Moskau auf Ostkurs

“Junge Welt”, 10.09.2012
Viel Geld und ein Konzept »Weg von der EU«: Rußland präsentiert sich zum APEC-Gipfel als Vorreiter fernöstlicher Integration

Wladiwostok, Rußlands Tor zum pazifischen Wirtschaftsraum, konnte sich im Vorfeld des diesjährigen APEC-Gipfels über einen regelrechten Geldsegen aus Moskau freuen. Bevor die Spitzenpolitiker aus 21 Mitgliedsstaaten des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsraumes (Asia-Pacific Economic Cooperation) am Wochenende in der fernöstlichen Hafenstaat zu ihrem jährlichen Gipfeltreffen zusammenkamen, investierte der Kreml umgerechnet 20 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung und den Ausbau der regionalen Infrastruktur. Die Staats- und Regierungschefs trafen auf dem neuen internationalen Flughafen von Wladiwostok ein, der für 15 Millionen Passagiere jährlich ausgelegt ist – das Zehnfache des letztjährigen Fluggastaufkommens. Auf neugebauten Straßen und der längsten Schrägseilbrücke der Welt (Kostenpunkt umgerechnet eine Milliarde US-Dollar) ging es zum Konferenzort auf der Rußki-Insel im Südosten von Wladiwostok, wo ein moderner Universitätscampus nach US-Vorbild für 25000 Studenten errichtet wurde.
Die Investitionen, die dem Treffen vorangingen, sollen die Neuausrichtung russischer Wirtschafts- und Geopolitik forcieren. Ziel ist eine stärkere Präsenz und Integration in Fernost. »Rußland möchte nicht nur eine große eurasische Macht sein«, erklärte Artjom Lukin von der Föderalen Fernost-Universität gegenüber US-Medien. »Rußland will auch eine große pazifische Macht sein.« Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die pazifische Küstenregion infrastrukturell entwickelt werden. Bereits Mitte vergangener Woche erklärte Außenminister Sergej Lawrow bei einem Vorbereitungstreffen gegenüber seinen Amtskollegen aus den APEC-Staaten, daß der Kreml die Entwicklung Sibiriens und des russischen Fernen Ostens als »Priorität« ansieht.

Moskaus Spitzenpolitiker überboten sich auch auf dem Gipfel mit entsprechenden Äußerungen. In einem Interview thematisierte Präsident Wladimir Putin das Mißverhältnis, wonach »zwei Drittel des russischen Territoriums sich in Asien befinden«, aber »mehr als 50 Prozent« des Warenaustausches auf Westeuropa entfalle. Mit Staaten Asiens würden nur 24 Prozent des Außenhandels abgewickelt. Putin konstatierte überdies eine »bestimmte Verschiebung« im globalen Kräfteverhältnis, in deren Gefolge China zu einem »Zentrum der Weltwirtschaft und der Weltpolitik« aufsteige. Vizeregierungschef Igor Schuwalow kündigte vor Konferenzbeginn an, daß die APEC die Europäische Union binnen der nächsten zehn Jahre als größten Handelspartner ablösen werde. Die APEC strebt langfristig die Errichtung einer Freihandelszone im pazifischen Raum an.

Der Zeitpunkt für diese Neuorientierung des Kreml scheint günstig. Während die Euro-Zone in der Rezession verharrt, steigt im pazifischen Raum der Bedarf an Energieträgern und Rohstoffen weiter steil an. Mit dem raschen Ausbau der Wirtschaftskontakte dort verbindet Rußlands Führung offenbar die Hoffnung, sich gegen die Unwägbarkeiten der Verwerfungen und Machtkämpfe in Westeuropa abzusichern. Dabei bieten insbesondere die Beziehungen zu Japan noch enormes Ausbaupotential. Die Erschütterung der japanischen Atomindustrie durch den Super-GAU von Fukushima ließ die Energieimporte des rohstoffarmen Industrielandes rasch ansteigen.

Im Gipfelvorfeld führten Moskau und Tokio Gespräche über einen neuen Gasterminal mitsamt Verflüssigungsanlage in Wladiwostok. So sollen die Exporte von Flüssiggas nach Japan deutlich gesteigert werden. Umgerechnet etwa 13 Milliarden US-Dollar sollen in dieses Projekt investiert werden. Bisher existiert eine kleinere Verflüssigungsanlage nur auf der Insel Sachalin, die von Gasprom, Shell und den japanischen Unternehmen Mitsui und Mitsubishi betrieben wird. Die bislang größte japanische Investition von umgerechnet 350 Millionen US-Dollar in Wladiwostok tätigt der Fahrzeughersteller Mazda, der in Kooperation mit dem russischen Unternehmen Sollers eine Autofabrik errichtet. An die 3000 Arbeitsplätze für die Fertigung von 50000 Fahrzeugen jährlich sollten entstehen. Auch die Energiekooperation schreitet voran. Der zweite Abschnitt einer Pipeline, die russisches Erdöl in den pazifischen Raum befördern soll, steht kurz vor der Fertigstellung.

Schließlich setzte Putin die Entwicklung des Agrarsektors und die »Nahrungssicherheit« in der Region auf die Agenda des Gipfeltreffens. Stellt doch das Gebiet um Wladiwostok eine der wenigen fernöstlichen Gegenden Rußlands dar, in denen für die Landwirtschaft günstige klimatische Bedingungen herrschen.

Während sich der Kreml um eine stärkere Integration des östlichen Rußlands in den pazifischen Wirtschaftsraum bemüht, geht der Westen immer deutlicher auf Konfrontationskurs zu Rußland. Die EU-Kommission eröffnete kurz vor dem Beginn des APEC-Gipfels ein Kartellverfahren gegen Gasprom. Zu empfindlichen Strafen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes könnte der russische Monopolist dabei verurteilt werden. Brüssel zufolge mißbraucht »Gasprom seine beherrschende Marktposition bei der Gasversorgung von EU-Staaten in Zentral- und Osteuropa«, indem das vom Kreml gesteuerte Staatsunternehmen den »Transport von Gas in EU-Staaten behindert, den Markt abgeschottet und den Kunden unfaire Preise in Rechnung gestellt« habe. Diplomaten in Brüssel erklärten gegenüber Medienvertretern, das Verfahren ziele ausdrücklich darauf, »die Marktmacht von Gasprom« zu brechen.

Letztendlich ist diese Eskalationsstrategie nur eine Konsequenz aus dem Scheitern der europäischen Energieprojekte wie der Nabucco-Pipeline, mit denen die russische Monopolstellung beim Energieträgertransport gebrochen werden sollte. Da die Europäer diese Vormacht nicht beim geopolitischen »Pipelinepoker« um die Ressourcen des Kaukasus und Zentral­asiens brechen konnten, versuchen sie es nun auf dem »Rechtsweg«.


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