Von Frank Benedikt
Thilo Sarrazin hat ein Buch geschrieben. Das ist nichts Besonderes, das machen abgehalfterte Politiker nach dem Ende ihrer Karriere schon mal gern, so eben auch “Pöbel-Thilo”. Tagtäglich kommen in Deutschland über 200 Neuerscheinungen auf den Markt und Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab” ist nur eine davon – muß man es und ihn also wahrnehmen? Ich meine ja.
In seinem aktuellen Beitrag “Der Wahnsinnige am Bohrer” schreibt Michael Spreng beim Sprengsatz, man solle Sarrazin doch die Aufmerksamkeit – und somit den medialen Boden – entziehen, eine Meinung, die ich dieser Tage auch von verschiedenen Kolleginnen und Kollegen vertreten fand. Schließlich nähre diese Aufmerksamkeit nur seinen zweifelhaften Erfolg als Populist und befördere nun sein Buch bereits vorab zu einem Bestseller, der schon jetzt bei Amazon auf Platz 1 der Sachbuch-Bestsellerliste steht. Die “Lösung” könnte zielführend sein, wenn es sich bei Sarrazin um ein isoliertes Phänomen handeln würde, jedoch ist der Sachverhalt durchaus komplexer.
Der vormalige Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbanker versteht es hervorragend, die Ressentiments und Xenophobien von Millionen Bundesbürgern zu bedienen, ist dabei aber nicht alleine, sondern Teil eines Trends. Auch andere Personen des öffentlichen Lebens wie bspw. die Herren Buschkowsky, Heinsohn oder Sloterdijk haben diesen Trend wohl erkannt und greifen ihn – ähnlich einem Geert Wilders in den Niederlanden – zunehmend auf. Insofern ist “Pöbel-Thilo” nicht ein Einzelfall, sondern eher als symptomatisch anzusehen für eine Gesellschaft, die immer weiter nach rechts rückt und wachsend Vorurteile wie auch soziale Kälte entwickelt.
Sarrazin ist somit nicht nur ein vereinzelter rechter Trommler und (Sozial-)Rassist, sondern ein sich zunehmend exponierendes Symbol für die genannte Entwicklung, das aber letztendlich wohl austauschbar wäre. Noch genießt er die Gunst von BILD und Spiegel, die der Bertelsmänner und soll obendrein Vorsitzender der “Bürgerbewegung Pro Deutschland” werden, wenn es nach dem bisherigen Vorsitzenden geht. Bis zu 20 Prozent rechter Rand, den man abfischen könnte – das Potential könnte verlocken, auch einen Thilo Sarrazin. Sollte er dieses Angebot annehmen, wäre er noch mehr Symbolfigur für das, was es eigentlich zu bekämpfen gilt: Die neuerliche Scheidung der Gesellschaft in Starke und Schwache.
(Addendum: Zur Geschichte des Bertelsmannkonzerns, der über seinen Besitz an Deutsche Verlagsanstalt und Random House jetzt auch Thilo Sarrazin propagiert, gibt es ein aufschlußreiches Video von Kulturzeit und der Kollege Antiferengi hat sich aktuell ebenfalls mit Bertelsmann beschäftigt.
Der Kommentar selbst entstand aus einer angedachten Replik auf Jürgen Voß’ Beitrag “Sarrazin und die linke Scholastik” beim Oeffinger Freidenker, welche sich dann verselbständigt hat.)
[Anmerkung Guardian of the Blind:
Lesenswert zum Thema Sarrazin ist auch ein Artikel auf den NachDenkSeiten, der zeigt, wiewenig Fakten hinter Sarrazins Äußerungen stecken und wie viel seineGedanken mit den rassistischen und sozialdarwinistischen Vorstellungen der neuen und alten Nazis gemeinsam haben. Als Beispiel sei folgender Abschnitt zitiert:
Rassenhygienische und sozialeugenische Konnotationen
Ganz typisch für die Demagogie Sarrazins ist die (mehr oder weniger geschickte) Vermischung von Demografie und Migration. „Die sozialen Belastungen einer ungesteuerten Migration waren stets tabu“, schreibt er, um dann gleich Satz anzuschließen, dass eben die Menschen „intellektuell mehr oder weniger begabt, faul oder fleißiger, mehr oder weniger moralisch gefestigt sind“. Das ist juristisch als Volksverhetzung nicht angreifbar formuliert, aber der Leser wird unter der Hand auf das Feindbild Ausländer gelenkt. So geschickt und subkutan spritzen auch die Funktionäre der Neo-Nazi-Parteien ihr Gift in die Gehirne ihrer Anhänger, wenn sie Hass säen wollen.
Neben die rassenhygienischen Anklänge, die von Sarrazin dabei angestoßen werden, treten noch die sozialeugenischen. So spielt Sarazzin auf die längst überholte Mär an, dass „die intelligenteren Frauen weniger oder gar keine Kinder zur Welt bringen“ und wir deshalb „als Volk (?) an durchschnittlicher Intelligenz verlieren“.
Mit dieser penetranten, aber frei erfundenen Behauptung Akademikerinnen seien mit 40 oder gar 43 Prozent weit überdurchschnittlich kinderlos, wurde schon das „Elterngeld“ begründet. Dabei liegt die Kinderlosigkeit von Akademikerinnen nur knapp über dem Durchschnitt aller Frauen, nämlich etwa bei 25 Prozent. Bei Abiturientinnen und Hochschulabsolventinnen liegt die Geburtenrate seit einigen Jahren sogar höher als im Durchschnitt.
Auch die Legende, dass Migrantinnen mehr Kinder bekämen als die deutsche Frau, ist ja inzwischen zerstört. Frauen der zweiten Migrantengeneration haben sich dem Geburtenverhalten ihrer deutschen Geschlechtsgenossinnen nahezu angepasst.
Auch die besondere Abschätzigkeit Sarrazins gegenüber dem Bildungsehrgeiz türkischer Migranten ist ein dummes Vorurteil: Bei gleicher Leistung und sozialer Herkunft wechseln türkische Kinder sogar häufiger auf Realschule oder Gymnasium als deutsche.
Die Justiziare der Deutschen Verlagsanstalt werden es verhindert haben, dass Sarrazin nicht wie in früheren spontanen Äußerungen ausdrücklich die „kleinen Kopftuchmädchen“ oder die weniger gebildeten Zuwanderer „aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika“ nennt. Aber der geneigte Leser kann sich denken, wer gemeint ist: die Unterschicht und die Zuwanderer, vor allem aus der Türkei. So wenn Sarrazin etwa schreibt: „So wurde viel zu lange übersehen, dass die Alterung und Schrumpfung der deutschen Bevölkerung einhergeht mit qualitativen Veränderungen in deren Zusammensetzung. Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem die kontinuierliche Zunahme der weniger Stabilen, weniger Intelligenten und weniger Tüchtigen die Zukunft Deutschlands.“]