von Anne-Catherine Simon (Die Presse)
Sakineh Ashtiani: Wegen Ehebruchs soll eine 43-jährige Iranerin gesteinigt werden, die Welt kämpft um ihr Leben: gegen den Iran – oder den Islam? Über die Geschichte der Steinigung und die Rolle der Scharia.
Es ist der Kampf der technischen Moderne gegen eine archaische Bestialität: Dank Internet, Twitter etc. versuchen seit Monaten weltweit hunderttausende Menschen, darunter Politiker und Prominente, die 43-jährige iranische Volksschullehrerin Sakineh Ashtiani vor der Steinigung zu retten. Beihilfe zum Mord am Ehemann lautet ein unbewiesener Vorwurf, der andere Ehebruch – und nur auf dieses Delikt steht im Iran die schlimmste Strafe: die Steinigung. Bis jetzt hat der Iran mit der Vollstreckung gezögert, aber jeder Tag kann Sakinehs letzter sein.
„Es ist immer eine komische Geschichte, wenn jemand plötzlich zum Symbol für die Rechte aller Frauen und aller Männer wird“, schrieb der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy. Warum geht gerade das Foto dieser Frau um die Welt? So modern der Kampf um ihr Leben geführt wird, so archaisch scheint er im Grunde: Die Schönheit eines Frauengesichts, bedroht durch die Urwaffe des Menschen, den Stein – die Komplexität der Welt zerstiebt da vor einem Urbild des Kampfs von Gut und Böse.
Altes Testament befahl Steinigung
Die Steinigung ist natürlich keine islamische Erfindung, es gab sie, seit es Menschen gibt. Sie hatte auch ihren Platz im Rechtsempfinden der alten Griechen (wenn auch nicht als offizielles Gesetz). Allerdings nannte sie schon der Geschichtsschreiber Polybios im dritten Jh.v.Chr. bestialisch, in Platons idealem Staat existiert sie nur noch als symbolischer Akt.
Auf den fast ein Jahrtausend später lebenden Mohammed wirkte nicht nur die unvergleichlich primitivere arabische Stammeskultur, sondern auch das Alte Testament, in dem Gott bzw. sein Prophet Moses nicht müde werden, die Steinigung als Gesetz zu verkünden: etwa bei Gotteslästerung („Wer des Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen“, Lev 24,6), Unzucht („Wenn sich keine Beweisstücke für die Unberührtheit des Mädchens beibringen lassen,… sollen die Männer ihrer Stadt sie steinigen“, Dtn 22,13) oder kindlichem Ungehorsam („Vater und Mutter sollen zu den Ältesten der Stadt sagen: ,Unser Sohn hier ist störrisch und widerspenstig, er hört nicht auf unsere Stimme, er ist ein Verschwender und Trinker.‘ Dann sollen alle Männer der Stadt ihn steinigen“, Dtn 21,21).
Im Vergleich zu Jesus’ revolutionärem Satz über eine Ehebrecherin „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ erscheint der Gründer des Islam brutal – im Vergleich zu seiner Zeit und Tradition fast milde. Die Steinigungsverfechter berufen sich zwar auf die Hadithen, die überlieferten Erzählungen von Mohammeds Leben und Taten. Da ist mehrmals von Steinigungsurteilen Mohammeds die Rede, die den damaligen Gepflogenheiten entsprachen. Im Koran allerdings kommt die Steinigung nicht vor – bei Ehebruch verordnet der Prophet vielmehr 100 Peitschenhiebe, für Männer wie für Frauen.
Ein milder Mohammed?
Darauf pochen muslimische Reformer, außerdem stellen sie den erwähnten Hadithen zwei andere gegenüber: In einem schickt der Prophet eine Frau mehrmals fort, die sich des Ehebruchs bezichtigt und um Steinigung bittet. Erst als sie drauf besteht, willigt er ein – dasselbe passiert im zweiten Hadith mit einem Mann, bei der Hinrichtung wendet Mohammed den Blick ab. Freilich: Reformer sind rar, sie kämpfen gegen Legionen islamischer Autoritäten – und gegen die Toten: Die muslimischen Gelehrten aller Zeiten haben die Steinigung nie grundsätzlich infrage gestellt.
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