Nachruf auf Thatcher

Von Stefan Sasse
Gestern ist Margret Thatcher im Alter von 87 Jahren verstorben. Thatcher war und ist eine Ikone dessen, was erst lange nach ihrer Amtszeit als Premierministerin als "Neoliberalismus" bekannt werden sollte. Es ist nicht bekannt, wie sie auf Tony Blairs Politik reagiert hat, der nach 18 Jahren der Tory-Dominanz deren Politik wenn nicht nahtlos, so doch im Geiste fortführte, indem er ihre Prämissen anerkannte. Vielleicht hat sie gelächelt.
Verdient hätte sie sich dieses Lächeln. Thatchers politische Karriere katapultierte sie zum ersten Mal 1973 ins Rampenlicht, als sie als Schulministerin in einem mittlerweile zum Mythos gewordenen Zug die kostenlose Schulmilch abschaffte und damit eine Konsequenz in ihrer Feindlichkeit gegenüber aller Sozialstaatlichkeit bewies, die keine Angst vor negativer Presse bezeugte. Diese Eigenschaft kam ihr sicher gelegen, als sie, 1979 zum Premier gewählt, den bisherigen britischen Strukturen den offenen Kampf ansagte. Diese Strukturen befanden sich bei ihrer Amtsübernahme seit über einem Jahrzehnt in der Dauerkrise: Inflationsraten von über 25%, Arbeitslosigkeit, Streiks und Rezession hatten sich zum Narrativ des "British Decline" verdichtet, einer fatalistischen Einsicht, dass sie Tage des Empire für immer vorbei waren. Für Thatcher war das Nonsens. 

Nachruf auf Thatcher

Thatcher 1990

Sie behauptete, dass die Ursache in einem ausufernden Sozialstaat und in einer zu großen Macht der Gewerkschaften zu suchen seien. Beidem sagte sie den Kampf an. Sozialprogramme wurden radikal gekürzt, während die Gewerkschaften nach ihrem Willen bedeutsame Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen sowie Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen - "Flexibilisierung" - hinnehmen sollten, um die Konkurrenzfähigkeit Großbritanniens zu verbessern, die sie als zu schlecht einschätzte. Die Gewerkschaften stellten sich ihr in dem entgegen, was ein fast einjähriger, teils brutaler, in jedem Fall aber unerbittlicher Streik werden sollte. Im Frühjahr 1985 ging den Gewerkschaften die finanzielle Puste aus, ohne dass die "Eiserne Lady" ihnen auch nur ein Jota entgegengekommen wäre. Von dieser Niederlage haben sie sich bis heute nicht mehr erholt; ihr letztes Aufbäumen machte den Weg frei für die Transformation Großbritanniens von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, eine Transformation, die für andere Reformer ihrer Couleur in ganz Europa vorbildhaft wirken sollte. 
Doch auf einem Gebiet machte Thatcher keine Kompromisse, wenn es um die Macht staatlicher Institutionen ging: beim Militär. Sie war nicht bereit, das faktische Ende des britischen Großmachtstatus' anzuerkennen. Als Argentinien 1982 in einer grotesken Verkennung ihres Charakters beschloss, die britischen Falklandinseln, auf die es seit Jahrzehnten Ansprüche erhob, mit Gewalt einzunehmen - wohl in der Hoffnung, dass die britische Schwäche einen Gegenschlag verhinderte - mobilisierte sie die Flotte, entsandte eine Invasionsstreitmacht und eroberte die Inseln von Argentinien zurück, alleine, ohne Hilfe der NATO oder der USA. Es war ein letztes Aufbäumen der alten Großmacht Großbritannien, eine reine Machtdemonstration, eine Geste aus einer eigentlich längst vergangenen Zeit, aber die Briten liebten sie dafür. Praktisch über Nacht wurde die "Eiserne Lady" von der gehassten Premierministerin zur Ikone und gewann ihre Wiederwahl 1983 spielend.

Nachruf auf Thatcher

Thatcher mit George H. W. Bush

Man vergleicht Thatcher häufig mit Ronald Reagan, mit dem sie eine Freundschaft und Gemeinsamkeit im Geiste verband. Auch Reagan läutete nach seinem Wahlsieg 1980 eine "konservative Revolution" ein, die eine Schwächung der Gewerkschaften, eine Beschneidung sozialstaatlicher Leistungen, Stärke nach außen und so genannte "Strukturreformen" beinhaltete. Der Vergleich führt trotzdem in die Irre; Thatchers Wirkung war wesentlich revolutionärer als Reagans, der bereits relativ früh zu Kompromissen und Steuererhöhungen gezwungen war. Thatcher hielt von solcherlei Kompromissen wenig; ihre Transformation war wesentlich gründlicher und radikaler. Die Folgen entsprachen dem Vorgehen. Ganze Bevölkerungsschichten rutschten in die Armut ab, Menschen, die bereits arm waren, rutschten zusätzlich in die soziale Ächtung, während andere unermesslich reich wurden. 
Thatcher-Apologeten erklären heute noch, dass die Reformen, obgleich schmerzhaft, so doch notwendig waren, während Thatcher-Gegner auf die Kälte verweisen, die sie ausstrahlte. Sie war wahrlich eine eiserne Lady: hart, unnachgiebig, kalt und spröde. Egal wie man sie bewertet, man wird nicht verleugnen können, dass ihre Wirkung auf Großbritannien so formend war wie die keines Premiers seit Winston Churchills erster Amtszeit. Großbritannien war 1990, als ihre Partei sie wegen ihres zunehmend radikalen Kurses in der Europa-Politik zum Rücktritt zwang, ein gänzlich anderes Land als bei ihrem Amtsantritt 1979. 
Bildnachweise:  Thatcher 1990 - Jay Galvin (CC-BY-SA 2.0) Thatcher and Bush - White House photo, courtesy George Bush Presidential Library (gemeinfrei)


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