My Radio Days

My Radio DaysNatürlich muß man sie erwähnen - den Zündfunk, EgoFM, RadioEins, FM4, M94.5 - alles Radiosender, die fern ab von der trostlosen Formatlandschaft auch heute noch ein anständiges, hörenwertes Programm hinbekommen. Sozialisation an der Funkwelle kannte zu Mauerzeiten und kurz danach aber andere Namen, die dann auf ihre Weise auch zum Urquell dieses Blogs geworden sind. Ein Grund mehr, sich kurz an sie zu erinnern:
My Radio DaysDa gab es Mitte der Achtziger natürlich die wöchentlichen Charts von "Hey Music", einer Sendung auf dem (West)Berliner Kanal SFB 2, moderiert von Jürgen Jürgens. Werbejingles waren damals zum Glück noch Mangelware und so konnte nichts den geheiligten Sonntag Mittag stören - minutiös wurden Neueinstiege, Positionswechsel, Verweildauer notiert und danach sogar noch mittels Typenradmaschine fein säuberlich in Reinform gebracht. Ein Auszug vom August 1985? Bitte: 5. Two Of Us "Blue Night Shadow", 4. Sandra "Maria Magdalena", 3. Baltimora "Tarzan Boy", 2. Falco "Rock Me Amadeus", 1. Tina Turner "We Don't Need Another Hero", ach herrje...
My Radio DaysDas Konkurrenzprodukt vom Nachbarsender, mindestens ebenso geliebt - die "Schlager der Woche" auf RIAS Berlin. Heilige zwei Stunden am Freitag Abend, am Mikrophon Lord Knud. Der Mann war das, was man gemeinhin als "Kultmoderator" bezeichnet - Ex-Bassist der Lords, wegen eines amputierten Beines an den Rollstuhl gefesselt und mit einem fabelhaft bissigen Humor gesegnet. Mußte wegen eines dummen Spruchs den Sender verlassen - Political Correctness also auch schon zu dieser Zeit en vogue.
Dann wurde das eigene Land wach und der Sender DT64 geboren. Vom Staat geduldete Jugendwelle, halbwegs angepaßt, über die Jahre jedoch immer querköpfiger. Ganz wichtig: "Die Maxistunde" mit Lutz Bertram. Tanzmusik im ungekürzten Langformat, gesendet wurde nach sauber gepflegten Playlists sowohl ostdeutsches als auch westeuropäisches Kulturgut, alles an Daten und Fakten war tags darauf in der Zeitung "Junge Welt" zum Nachlesen abgedruckt. Hier gab's den Slavery-Whip-Mix von "Master & Servant" und die Zehnminuten-Version von Propagandas "Dr. Mabuse". Bertram war ohne Zweifel ein Auskenner, ruhig, sachlich, und auf diesem Sendeplatz bestens aufgehoben. Später wurde er als IM enttarnt und fand nie mehr zu alter Größe.
My Radio DaysGleicher Sender, deutlich später am Abend: Marion Brasch gab Einblicke in die Musikszene über'm großen Zaun. Das waren keine aneinandergereihten Liedsammlungen, hier wurden Lebensläufe, Textübersetzungen, Interviewdokumente und Liveaufnahmen zu höchst unterhaltsamen und informativen 90minütern verquickt. Einstürzende Neubauten, The Fall, Velvet Underground, Nick Cave - alles aufgesogen. Die Skripte zur Sendung wurden noch per Hand und Post verschickt - Hörerpflege der ostdeutschen Art. Marion Brasch hat im Übrigen ein gutes Buch geschrieben und sitzt heute bei RadioEins öfters abends am Mikrophon - "Live aus dem Admiralspalast".My Radio DaysWendezeit, Orientierungszeit - das waren lange Heimfahrten von West nach Ost, stets begleitet von Elmar Hörig auf SWF3 und seiner "Elmis Radio Show". Nicht mehr ganz so speziell, aber dank der frechen Schnauze des Moderators ("Vorsicht - Stau auf der A8 wegen Gaffern.") dennoch hörenswert. Später wurde der SWF zum SWR vereinigt, nicht unbedingt zu seinem Vorteil, die Charts wühlten sich durch Mammutshows und Hörig machte den Knud und flog vom Sender wegen - genau: eines dummen Spruchs.

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