Nachdenken über das Web 2.0

Überarbeiteter Texte eines Referates, das ich am 24.7.10 in Goslar gehalten habe. Die ursprüngliche Version war auf den christlichen Kontext des dortigen Auditoriums focussiert. Die jetzige Überarbeitung hier ist religionsübergreifend formuliert und auch für einen humanistischen oder sozialistischen Standpunkt geeignet.
Nachdenken über das Web 2.0Jenseits aller technischen Hype lohnt es sich von Zeit zu Zeit auch sozusagen philosophisch, wer mag: sogar religiös, über das Web zu reflektieren. Das erste Mal hab ich das 1993 in meinem Buch „The World At Your Keyboard - An Alternative Guide to Golobal Computer Communication“ gemacht.
Meinen damaligen Chef hab ich nicht davon überzeugen können, dass das Web – so meine These in diesem Buch – ein progressives Medium ist, das die Emanzipation und die Machtausübung von Unten nach Oben befördert. Bei meiner Verabschiedung aus seinem Betrieb zeigte er sich versöhnlicher, „es sei vielleicht doch etwas dran“ an meiner Meinung. Heute, 17 Jahre später nach „The World At Your Keyboard“, bin ich kürzlich dieser Frage nach dem Web-Potenzial für Freiheit und Widerstand erneut – in einem Referat auf einer Sommerakademie in Goslar – nachgegangen.

Ich hab diese Leitfrage in 5 Aspekten untereilt:
Was bringt das Web für solche zentralen politischen und kulturellen Dimensionen wie
Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Widerstand?
Was bringt das Web für die Dimension der Wahrheit?
Durch das Web ist grundsätzlich alles recherchierbar geworden, besonders die Wahrheit gegen Lügen, Vertuschen, Untern-Teppich-Kehren. Unwahrheiten bleiben nicht lange verborgen, Verfälschungen werden schnell durchschaut.
Beispiele: 

a) Erst als die schlimme Äußerung des ehemaligen deutschen Präsidenten Köhler, Nachdenken über das Web 2.0dass Deutschland seine materiellen interessen militärisch absichern solle, in seiner Verfassungswidrigkeit von einigen Web-Amateurjournalisten auf ihren Blogs demaskiert wurde,wurde der Weg frei, diesen unhaltbaren Präsidenten so unter Druck zu setzen, dass er zurücktreten musste. Ohne das Web wäre er mit diesem friedensstörenden verfassungswidrigen Verhalten Nachdenken über das Web 2.0
(vgl. Artikel 26 unserer Verfassung)
wahrscheinlich ungestraft davon gekommen und heute immer noch Präsident.
b) Erst durch konsequente online Recherchen ist deutlich geworden:
Nachdenken über das Web 2.0
-  
dass BP seine Tiefseeölbohrungen in unverantwortlicher Weise viel zu riskant betrieben hat,
-   dass eine ähnliche Katastrophe jederzeit auch vor Deutschlands Küsten passieren kann und
-  
welche Auswirkungen der erwartbare Bankrott von BP auf die globale Wirtschaft haben wird.
c) Als der US-Militärkommandant in Afghanistan sich der politischen Kontrolle zu entziehen versuchte,

Nachdenken über das Web 2.0wurden seine, die politische Führung der USA diffamierenden Äußerungen online gestellt, was richtiger- und glücklicherweise ganz schnell zum Ende seine militärischen Karriere führte. Das wäre ohne das Medium Web nicht so schnell möglich gewesen.
d) Erst als durch Videos und online Veröffentlichung von Dokumenten, die das deutsche Militärministerium vergeblich vor der Öffentlichkeit geheim zu halten versuchte, die ganze Katastrophe des ungeheuerlichen Angriffs der Bundeswehr in Afghanistan mit seinen
vielen unschuldig getöteten Zivilisten offenkundig wurde, musste der dafür verantwortliche Minister endlich zurücktreten und ein längst überfällige parlamentarische Untersuchungsausschuß
Nachdenken über das Web 2.0mußte im Bundestag eingerichtet werden. Ohne die Kommunikations- und Informationsplattform Web hätte die deutsche Öffentlichkeit sicher nie die ganze Katastrophe dieses unmenschlichen Befehls des Oberst Klein mitbekommen und nicht die dafür Schuldigen erfahren.
Was bringt das Web für die
Dimension der Freiheit?
Im Unterschied zum Vor-Webzeitalter kann sich durch das Web jede/r recherchiermässig betätigen und meinungsmässig äußern, viel unabhängiger als in der Zeit vor dem Web. Egal wie reich oder arm, klug oder dumm, redegewandt oder redegehemmt sie/er ist, ob er in Wladiwostok, Lagos, Rio oder Manila wohnt, unabhängig von ihrer Rasse oder Konfession. Zensur ist endlich kaum mehr möglich. Und diese neue Freiheit ist äußerst preiswert und mit geringem technologischen Aufwand zu verwirklichen.
Beispiele:
a) Der Anti-Kriegs-Basisjournalismus von Kevin Sites, der nur mit iphone und mini-camcorder ausgestattet die hot spots in der Welt besucht (wie Kaukasus, Kolumbien, Nigeria, Kongo)Nachdenken über das Web 2.0 und die Weltöffentlichkeit und die PolitikerInnen auf seiner webseite mit unbequemen Wahrheiten kionfrontiert
b) Der On-Video-Amateurjournalismus wo Recherchen und Berichterstattungen nicht länger mehr das Privileg von Druckmedien sind, sondern "von der Basis" aus erfolgen
, hat sich zu einer ernsthaften Grassroot-Alternative zum etablierten printmedienmarkt entwickelt.

Nachdenken über das Web 2.0Und sogar die Auswahl was online berichtet wird, wird zunehmend von unten her bestimmt und nicht mehr von Chefredakteuren oben.
c) Der counter mainstream blog German-tea-party.blogspot.com, der die Lügen zum Hellas-Bankrott enttarnt und die von den Berliner PolitikerInnen stur geleugneten Gefahren der globalen Finanzkrise bloß legt
Das schönste an dieser Freiheit ist, dass sich keiner mehr angespannt und mühevoll beschweren muß, wenn ihm eine Meinung oder Quelle nicht passt, sondern sie kann blitzschnell selber eine webseite aufmachen und ihre Meinung und Quellen dort präsentieren.
d) Und was für die erweiterte Meinungsfreiheit gilt, gilt ebenso für das Kauf- und Job-Verhalten: Angesichts des in realtime und globalisiert möglichen Preisvergleichs machen sich Preistreiber eher lächerlich: Was in einem shop zu teuer ist, gibts mit einem click woanders billiger. Wenn mein Buchhändler mich muffelig bedient, kauf ich halt bei Amazon. Wenn das lokale Reisebüro sich meinen unkonventionellen Kundenwünschen verweigert, buche ich meinen Urlaub online.
Kein Hotel kann sich heutzutage noch leisten, schlechten Service zu bieten oder auf sein
em Prospekt unwahre Werbeversprechen aufzustellen - so was wird sofort von geschädigten BesucherInnen online gestellt und potenzielle neue Kunden wandern ab. Und es entstehen übers Web ganz neue Chancen für Branchen, die schon vor dem Aus standen wie zB Buchantiquariate auf online-Basis.
e)
Das BürgerInnen-Engagement bekommt einen großen Aufschwung, weil per Web in den politischen Prozess viel spontaner und mit wenig Aufwand eingegriffen werden kann, besonders im lokalen Bereich. Beispielsweise im Projekt "See-Click-Fix", wo engagierte BürgerInnen mit preiswerten Digicams Probleme in ihrer Nachbarschaft aufspüren (Strassenlöcher, kaputte Telefonzellen, fehlende Busfahrpläne u.ä.)Nachdenken über das Web 2.0und die Probleme mit ihren smartphones der Stadtverwaltung zumailen, damit diese dann entsprechende tätig werden kann.
f)
Durch das Web erfährt das Inviduum eine grosse Renaissance an Freiheit, während die Bedeutung von Staaten und Firmen abnimmt. 
In der heutigen Web-Welt ist der wichtigste Wettbewerb nicht mehr zwischen Staaten oder Gesellschaften, sondern der Wettbewerb der Fantasie und der Ideen. Man kann heute Pläne, die man fantasiert
, viel ortsungebundener, schneller und billiger als je zuvor in Produkte umsetzen. Deshalb hat der Produktionsprozessim engeren Sinne an Bedeutung verloren. Weitaus wichtiger ist heutzutage die Fantasie.
Wenn ich heute in D
eutschland eine Idee fantasiere, kann ich sie von einem Designer in Brasilien gestalten lassen. Eine Fabrik in Südafrika entwirft den Prototyp und in Vietnam wird die Massenproduktion angefertigt. Den Verkauf wickelt Amazon ab. Ich kann online irgendwo in der Welt schnell jemand finden, der mir mein Logo zeichnet. Und ich kann das alles sehr preiswert und schnell erledigen. Das wichtigste, was ich brauche, sind gute Ideen.
Mein eigener Blog entstand exakt auf diese Weise. Ich hatte mich über ein online-Diskussionsforum geärgert – mein Ärger war zunächst nur destruktiv. Kreativ wurde mein Zorn dann, als ich beschloss, mich nicht mehr an der dortigen Diskussion zu beteiligen, sondern meinen eigenen selbstständigen Blog zu starten. Und nachdem ich erst mal diese Idee hatte, ging alles ziemlich rasch und problemlos: Die Blog-Software war bei Google vorhanden, getippt werden meine Blog-Beiträge auf einem Lenovo notebook, das emailing erfolgt über web.de als online-Provider. Ein smartes EDV-Ensemble.

Was bringt das Web für die die Dimension der Gerechtigkeit?
Die Armen können sich durch das Web besser vernetzen. Ihr Kampf gegen Ausbeutung und ungerechte Handelsstrukturen bekommt neuen kommunikativen Schwung. Sie können besser internationale Verbündete finden und überwinden mit all diesen online-Möglichkeiten ihre Ohnmacht, unter der sie im prä-web-zeitalter leiden mussten.
Was bringt das Web für die
Dimension des Friedens?
Speziell das Web eröffnet besonders gute Möglichkeiten zur Demaskierung des Militärs als viel zu gefährlichen, viel zu teuren und viel zu lange tabuisierten Bereich der Gesellschaft und Politik:
Die fürchterlichen Auswirkungen von Krieg, die sinnlose Kostspieligkeit von Armeen und Aufrüstung und die sowohl gefährliche als auch realitätsblinde absurde Denkweise des Militärs und seiner politischen und gesellschaftlichen UnterstützerInnen kann über Web endlich viel besser öffentlich gemacht werden als früher.
Das Militär kann einer allseitigen grundlegenden Kritik unterzogen und kann mit entsprechenden Alternativen nicht-militärischer, gewaltfreier Friedens-Arbeit konfrontiert werden.

Nachdenken über das Web 2.0So können immer mehr Menschen ernst mit der Vision Jesaias machen, die Waffen wegzuwerfen. Und das nicht erst in der Zukunft, sondern schon hier und jetzt,indem sie nämlich massenhaft den Kriegsdienst verweigern.

Was bringt das Web für
 die Dimension des Widerstandes?
Das Web ist das Medium, wo jede/r sowohl alternative Counter-mainstream-Fakten und Meinungen präsentieren kann als auch sich selbst alternativ über alternative Fakten und Meinungen informieren kann. Angesichts der weltweit immer noch viel zu ungleichmässigen Verteilung von Macht und Geld steht das Web für den Trend, diese Ungleichheit immer mehr abzubauen und zu überwinden. Dies kann immer nur von unten und gegen die Interessen der Machthaber "oben" durchgesetzt werden.

Bei diesem Kampf kommt dem Web eine besonders wichtige Funktion zu: Die vor dem Web ziemlich Ohnmächtigen können sich nun durchs Web besser vernetzen und damit ihre Interessen besser durchsetzen. Sie haben mehr Möglichkeiten als in der Zeit vor dem Web, auf Tatsachen der Ungerechtigkeit und Gewalt öffentlich aufmerksam zu machen.
Sie können ihre Meinung dazu, -   was sich in dieser Welt der Ungerechtigkeit und des Unfriedens ändern muß, -   wie es sich ändern kann und -   wie die Ziele Gerechtigkeit und Frieden konkret aussehen können
im heute im Web sehr viel besser als früher artikulieren.

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