Nachtrag Causa Sarrazin / Shaheen und die Evil Arabs

Letzte Woche habe ich mich hier wegen der m.E. "suboptimalen" Reaktion Ralf Stegners auf Thilo Sarrazins Buch und Thesen geärgert (ich bitte um Verzeihung für die Behelligung).
Auf WELT ONLINE ist jetzt ein Kommentar von Henryk M. Broder (kein Unbekannter in Sachen Political Correctness- und Toleranz-, Einwanderungs- und Islam-Debatte bzw. -Polemik) erschienen.
Dabei sei noch einmal erwähnt, dass es gar nicht um Sarrazins Position oder das Thema selbst, vor allem das Gebiet der unerträglichen Genetik-Soziologie, geht - sondern einzig und allein um die Diskussionskultur in Deutschland und das Gut der Meinungsfreiheit an sich.
Ich erlaube mir daher, Broder zu zitieren:
(...) Und als gäbe es in Deutschland wieder eine Reichsschrifttumskammer, die für Sprachregelung zuständig wäre, wurde die Floskel „nicht hilfreich” inzwischen einige Tausend Mal wiederholt: von andern Politikern, Kommentatoren und den Linienrichtern der „Political Correctness”. Die Interviews, die mit dem Verfasser des „wenig hilfreichen” Buches gemacht werden, gleichen Verhören, wobei das abschließende Urteil von vornherein feststeht: wenig hilfreich, kontraproduktiv, der Integration abträglich und dem deutschen Ansehen im Ausland nicht bekömmlich. Allesamt Kriterien, mit denen autoritäre und totalitäre Regimes ihre Kritiker stillzulegen versuchen. Der Gedanke, dass eine Demokratie vor allem von „falschen” Meinungen lebt, die eine Diskussion befördern, ist im Abgrund der kollektiven Empörung verschwunden.

Das Thema an sich ist nun sehr spannend und passend weil es mich permanent, wenn auch nur ein wenig, an einen der Key Speaker der nächste Woche stattfindenden Konferenz Screens of Terror in London, erinnert, und der auch eine wichtige Persönlichkeit darstellt, mit der ich in meinem Vortrag in London beschäftigen werde.
Die Rede ist von Prof. Dr. Jack Shaheen, Autor z.B. von Büchern wie Reel Bad Arabs: How Hollywood Vilifies a People, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen die Stereotypisierung bzw. Verunglimpfung von Muslimen und Arabern v.a. in Spielfilmen anzugehen. Das ist ehrenwert und vielleicht auch nötig. Doch einige Voraussetzungen, Annahmen und Schlüsse Shaheens erscheinen mir problematisch. Sie wären kaum erwähnenswert, wenn nicht Shaheen mit seiner Arbeit, seinen Büchern, Artikeln, Vorträgen und Engagement (sei es in Form von Beratungsangeboten oder aber Protesten und Vorwürfen - ein legendäres Beispiel ist der Film THE SIEGE), einen solchen Einfluss und ein solches Ansehen hätte.
Wer boshaft wäre, könnte angesichts seiner Reden und Texte das Konzepte Third Person Effects und des Meta-Stereotypes ins Feld führen. Zumal Shaheens Einschätzungen, wann und wie ein Film rassistisch und diffamierend ist, einzig auf persönlichen, subjektiven Urteilen beruht...
Einen seiner Vorträge findet sich in voller Länge hier im Anschluss. Wohl denselben (da mit demselben Titel) wird er kommenden Donnerstag an der Londoner South Bank University halten.
Problematisch finde ich in dieser Lecture (wie in seinen Publikationen) bzw. in ihrer Argumentation - auch und gerade wenn es mir nur um die Darstellung von "muslimischen" / "arabischen" Terroristen im Film geht -, dass
- Dr. Shaheen automatisch jede Darstellung eines arabischen/muslimischen Terroristen (oder sonst einer Figur) als repräsentativ für ALLE Muslime und Araber veranschlagt. Dies ist wohl das Ergebnis seiner Forschungsperspektive: Shaheen sucht nach den "Evil Arabs", und findet diese in den Terroristen. Für mich wiederum, dank meines Interesses, ist es andersherum: für mich zählt die "Identität" als Terrorist mehr - und weshalb sollte ich zu dem Schluss gelangen, dass diese oder jene Terrorismus-Darstellung stellvertretend für ALLE Terroristen stünde? Mit derselben Logik - wenn auch natürlich etwas alberner - könnten sich Milliardäre beschweren, BATMAN gehöre verboten, weil man sie sonst der nächtlichen vermummten Verbrecherjagd verdächtige...
- er einer allzu simplen Medienwirkungsvorstellung anhängt, die das Publikum als hilflose und passive Opfer einer rein aus manipulativ-propagandistischen Medieninhalte oder gar einem "Virus" der Stereotypisierung ansieht.
- er in diesem Zusammenhang die Stereotypisierung von Actionfilmen undifferenziert mit der antisemitsichen Propaganda der Nazis gleichsetzt (und dabei Leni Riefenstahl quasi mit Veit Harlan "verwechselt"). Das ist schon allein deswegen "unfair", weil im sog. "Dritten Reich" die anti-jüdische Hetze umfassend und unmenschlicher eingebunden war: in die rassistische Gesetzgebung, eine rassistische Politik die Menschen systematisch und massenweise deportierte und ermordete...
- Dr. Shaheen viel zu wenig darauf eingeht, inwiefern sich Spielfilme am realen, ja nun, doch auch von Arabern und Muslimen begangenen terroristischen Taten orientiert. Shaheen zeigt während seines Vortrags einen Ausschnitt aus seinem Dokumentarfilm "Evil Arabs", der wiederum einen Clip aus dem viel gescholtenen Actionfilm THE DELTA FORCE der berühmt-berüchtigten Golan-Globus-Firma Cannon Film mit Chuck Norris und Lee Marvin "zitiert". In der Szene übernehmen Palästinenser eine Passagiermaschine - und separieren Israelis und Juden von den übrigen Reisenden. Das Problem an diesem Ausweis, wie rassistisch und verunglimpfend hier "die" Palästinenser dargestellt werden ist, dass der Film sich auf die reale Entführung des TWA-Fluges 847 im Jahr 1985 stützt, dabei teilweise sehr genau ist: Auch wenn die Hijacker weniger Fatah-Kämpfer waren als Mitglieder einer mit der Hisbollah-assoziierten Gruppe, fand eben diese "Selektion", die nicht umsonst an die KZ-Deportationen der Nazi gemahnte, tatsächlich statt. Ebengleiches geschah auch während der Entführung des Air-France-Fluges 1976, an dem auch Mitglieder der deutschen "Revolutionären Zellen" teilnahmen und der von einem israelischen Kommando-Einsatz in Entebbe beendet wurde.
- Shaheen wenig bis gar nicht berücksichtigt, dass und wie sich Filme hinsichtlich Genre und damit Ernsthaftigkeits- und Wahrheitsanspruch unterscheiden - und entsprechend unterschiedlich "wirken" mögen und
- in diesem Zusammenhang eben eine "sozialschädliche" Wirkung schlicht postuliert wird, die prompt, durch eine Reaktion aus dem Publikum und Shaheens Antwort - mal wieder - den Weg in Richtung Zensur weißt! Um aber auf Shaheens Beispiel und Niveau der Argumentation zu bleiben: Die Nazis haben systematisch gegen (nicht nur) ein Volk, eine Kultur und Religion gehetzt und dabei stereotypisiert. Aber sie haben eben auch Bücher verbrannt und Kunst "entartet". Das sollte Dr. Shaheen bei seinem Vergleich mitbedenken.
- dass mit Shaheens kategorische, gar radikale Haltung kein subversiver Umgang mit Stereotypen wie z.B. in satirischer Form denkbar wird und, auch
- grundsätzlich eine spezifische Art von Erzählung und Darstellung "verboten" wird. Denn auch wenn Shaheen klug und richtig argumentiert, dass die GESAMTE Darstellung von Araber und Muslimen tendenziös sei und diese Gesamtheit, nicht einzelne Filme, das Problem seien, ist davon wenig zu spüren, wenn es schließlich doch um "Einzelbeispiele" geht. Und das ist auch nicht anders denkbar - wie soll ein "schädlicher" "rassistischer" Film akzeptabel sein, nur weil es genug "Gegengewicht" gäbe? Überhaupt, wie müsste man sich eine Ausgewogenheit vorstellen? Durch Quoten? Ein "Evil-Arab"-Terroristenfilm würde verpflichten, einen netten, "realistischen" Muslim zu zeigen, in einem Drama, einer Komödie? Wer wird darauf verpflichtet, das Studio, der Regisseur? Gibt es ein Berechnungsmodell: Ein richtig böser "Arab"-Terrorist wiegt schwerer als einer, der wenigstens in einem kurzen Monolog (wie es ihn auch schon in THE DELTA FORCE gibt) sein Leid als Beweggrund erläutern darf? Darf angesichts dieses etwas ambivalenten "Evil Arabs" der im Gegen-Film dargestellte "Good Arab" im Gegenzug auch ein bisschen zwiespältiger sein?
Dass ist natürlich Unsinn, aber zu so etwas führt die eindimensionale, ja auch nicht wissenschaftliche sondern politische Argumentation Shaheens (in einer Mischung aus Stegner und Sarrazin) nun mal, und es ist ja auch höchst heikel und unbequem, diese Zwickmühle, denn NATÜRLICH und ZURECHT wollen wir keine Filme, die andere verletzen und Vorurteile und Rassismus schüren, aber wo ist die Grenze und kann man die ein für allemal (und für alle Menschen gültig) festschreiben?

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