Besuch Atatürks in der juristischen Fakultät der Istanbuler Universität 1930
Hier nun der zweite Teil von Informationen über Mustafa Kemal Atatürk. Den ersten Teil kann man hier nachlesen:
Mustafa Kemal Atatürk - 1. Teil
Säkularisierung und „Modernisierung“
1925 werden die Schreine (tü. türbe) und die Derwisch-Häuser (tü. tekke) geschlossen, die Derwisch-Organisationen werden verboten. Dies geschah im Anschluss an einen sowohl religiös als auch ethnisch motivierten Aufstand im Osten (Raum Diyarbakır) unter Führung des Nakşibendi-Scheichs Sait, an dem außer dessen Gefolgsleuten auch nationalistisch gestimmte Kurden teilnahmen. Der Aufstand wurde innerhalb weniger Wochen niedergeschlagen.
1925 wird der Fez verboten; Turban darf nur noch von dafür zuständigen Personen in dafür vorgesehenen Räumlichkeiten getragen werden (Moschee). Fez und Turban waren in bestimmten Kreisen, vor allem der Armee, bereits außer Mode gekommen, und wichtiger für den Alltag war vielleicht die Bestimmung, man solle den Hut in Innenräumen abnehmen.
Diese Maßnahme sollte – ähnlich wie Kleidervorschriften in der Tanzimat-Periode – zu einer „Entorientalisierung“ führen, es gab weitere Vorschriften mit ähnlicher Zielsetzung. Eine gezielte und staatlich gelenkte „Entschleierung“ von Frauen hat es in der Türkei nie gegeben, und es hat auch nie ein Verbot gegeben, in der Öffentlichkeit den Schleier (in welcher Form auch immer) zu tragen; verboten ist „nur“ das Tragen entsprechender Kleidungsstücke im Öffentlichen Dienst, wozu auch der Schulbesuch und das Studium an Universitäten gehört.
1935 wird der Sonntag als wöchentlicher Feiertag eingeführt; vorher war das der Freitag. Zur Säkularisierung im weiteren Sinn gehören auch die Einführung der europäischen Uhrzeit, der lateinschriftlichen „arabischen“ Zahlen 1928 und „europäischer“ Maße und Gewichte 1931 (Meter, Gramm, Sekunde als zentrale Maßeinheiten).
1926 wird der europäische Kalender eingeführt. Gleichzeitig werden Reformen im Rechtssystem durchgesetzt: Man übernimmt den Code civil der Schweiz und das Strafgesetzbuch aus Italien. Mit der Übernahme des Code civil aus der Schweiz und dem Strafgesetzbuch aus Italien verlieren die islamischen Gelehrten eine wichtige Domäne, die letzte, die sie noch hatten (außer dem Gottesdienst selbst), nämlich die Verwaltung von Familienrecht: Ehe, Scheidung, Erbschaft, und damit auch eine zentrale Einnahmequelle. Gegenüber der Vorkriegs-Politik ist neu: die Säkularisierung des Familienrechts und die Maßnahmen zur Unterdrückung der Derwisch-Vereinigungen. Das Verbot dieser Gruppen gilt bis heute, wird aber vielfältig umgangen.
Kontrolle über die Zivilgesellschaft
Ab Mitte der 20er Jahre werden alle Vereinigungen verboten und geschlossen, die sich nicht unbedingt dem Diktat der CHP und ihrer Leitung unterwerfen, sie werden durch parteinahe Organisationen ersetzt. Das betrifft die Kulturvereinigung und die Frauenrechtlerinnen. 1925 wird die Presse an die kurze Leine genommen. Keine oppositionellen Blätter sind mehr erlaubt, mit einer einzigen Ausnahme (Yarın), dieses Blatt wird 1931 geschlossen. 1933 wird die alte Istanbuler Universität Darülfünun geschlossen und als İstanbul Üniversitesi neu gegründet. Bei dieser Gelegenheit findet die erste massive Säuberung des akademischen Lehrkörpers statt, ca. zwei Drittel der Lehrenden werden entlassen und nur das zuverlässigste Drittel bleibt im Amt.
Im Bereich der Kontrolle über das religiöse Leben werden 1924 bereits die zuständigen Ämter geschaffen: Eines zur Kontrolle der religiösen Bediensteten unter der Bezeichnung Diyanet Işleri Müdürlüğü, eines zur Kontrolle der Stiftungen Evkaf Umum Müdürlüğü. Hier zeigt sich, dass im Kemalismus „Laizismus“ nicht unbedingt die vollständige Trennung von Staat und religiöser Professionalität meint, sondern eben auch staatliche Kontrolle über das religiöse Leben.
Sprach- und Schriftreform
Einführung des lateinischen Alphabets (als „türkische Schrift“). 1926 waren die Turksprachen der Sowjetunion auf Lateinalphabet (mit Modifikationen) umgestellt worden. Auch für das Türkei-Türkisch hatte es schon früher Bestrebungen gegeben, die Schrift grundlegend zu reformieren, wobei man zwischen einer Reform des arabischen Alphabets und einer Umstellung auf Lateinschrift schwankte. Die Umstellung des Azeri-Türkischen auf Lateinschrift war ein wichtiger Beweggrund, diesen Weg einzuschlagen.
Das Schriftreformgesetz wurde am 1.11.1928 verkündet, und ab 1.1.1929 war die Nutzung des neuen Alphabets obligatorisch.
Karte:
Die Aufteilung des Osmanischen Reiches
Karte:
Das Osmanische Reich zwischen 1914 und 1920
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Verlauf militärischer Auseinandersetzungen in Kleinasien
aus:
Ergebnisse des Ersten Weltkriegs
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