Meine Heimat Franken liegt mir ebenso am Herzen, wie das Thema nachhaltig Werden und nachhaltig leben.
So entstand die Idee zu einem Projekt, für das ich die Fotografin Anika Maaß gewinnen konnte: Gemeinsam reisen wir durch das Frankenland, auf der Suche nach Menschen, die für das Thema Nachhaltigkeit brennen. Und zwar nicht erst, seitdem Zerowaste, Plastikfrei und Minimalismus in aller Munde sind. Menschen, für die Nachhaltigkeit mehr heißt, als auf Plastiktüten- und Strohhalme zu verzichten. Für die Nachhaltigkeit ein ganzheitliches Konzept ist. Bei dem es um Wertschätzung von Umwelt und Umfeld geht.
Beim letzen Mal ging es um die Aktivitäten von Alex Cio, heute geht es um Martin Stiegler und die Haselnuß.
Martin Stiegler: Vom Tabakanbau zur Bio-Haselnusscreme
Gonnersorf, ein kleiner Ort etwa zwei Kilometer westlich vom mittelfränkischen Cadolzburg gelegen, schmiegt sich inmitten saftiger, grüner Wiesen an die sanften Hügel der Umgebung.
Vom Tabak zur Haselnuß
Hier kultivierte der Landwirt Fritz Stiegler bis 2005, wie viele andere Bauern in der Umgebung, Tabakpflanzen an. Dann strich die EU ihre Subventionen für Tabakanbau und guter Rat war teuer. Der Landwirt wägte verschiedene, wirtschaftlich tragbare Alternativen ab und blieb an der Haselnuß hängen. Ein entscheidender Grund dafür war zunächst ein finanzieller: Fitz Stiegler wollte sich weder mit dem Bau riesiger Kuhställe, noch mit der Pacht großer, zusätzlicher landwirtschaftlicher Nutzfläche verschulden. Außerdem keimte der Wunsch, sich auf eine heimische Frucht zu besinnen. Aktuell kann Deutschland seinen Bedarf an Haselnüssen nicht selbst decken und importiert etwa siebzig Prozent seines Bedarfs aus der Türkei. Dort gibt es aber Probleme mit Pestiziden und Kinderarbeit.
Die Haselnußplantage der Familie Stiegler im mittelfränkischen Gonnersdorf bei Cadolzburg
Foto: Anika Maaß
2006 begann Firtz Stiegler mit der Pflanzung der ersten Haselnußsträucher. Der Anbau begann mit rund 40 unterschiedlichen Sorten, um herauszufinden, welche Pflanzen zum Klima passen und welche Nuß sich für welchen Verwendungszweck eignet. Die jungen Pflanzen kamen aus Italien, Slowenien, Polen und Holland und das Projekt fränkische Haselnuß wurde damals vom Amt für Landwirtschaft unterstützt.
Bis zur ersten Ernte vergehen sechs Jahre. Bis der Haselnußbauer valide Erkenntnisse gewinnen konnte, mußte er, zehn Jahre warten. Heute weiß er, welche der Sorten zuverlässig Erträge bringen oder welche Nüsse sich perfekt rösten lassen. Von den vierzig Sorten blieben acht perfekt auf einzelne Bedürfnisse abgestimmte Sorten übrig.
Ein Jahr Arbeit auf der Haselnußplantage
Im Frühjahr werden die Haselnußsträucher ausgeschnitten, denn Früchte trägt nur das junge Gehölz. Jetzt ist es auch sehr wichtig, die Grasmatte unter den Sträuchern penibel kurz zu halten. Dort im Boden überwintert einer der schlimmsten Feinde des Haselnußbauern: Der Haselnußbohrer. Er frißt junge Blätter und bohrt junge Nüsse an. Durch das Loch legen die Weibchen ihre Eier in die Nuß, von der sich später die Larven ernähren und die Ernte dadurch vernichten.
Ab September beginnt die arbeitsreichste Zeit des Jahres: Innerhalb von sechs bis acht Wochen werden die Sträucher drei bis viermal geerntet. Nur die ausgereiften Früchte kommen vom Strauch.
Danach werden die Haselnüsse bei Martin Stiegler, dem Sohn von Fritz Stiegler gewaschen, getrocknet und nach Größe sortiert.
Die, die geschält weiterverarbeitet werden sollen oder in den Verkauf kommen, werden geknackt und von Verunreinigungen befreit. Im Anschluß werden sie händisch verlesen. In dieser Zeit arbeiten bis zu acht Menschen für Martin Stiegler und schaffen es bis zu 120 Kilogramm Nüsse zweimal zu sortieren.
Vom Feld zum Kunden
Fiel die erste Ernte mit rund 500 Kilogram verhältnismäßig klein aus, produziert die Haselnußplantage aktuell bis zu 30 Tonnen.
Etwa achtzig Prozent der Nußernte wird direkt vor Ort nach Bedarf über das Jahr verteil geröstet, zwanzig Prozent werden in der Schale direkt verkauft.
Zunächst verkaufte die Familie Stiegler die Nüsse einfach kiloweise ab Hof. Bis Sohn Martin, studierter Landwirt, von seinem Praktikum auf einer Haselnußfarm in den USA zurückkehrt. Er gründet die Firma Frankengenuß, um den umliegenden Haselnußbauern die Last mit dem Vertrieb zu nehmen. Sieben mittelfränkische Bauern beliefern seine Firma mit den Rohwaren, er verkauft sie regional im Ladengeschäft, online und an die Gastronomie. Bei vielen Sterneköchen steht Martin Stiegler ganz oben auf der Liste der Lieferanten. Aus einem Teil der Rohwaren stellt er selbst eigene Produkte her: Brotaufstrich, Haselnußkekse, Öl, Salz, sogar Pasta mit Haselnußanteil erfand der Jungunternehmer.
Der Jungunternehmer von Frankengenuss: Martin Stiegler auf seiner Haselnußplantage. Fotos: Anika Maaß.
Nachhaltigkeit in vielen Bereichen
Beim Thema Nachhaltigkeit bekommt Martin Stiegler glänzende Augen, denn sein Betrieb funktioniert gerade durch sein nachhaltiges Handeln so gut. Für ihn ist Nachhaltigkeit mehr als der Verzicht auf überflüssige Dünger- oder Spritzmittel. Für ihn ist Nachhaltigkeit ein Gesamtkonzept. Stiegler setzt auf Kreislaufwirtschaft. Eine wichtige Säule ist für ihn die Region. Benötigt er Produkte, die er nicht selbst herstellt, versucht er sie zunächst möglichst regional zu bekommen. Gibt es das in der Gemeinde? Wenn nicht, dann im Landkreis, im Bezirk? Meist muß er gar nicht so weit gehen, um fündig zu werden. Das Mehl für seine Haselnuß-Cantuccini bezieht er zum Beispiel aus der Ammerndorfer Mühle, die kanpp zehn Kilometer entfernt ist. Die Leinenbeutel für die Nüsse legen aus Langenzenn fünf Kilometer zurück, die Etiketten für die Produktdeklaration könnten mit der Brieftaube aus dem in Sichtweite gelegenen Cadolzburg gebracht werden.
Selbst die Schalen der Haselnüsse aus Gonnersdorf finden noch eine Verwendung: Als Mulch für Gartenbeete. Foto: Anika Maaß
Auch auf dem eigenen Hof existiert eine funktionierende Kreislaufwirtschaft: Seit diesem Jahr sorgt ein mobiler Hühnerstall dafür, daß Schädlinge, wie der Haselnußbohrer auf der Plantage keine Chance mehr hat. Mehrere hundert Hühner halten das Gras unter den Sträuchern kurz und schädlingsfrei. Dazu legen sie Eier, die an örtliche Gastronomie verkauft und in den eigenen Keksen verarbeitet werden.
Bei seinem Produkt, der Haselnuß verwendet er alle Bestandteile: Die Schalen werden als Mulchmaterial für den Garten genutzt. Die Schalen vergehen viel langsamer als vergleichbares Material aus Baumrinde. Zudem kann sich Wasser in den runden Schalenteilen länger halten. Den Ölkuchen, der nach der Pressung übrigbleibt, vermahlt er zu feinem Mehl und aromatisiert damit Pasta und Salz.
Wen übrigens plötzlich die Lust auf Nougatcreme überfällt: Martin Stiegler hat in der alten Schmiede auf seinem Hof einen Automaten aufgestellt. Dort gibt es ganzjährig Nougatcreme und Eier.
Links: Wir dürfen beim Interviewgespräch die frisch gerösteten Haselnüsse probieren. Rechts: Zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar: Der Nougat-Brotaufstrich aus dem Automaten.
„Ich kann kan was naufschwatzen!„
Martin Stiegler, Frankengenuss
Probleme gibt es natürlich dennoch: Welche Verpackungen, die in Deutschland zugelassen sind, sind wirklich nachhaltig? Und viele Menschen wollen billige Waren und lassen sich auch nicht durch den Mehrwert sauber hergestellter Produkte überzeugen. „Ich kann kan was naufschwatzen!" Sagt der Franke und meint damit, daß es ihm fern liegt jemandem etwas aufzuschwatzen, was er nicht haben möchte. Dennoch sieht er in Sachen Nachhaltigkeit auch den Verbraucher in der Verantwortung.
Stiegler selbst ist überzeugt davon, auf einem guten Weg zu sein. Er ist offen für Neues und legt großen Wert auf ein Netzwerk, daß sich gegenseitig befruchtet.
Die Zukunft seines Unternehmens sieht er nicht darin enorm zu wachsen, sondern im Erhalt der Qualität seiner Produkte. Und sein großes Privileg sieht er darin, sich seine Kunden aussuchen zu können.