…wirst Du wieder geweckt“ – die meisten kennen dieses Schlaflied und erinnern sich vermutlich an schöne Kindheitsmomente. Doch nicht jeder, der Kinder in den Schlaf singt, ist tatsächlich eine geeignete Vertrauensperson…
In Anita Konstandins neuem Baden-Württemberg-Krimi „Morgen früh, wenn Gott will“ ist zwar von Anfang an klar: mit Mark Bohn stimmt etwas ganz und gar nicht, aber den Hauptverdächtigen zu kennen ist in diesem Fall keine Erleichterung. Im Gegenteil. Dem Leser wird klar: das Schlimmste kommt erst noch!
Und tatsächlich steigert sich das Grauen Seite um Seite, denn Psychopathen folgen meist einem perfiden Plan…da kann auch die etwas zu gewollt fröhliche Party nicht hinwegtäuschen, die Kriminalhauptkommissarin Corinna Voss und ihre Kollegen im vierten Kapitel feiern, um sich vorzustellen.
Zwischen Federboa, Perücken und Freundschaftsbändern lernen wir Leser die Belegschaft des Mord-Dezernats und „Corrys“ Freunde kennen, erfahren außerdem, dass Corinna Voss „Stuttgarts taffste Mordermittlerin“ und seit einem Unfall – wie ich es nenne – ziemlich schießwütig ist. Am Ende der Party steigen alle brav ins Taxi und fahren heim.
An dieser Stelle gabs für mich einen kleinen Glaubwürdigkeits-Absacker – zu schabloniert kamen mir die Charaktere vor. Trotzdem: der Krimi ist gut geschrieben und obwohl viele Szenen und Figuren sprichwörtlich mit Gewalt auf TV-Krimi-Format zurecht gebogen scheint, kann der Plot fesseln.
Die Nachbarschafts-Idylle aus Kapitel Eins – die alleinerziehende Julia Wiechmann und Tochter Merle essen Kuchen mit dem fast väterlichen Freund Mark Bohn von nebenan – mutiert quälend langsam aber sicher zum Alptraum und schließlich wird das Kind tot aufgefunden. Von Anfang an spart Autorin Anita Konstandin nicht mit unvorstellbarer Grausamkeit und Schockmomenten – vermutlich Alltag für viele Ermittler.
Auch Corry Voss und ihre Kollegen sind erschüttert – die Überführung des Täters wird zu einer Art emotionaler Verpflichtung. Während der Leser bereits eine ganz heiße Spur hat, kommen neben Mark Bohn weitere Verdächtige ins grausame Spiel: Merles leiblicher Vater zum Beispiel, der seiner Tochter offenbar immer wieder heimliche Besuche abstattete. Ebenfalls verdächtig: Leila Murad, seine neue Lebenspartnerin. Was ist Julia Wiechmanns Neuer eigentlich für einer? Immerhin ist er ihr Chef und war vermutlich Mit-Auslöser für die Tat…
Und während man irgendwann nur noch laut schreien möchte: „Nehmt doch mal den Mark Bohn genauer unter die Lupe“, stöbern Corry Voss und ihr Kollege Fabio Lavelli – unterstützt von der jungen Anwältin Arlet Cronmüller und einigen Experten – im Umfeld des Kindes nach brauchbaren Spuren.
Vor allem durch die Todesursache kann das Ermittlerteam den Täter schließlich immer enger einkreisen, bevor es zum Showdown kommt, der für meinen Geschmack ebenfalls ein bisschen zu konstruiert wirkt, aber seine nervenaufreibende Wirkung dennoch nicht verfehlt. Ich bins vermutlich auch einfach zu gewohnt, dass Filmschnitte dem geschriebenen Wort in so einem Fall natürlich überlegen sind.
„Morgen früh, wenn Gott will“ ist insgesamt ein gut gemachter, mehr als 500 Seiten starker Krimi, der auf junge Protagonisten setzt, die sich – trotz Lokalkolorit – keinen Kuschelkurs erlauben können. Und Nichts für schwache Nerven oder Krimi-Romantiker.
Anita Konstandin „Morgen früh, wenn Gott will“, 528 Seiten, broschiert, 14 Euro 90, Silberburg-Verlag