So beginnt die Geschichte „Nachtzug nach Lissabon“ sowohl in der gleichnamigen Romanvorlage von Pascal Mercier wie auch in der Verfilmung des dänischen Regisseurs Bille August, der seinen Film mit allerhand internationaler Darstellkünste gespickt hat. Allen voran Jeremy Irons, der sich in seiner Rolle selbst beflügelt durch ein Buch in das Leben eines anderen Mannes namens Amadeu träumt, das reich an abenteuerlichen Erfahrungen daherkommt. Lange hat man auf dieses Feuer in den Augen von Irons verzichten müssen, welches er hier immer dann entfacht, wenn er als Gregorius voller Begeisterung den Geschichten der Menschen lauscht, denen er im Verlauf seiner Reise begegnet.
Diese Reise wird durch dieses Buch in Schwung gebracht, das die junge Frau, die er vor dem Selbstmord bewahrt, zurücklässt. Es stammt von Amadeu de Prado, einem portugiesischen Arzt, dessen Lebensgeschichte Gregorius nach Lissabon führt. Dort begibt er sich auf die Suche nach Amadeu und findet sich in einem Puzzlespiel voller politischer und emotionaler Intrigen wieder. Sein Weg führt ihn durch Zeit und Raum, er bekommt Einblicke in historische Hintergründe, philosophische Fragen und medizinischen Belangen. Er trifft aber auch auf die Liebe und damit auf ein Abenteuer, welches für ihn zur befreienden Suche nach dem eigenen Sinn des Lebens wird.
Jeremy Irons und Martina Gedeck
Fortan durchlebt Gregorius in zwei Zeitepochen erzählend die Geschichte einer Revolution, einer Liebe, eines aufregenden Lebens – sowohl in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart, wandert Jeremy Irons durch Lissabon, dem heimlichen Hauptdarsteller dieses Films. Der Schweizer Kameramann Filip Zumbrunn („Guilias Verschwinden“) fängt die verträumte Architektur der Stadt vom kleinsten Kiosk über Gassen, alte Gemäuer bis hin zum Rio Tejo ein. Aus diesen Bildern macht Regisseur August dann eine Spurensuche in der Vergangenheit, die mit ihren mysteriös-romantischen Zügen zuletzt nur in Woody Allens „Midnight in Paris“ so stadtverbunden inszeniert werden konnte.
Gibt sich der Film dann aber erst der eigentlichen Erzählung hin, verwandelte er sich stark in ein Personen fokussiertes Drama, bei dem Jeremy Irons als geduldiger Zuhörer den Geschichten verschiedenster Menschen lauschen darf, die allesamt ein bewegtes Leben hinter sich haben, dass dem langweiligen Lehrer ein Glitzern in die Augen treibt. Dabei erfährt er von den drei Freunden Amadeu (Jack Huston), Jorge (August Diehl) und Joao (Marco D’Almeida) sowie der schönen Estefania (Mélanie Laurent). Mit einer Ausnahme sind dies alles Figuren die in jungen Tagen wie auch in der späteren Gegenwart, in die die Rahmenhandlung immer wieder zurückkehrt, von älteren Darstellern gespielt als Wegbegleiter dieser Geschichte fungieren. Sie sind es, deren Leben geschildert wird, während sich Gregorius nur treiben lässt. Selbst die junge Portugiesin, die er zu Beginn des Films retten durfte, findet sich irgendwann in dieser Geschichte wieder, mit einem Vater der als „Schlächter von Lissabon“ bekannt und berühmt wurde.
Bruno Ganz
Besonders sind dann eben diese Wechsel von Jung- zu Altdarstellern gelungen, die sich durch die zeitlichen Episoden spielen. August Diehl und Bruno Ganz als ein und dieselbe Person zu sehen mag anfangs etwas merkwürdig anmuten, aber beide verleihen ihrer Figur wiedererkennbare Charakterzüge, einmal in unbeschwerter Jugendhaftigkeit, dann im gesetzten Altersgram. Wo Mélanie Laurent die von Amadeu und Jorge angebetete Estefania mimt, übernimmt die Schwedin Lena Olin, Ehefrau des in Hollywood erfolgreichen Regisseurs Lasse Hallström, in alten Jahren diese Rolle. Das Zugehörigkeitsgefühl der Rollen wird durch Visualität bekräftigt, durch Verhaltensmuster aber erst aufgebaut. Nur Martina Gedeck darf sich an der Seite von Jeremy Irons über die Einzigartigkeit ihrer Mariana freuen, gänzlich ohne Wurzeln in der Vergangenheit der Geschichte von Amadeu de Prado. Sie bekommt dann auch die ehrenvolle Aufgabe, Gregorius mit einer neuen Brille auszustatten, nachdem ihm seine zu Bruch gegangen ist. Die neuen Augen gewähren dann auch sofort einen neuen Blick auf sein neues Leben. Das Alte wird abgeworfen, durch die neuen Augen wird der Blick aufs unvorhersehbare Abenteuer gewagt.
Und am Ende ist es dann nicht Amadeu de Prado, dessen Geschichte berührt. Vielleicht ist es nicht einmal der Film, der innerliches Wohlbefinden aufkommen lässt, sondern einfach nur Jeremy Irons, dieser britische Gentleman, dem regelmäßig in Fantasyfilmen von „Dungeons & Dragons“ bis „Eragon“ Leid zugefügt wird. Nun aber darf er mit Spaß und Leichtigkeit, mit Mimik und Gestik diese Rolle ausfüllen, durch die alten Teile Lissabons streifen, den Zuschauern die Mysterien dieser Stadt und des Lebens vermitteln.
“Nachtzug nach Lissabon“
Originaltitel: Night Train to Lisbon
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: D / CH / P, 2012
Länge: ca. 111 Minuten
Regie: Bille August
Darsteller: Jeremy Irons, Mélanie Laurent, Jack Huston, Martina Gedeck, Tom Courtenay, August Diehl, Bruno Ganz, Lena Olin, Charlotte Rampling
Deutschlandstart: 7. März 2013
Offizielle Homepage: nachtzug-nach-lissabon.de