Thatcherismus und Linkspopulismus


Von Tobias Fuentes

Hyperinflation in Chile unter Allende, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Niedergang Venezuelas, Dahinsiechen des bankrotten Kubas, Massenarbeitslosigkeit und massive Inflation bei Nachfrageexzessen der 1960er und 70er - alles unschädlich, soweit nur ein linker Führer Besserung und Wohlstand faselt. Das mag der Linkspopulist. Wohlstands-, Beschäftigungsaufbau und Armutsbekämpfung ignoriert und bestreitet er, wenn nur ein Kapitalist dahintersteckt. Die linkspopulistische Kritik am Thatcherismus ist so vage und unsinnig, dass Linke erröten müssten, wären sie ehrlich zu sich selber.
Der britische Niedergang seit Ende des 19. Jahrhunderts bis 1979
Die glorreichen Zeiten Englands und später des Vereinigten Königreiches, von Heinrich VIII. (1491-1547) über Elisabeth I. (1533-1603) bis zu Königin Victoria (1819-1901), sind für Historiker und Politiker nicht erst seit den 1960ern/70ern Geschichte; die Untergangsglocken läuteten schon Ende des 19. Jahrhunderts, als die Vorherrschaft des klassischen Liberalismus (Whigs) verschwand. Liberalismus pervertierte zum Sozialliberalismus und brachte seine stachlige Schwester, die Sozialdemokratie, zur Verstärkung gleich mit, Labour (1900). Der britische Wohlfahrtsstaat erblühte, spätestens mit den Liberal welfare reforms (1906-1914). Nach dem 2. Weltkrieg war die wohlfahrtsstaatliche Expansion durch den Post-war consensus zwischen Konservativen und Labour nicht aufzuhalten. Ausgehend vom aufgekommenen Keynesianismus versuchte man konsequent die Wirtschaft zu modellieren, betrieb variantenreiche Nachfragepolitik. Die Einbrüche nach jeder kurzen Boomphase waren so niederschmetternd, dass Sozialdemokraten das Scheitern staatlicher Konjunktursteuerung attestieren mussten, so Premierminister James Callaghan in 1976:
We used to think that you could spend your way out of a recession, and increase employment by cutting taxes and boosting Government spending. I tell you in all candour that that option no longer exists, and that in so far as it ever did exist, it only worked on each occasion since the war by injecting a bigger dose of inflation into the economy, followed by a higher level of unemployment as the next step. Higher inflation followed by higher unemployment. We have just escaped from the highest rate of inflation this country has known; we have not yet escaped from the consequences: high unemployment.
That is the history of the last 20 years. Each time we did this the twin evils of unemployment and inflation have hit hardest those least able to stand them. Not those with the strongest bargaining power, no, it has not hit those. It has hit the poor, the old and the sick. We have struggled, as a Party, to try to maintain their standards, and indeed to improve them, against the strength of the free collective bargaining power that we have seen exerted as some people have tried to maintain their standards against this economic policy.

Inflation (25%+) lief aus dem Ruder, hatte Arbeitslosigkeit im Schlepptau. Der Wohlfahrtsstaat uferte aus (so wurden etwa Sozialleistungen an Lohn- oder Preisentwicklung angepasst, was jeweils höher war). Der überdimensionierte Staatssektor fraß Ressourcen. Eklatant war die gewerkschaftliche Übermacht mit groteskem politischen Einfluss, der für schamloseste Forderungen missbraucht wurde. Kompromissen verweigerte man sich. Lohnmäßigung verhandelten Gewerkschaften allenfalls mit Einmischung in Sozial- und Wirtschaftspolitik. Politischer Einfluss gepaart mit dem immens hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad kam man nahe an sozialistische Zustände mit staatlicher Lohn- und Preisfestsetzung. Die Übermacht der Gewerkschaften kann bspw. die Friedrich-Ebert-Stiftung gleichfalls nicht bestreiten.
There was no alternative - eat it!
Großbritannien war immer wieder faktisch gezwungen das Pfund abzuwerten, was aber den Interessen der Entwicklungsländer des Commonwealth zuwider lief. Die katastrophale Lage führte schließlich zu einer Flucht aus dem Pfund. Nachfolgende stabilisierende Aufkäufe durch die Notenbank ließen die Devisenreserven sinken, und man war schließlich gezwungen einen Sonderkredit des IWF in Anspruch zu nehmen. Die Forderungen des IWF seinerseits nach einer Abkehr Großbritanniens von der expansiven Geld- und Fiskalpolitik führten sodann zum Ende keynesianischer Nachfrageträume. Schwindender (theoretischer) Verteilungsspielraum traf danach auf gewerkschaftlichen Größenwahn.
Der große Knall kam 1978/79 im Winter des Unmuts. Gewerkschaften weigerten sich zu mäßigen; die Lohn-Preis-Spirale zu stoppen. Eine Streikwelle legte monatelang das Land lahm. Viel zu spät, aber endlich drehte sich auch eklatant die Stimmung in der Bevölkerung. Thatchers Umbruch galt plötzlich als letzte Hoffnung und auch verbreitet in der Bevölkerung als alternativlos. De facto war eine Abkehr vom exzessiven Interventionismus auch für Labour (-> New Labour) unvermeidlich. Denn was wäre die Alternative gewesen? Einzig reinster Sozialismus - die vollständige Übernahme der Wirtschaft durch den Staat.
Seumas Milne beklagt: "Britain faced a structural crisis in the 1970s, but there were multiple routes out of it." - Okay, tell me more! Massenarbeitslosigkeit, Bilanzdefizite, Abwertungsdruck bei starrem IWF-Korsett gibt es heute auch - in den Euro-Krisenländern. Welcher Linke betont denn heute "Strukturprobleme"? Nein, die anderen seien schuld, Deutschland mit seiner Dumpinglohn-Politik. Tja, dummerweise hatte man 1979 keinen Sündenbock. Weil für einen Marxisten nicht sein kann (Gewerkschaftsübermacht und schädliche hohe Löhne), was nicht sein darf, muss es an sowas wie "Strukturproblemen" liegen. Ja klar, träum weiter, Seumas!
Hier ist im übrigen eine TV-Stellungnahme Thatchers aus Anfang 1979 zu den Streikwellen des Winters.
Mythos Thatcherismus
Nach links-populistischem Verständnis frönte Thatcher dem Marktradikalismus, während Marktradikale/Libertäre aber ihrerseits Thatcher - genau wie Reagan - nie als Galionsfiguren feierten, sondern im Gegenteil scharf angriffen. Hayek und Friedman anerkannten die moderaten Umsetzungen liberaler Wirtschaftspolitik zwar. Anarchokapitalisten hingegen kritisierten und kritisieren Thatcher ob ihres Pseudo-Liberalismus. Tatsächlich hatte Thatcher noch weniger marktfundamentalistische Vorstellungen als Hayek. Sie hat lediglich überhaupt erst marktwirtschaftliche Strukturen aufgebaut. Gewerkschaften wurde nicht "zerschlagen", sie wurden auf halbwegs akzeptables westliches und vernünftiges Niveau zurechtgestutzt. Der Wohlfahrtsstaat wurde moderat umgebaut und gleichfalls auf westliches Niveau zurückgeschraubt. Sozialleistungen wurden nicht mehr wahlweise an Löhne oder Preise angepasst, sondern nur noch an die Preisentwicklung - ein wahrlich marktradikales Ansinnen. Im Bereich Gesundheit und Soziales wurde unterm Strich gar nichts gekürzt, die Quote blieb konstant. Im Haushalt hatten Inneres, Beschäftigung, Soziales und Gesundheit prozentuale Zuwächse. Insbesondere wurde etwa die Ausbildungsförderung für wohlhabende Eltern abgeschafft, andererseits Beschäftigungsprogramme ausgeweitet (Youth Training Scheme). Man liest, "der Sozialstaat" sei "vom gesellschaftlichen Rettungsnetz in eine Alimentationsmaschine umdefiniert und entsprechend zusammengekürzt worden". Erstens hielten sich Kürzungen von Leistungen in Grenzen, zweitens wäre "Alimentation" auch nur der eigentliche Zweck und Ursprung eines Sozialstaats.
Die exorbitanten Einkommensteuer-Spitzensätze wurden auf internationales Niveau gebracht. Zusammen mit dem Abschaffen von Ausnahmeregelungen hatte man schließlich deutliche Steuerzuwächse, die Steuerquote stieg, wie selbst Bruce Bartlett attestiert. Dazu trug insb. die Körperschaftsteuer bei, deren Anteil von 7,5% auf 12,3% kletterte. Wie schon eindrucksvoll in den USA bei Reagan sah man das "Wirken" der Laffer-Kurve. Es wurde ein Expansionsprozess in Gang gesetzt, der Reiche bei niedrigeren Steuersätzen prozentual mehr schröpfte. Und wie bei uns gab es eine Verschiebung der Bedeutung von direkten Steuern (Einkommen) auf indirekte (wie Mehrwert- und Mineralölsteuer). Die Ersteffekte aber waren natürlich eine Verschlechterung der Situation derjenigen, die von indirekten Steuern mehr betroffen sind als andere. Zwar profitierten auch Ärmere von Senkungen der Einkommensteuersätze und dem Anheben von Freibeträgen, aber Effekte höherer indirekter Steuern konterkarierten dies zunächst überproportional.
Wirtschaftlicher Erfolg
Schamlos bestreiten Linke mitunter den wirtschaftlichen Erfolg des (eigentlichen) Thatcherismus. Wirtschaftswachstum und Arbeitslosenquote seien gar nicht so berauschend gewesen und Inflation wurde im Schnitt auch nicht runtergebracht. Dabei berücksichtigen sie den Einbruch ab 1987, als Arbeitslosigkeit wieder in die Höhe schoss. Was war passiert? Niedrigzins- und lockere Fiskalpolitik als Wahlgeschenke 1987 brachten fast zweistellige Inflationsraten zurück, die man flugs wieder eindämmen musste. Gleich, ob man das Prozedere Thatcher vorwirft oder ihrem Schatzkanzler (Britanniens Schatzkanzler Nigel Lawson steuerte sein Land in eine Krise, Spiegel 1989) - Linke hätten es nicht anders gemacht. Der neuerliche Rückfall in Konjunktursteuerungswahn ist nicht der Thatcherismus, den man beklagt.
Der Bergarbeiterstreik 1984/85 war der "Weberaufstand" des 20. Jahrhunderts, nur dass Weber damals keine Lobbyisten waren. "Hilfe, wir haben Fortschritt! Subventioniert uns Bergarbeiter weiter - die Kohle können wir doch einfach wegschmeißen!" Ein mutiger marxistischer Gewerkschaftsfunktionär wagte es sich der wirtschaftlichen Entwicklung entgegenzustellen. Das ist weniger als "schwarzer" britischer Humor als fast nur vor dem Hintergrund der dreisten britischen Mentalität zu verstehen. Danke Maggie für deine Absage an kommunistischen Idiotismus!
"Auf dem Rücken großer Teile der Bevölkerung"
Relative Armut wird seit den 1950ern/60ern statistisch erfasst. Seitdem kann man das Volk noch leichter davon überzeugen wie schlimm doch Armut grassiere und dass man Abhilfe schaffen müsse. Der Plebs fragt nicht danach, dass relative Armut nichts über Wohlstand, Beschäftigung und Zufriedenheit aussagt - ja dass gerade steigende Ungleichheit (bis zu einem Punkt und je nach Ausgangssituation) Garant für Prosperität ist. Im Falle von 1979 hatte man die Wahl: entweder steigende Arbeitslosigkeit und Wohlstandsschwund bei statistisch weniger Armut - oder sinkende Arbeitslosigkeit und Wohlstandszuwachs für alle bei statistisch mehr relativer Armut. Das waren die Alternativen. Wer sich gegen letzteres entscheidet, für den trifft ohne Wenn und Aber Thatchers Vorwurf zu:
You'd rather have the poor poorer, provided the rich were less rich! - Ihr hättet lieber die Armen ärmer, wenn die Reichen nur weniger reich wären!

Aber die intellektuelle Hürde, die hier zu überspringen ist, ist sicher wie immer das Verständnis unseres Geld- und Wirtschaftssystems, in dem die Reichen prinzipiell eben nicht "auf Kosten der Anderen" reicher werden, weil die Geldmenge und Preise eben nicht fix sind und Ungleichheiten nicht per se durch Umverteilung entstehen. Oder die Einsicht, dass es für niemanden erstrebenswert sein kann, relative Armut gänzlich zu zurückzuführen - das wäre die Katastrophe schlechthin, das führte zu Subsistenz für Alle.
Wie wichtig Margaret Thatcher war
Man hasst sie ob ihrer freiheitlichen Philosophie, ihrer Entschlossenheit und pointierten Rhetorik. Man hasst sie dafür auszusprechen, dass Freiheit nicht der Bodensatz dessen ist, was ein Kollektiv bürokratisch zusammenrührt und gnädigerweise für den Einzelnen übrig lässt. Thatchers Erfolge werden mit vagen grotesken Einwänden bestritten. Man wirft ihr die Zerstörung einer nach Jahrzehnten schon moralisch zersetzten kollektivistischen Gesellschaft vor. Es ist ihr Verdient polarisiert und die Gesellschaft gespalten zu haben - gespalten in sozialistische Traumtänzer und Freiheitsdenkende. Sie hat Briten wachgerüttelt und ihr Land kurzzeitig zurück in die Spur gebracht. Sie hat ihren Teil, und sei es auch nur in wirtschaftlicher Dimension, beigetragen uns die Sackgasse der Road to Serfdom kollektiven Konsenses aufzuzeigen. Solange wohlfahrtsstaatsgetriebener Korporatismus unter dem Label "finanzmarktgetriebener Turbokapitalismus" firmiert, steht eine Gesellschaft wieder ganz am Anfang. Der Kampf um Freiheit, gegen Kollektivismus und Sozialismus, ist nicht vorbei - er wurde nie gewonnen. Thatchers Widerstand kann nicht hoch genug geschätzt werden.
Danke Maggie, you will be missed!


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