Mutterherz

Das Größte geht jetzt in die Schule.
Morgens gemeinsam mit zwei anderen Kindern hier oben aus der Straße. Diese Kinder kennen sich von Geburt an, die Mütter sind beste Freundinnen. Natürlich kennen sie auch Größtes. Aber eben.

Ich verabschiede Größtes an der Straßenecke. Dort warten wir immer auf die anderen. Sie kommen und die Drei traben los.
Ich will mich gerade mit Mittlerem und Kleinstem auf den Weg zum Kindergarten machen, als ich Gelächter höre, laufende Füße. Und einen erwachsenen Mann, der schimpft: “Na, Ihr seid ja ganz schön mutig, was?”

Etwas in mir gefriert, wird starr, wird Stein.
Ich packe Mittleres auf meine Hüfte und wende den Kinderwagen. Größtes?

Als ich ankomme, sind die Kinder längst weiter. Ich sehe sie noch: Die beiden Kinder aus unserer Straße vorneweg, dicht dahinter ein paar andere Kinder, die unterwegs dazu gestoßen sind.
Mit großem Abstand folgt mein Größtes.

Und immer wieder dreht sich eins der Kinder aus unserer Straße um: “Hilfe, oh nein, es kommt näher!”
Daraufhin quieken und schreien alle und rennen ein Stück.
Dann beginnt das Spiel von vorn.

Zorn.
Eiskalter Zorn.
Wut.
Ich schaue ihnen hasserfüllt hinterher.

Darf man Kinder hassen? Nein!!!!!!
Ich atme tiiiiief ein und aus.

Mittags frage ich behutsam nach – nur keine schlafenden Hunde wecken! – aber Größtes ist gut drauf.
“In der Schule war es schön!”, resümiert es.
“Und der Hinweg?”, will ich wissen.
Größtes schaut verwundert, denkt nach. Dann: “Ach, die anderen Kinder waren zu schnell für mich!”
Kurzer Kummer und mein Herz krampft sich zusammen.
Dann lächelt mein Größtes wieder und zeigt mir die heutige Hausaufgabe.

Später: Krisensitzung mit Herrn L.
Noch während ich erzähle, ballen sich seine Hände zu Fäusten zusammen. Dann schüttelt er den Kopf, atmet einmal tief ein und aus und zuckt dann mit den Schultern: “Ich fürchte, Molly-Schatz, da kann man nichts machen, so sind Kinder eben!”
Ich blitze ihn an: “Findest Du das normal oder was?”
Herr L. nickt verlegen: “Ja, doch, schon irgendwie. War bei uns früher nicht anders!”
“Aber”, stammele ich, “da muss man doch was machen können!?”
“Molly!”, Herr L. nimmt mich in den Arm. “Da kann man nunmal nichts machen. Schau, morgen sieht das alles bestimmt schon wieder ganz anders aus!”
“Und was, wenn nicht?” Meine Augen sind riesengroß und voller Sorge. “Wenn Größtes Außenseiter wird?”
Herr L. überlegt. “Mit wem bist Du denn früher zur Schule gegangen?”
“Hm. Mit niemandem so recht”, gebe ich zu. “Die anderen Kinder waren älter und wollten mit mir nichts zu tun haben!”
“Und wenn Du dann doch mit ihnen gehen wolltest?”, forscht Herr L. nach.
“Dann sind sie weggelaufen!”, sage ich nachdenklich. Trotzdem: “Aber das da, das waren ja Kinder aus Größtes` Klasse!”
Herr L. schaut mich ernst an. “Schatz, hör mal: So ist das eben und so wird es immer sein: Kinder streiten sich und Kinder vertragen sich, verstanden?”
“Ja aber”, kommt es kläglich aus meinem Mund. “Größtes soll doch glücklich sein und viele Freunde haben und-”
“Das wird es!”, versichert mir Herr L.
Da kommt mir eine Idee. “Und wenn ich morgen Früh mit den anderen Kindern rede?”
“Wegen sowas????” Herr L., entsetzt.
“Ja”, spinne ich den Faden weiter, “und wie wär`s, wenn ich Größtes Süßigkeiten mitgebe, um – Halt!”
Entsetzt halte ich inne und starre Herrn L. an: “Schatz, war ich etwa grade dabei, Größtes dazu zu bringen, sich falsche Freunde zu kaufen????”
Herr L. lächelt mich an. “Ich verstehe Dich ja, mein Schatz. Aber da hast Du schon richtig erkannt: Jetzt ist Schluß! Hör auf, Dich einzumischen, ja? Ich mache mir auch Sorgen, aber … so ist es nunmal. Wir können nicht dafür sorgen, dass Größtes beliebt wird und viele Freunde hat. Und das muss es doch auch gar nicht, oder?”
Ich grummele. “Nein, muss es natürlich nicht. Ich will doch nur … dass es glücklich ist!”
“Das ist es, mein Schatz!”, versichert mir Herr L. und stupft mir mit einem Taschentuch ein Tränchen von der Wange. “Und wenn mal was nicht in Ordnung ist, dann hat Größtes die tollste Mama der Welt, die es tröstet!”
Ich schneuze mich und wische die restlichen Tränen ab. “Ich würd doch nur so gern … ”
“Seine Kämpfe austragen?”, ergänzt Herr L.
“Ja”, jetzt muss ich trotz der Tränen lachen, “und damit ein unselbstständiges Weichei heranziehen, stimmt`s?”
Herr L. nimmt ganz fest in den Arm und küsst meine Haare. Ich schluchze noch ein bisschen vor mich hin.

Darf man Kinder **zensiert** wollen? Nein, natürlich nicht. Und Größtes ist nun wirklich auch nicht immer ein Unschuldsengel.
Langsam, ganz langsam beruhigt sich mein Mutterherz und meine Reißzähne werden wieder klein, meine Krallen schrumpfen auf Normalgröße.

Ich weiß, das ich ganz dringend lockerer werden muss.
Aber ich weiß auch: Wenn etwas RICHTIG Schlimmes ansteht, wenn jemand meint, mein kleines Baby mobben oder verprügeln zu müssen, DANN …

So ist das mit einem Mutterherz.
Vergesst das besser nie …!


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