Ein grosser Fan der modernen Musikindustrie war Thom Yorke noch nie: Im letzten Jahr attackierte er die Streaming-Plattform Spotify und nannte sie unter anderem ‘the last desperate fart of a dying corpse’ (= der letzte verzweifelte Furz einer sterbenden Leiche). Gestern veröffentlichte er überraschenderweise sein zweites Album “Tomorrow´s Modern Boxes”, welches nur auf zwei Arten erhältlich ist (Variante 1: der digitale Download via Bittorent für 6 US Dollar / Variante 2: Vinyl). Mittels dieser Veröffentlichung wurde ein neues Zeichen gesetzt, welches der Musikindustrie von heute ein Fragezeichen aufklatscht.
REVOLTE FÜR DIE ALLGEMEINE VERBESSERUNG DER DATEI-DISTRIBUTION
Die Suche auf Youtube, auf Soundcloud, auf Spotify nach den neuen acht Songs bleiben erfolglos. Was für uns als Vorstellende des Albums natürlich eher schwierig ist (da wir gerne Links einbinden etc.), besitzt dies eine eindeutige Botschaft: “Kauft die Musik, kauft das Album. Direkt von uns. Ohne Dritte.” Da wir nunmal keine Links einbetten können, wie das Album klingt, versuchen wir es im Folgenden zu umschreiben. Das Album enthält 8 Tracks und die heissen wie folgt:
1. A Brain In A Bottle
2. Guess Again!
3. Interference
4. The Mother Lode
5. Truth Ray
6. There Is No Ice (For My Drink)
7. Pink Section
8. Nose Grow Some
DIE MODERNEN KISTEN VON MORGEN UND FLASCHENGEHIRNE
“Tomorrow´s Modern Boxes” besitzt, liest man sich die Liedertitel einmal durch, eine Seltsamkeit, die man sich bereits vom Vorgängeralbum “The Eraser” gewohnt ist. In “A Brain In A Bottle” sitzt nicht nur das Gehirn in einer Flasche fest, auch Thom Yorke´s Stimme ist reichlich verzerrt und wie von Weitem zu hören. Die klangliche Bodenplatte aus komplexen elektronischen Rhythmen sind solche, wie man sie von “Amok” oder “The King Of Limbs” kennen mag. Im Vergleich zum eher nervösen, fieberhaften “Amok” (das von Thom Yorke´s Kollektiv Atoms For Peace herausgekommen ist), sind viele Songs auf dem neuen Album beinahe unverschlossen und leicht begehbar. “Guess Again!” besitzt einen Hip-Hop-haften Grundbeat und ist in all seiner Gemächlichkeit vor sich hinplätschernd. Und um zu schauen, ob wir uns da nicht verschätzen, schätzen wir nochmals: Auch in “Interference” lässt sich ein philosophisch-nachdenklicher Flüsterton ausfindig machen. Findet Thom Yorke den Boden wieder unter seinen Füssen, oder verliert er ihn ganz? Die 8 Tracks bilden eine Mischung aus musikalischer Standfestigkeit und totaler Verschwundenheit des Geistes. In “The Mother Lode” hebt sich das Grundmetrum etwas an und ein hüpfendes Abstraktum der Musik entsteht. Der Preis für den besten Songtitel geht an “There Is No Ice (For My Drink)” und innerhalb dieses Liedes ist man in einer klaustrophobischen Zwischensphäre gefangen, in welcher man sich in seltsamster Weise gerne aufhält. Das Lied ist gesamplet aus beschleunigten Fraktur-Loops, die stets die Zeile “there is no ice there is no ice” wiederholen. Bis am Schluss ein Loop auftaucht, der feststellend klingt wie “no one cares no one cares”.
NO ONE CARES, NO ONE CARES? FAZIT:
Über die modernen Boxen von morgen? Was sind Boxen sowieso? Sind es Häuser, unsere Seelen oder unsere Computer? Wie es in der Musik so ist, finden sich meist mehr Fragen, als Antworten darin. Und so soll es auch bleiben, denn erklärbar ist vielleicht, wieso das Eis im Getränk schmilzt. Erklärbar ist es jedoch nicht, wenn es niemals da war. Wir sind nach dem Hören dieses Albums voller positiv geladener Atome. Ebenso sollen die 6 Dollar (oder die Vinyl Scheibe) jeder Person ans Herz gelegt sein, welche bedachtsam-melodiösen Electro mag. Und auch wenn sich Thom Yorke auf seiner eigenen Website gegen “self elected gate keepers” – sprich auch Musikjournalisten wehrt – wir sind ihm nicht böse. Und auf die Musik kommt es (Achtung: es folgt ein idealistisches Statement), trotz unserem merkwürdigen System mit dem Geld, schlussendlich an. Solange wir sie hören können, ist alles gut.
KEEP BUZZIN
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