Moral aus dem Gehirnscanner

Wieder einmal zeigt sich Telepolis als lesenswert. Stephan Schleim [das ist der Autor, der auch den bemerkenswerten Artikel "Wie man in Deutschland nicht mehr mundtot gemacht wird" verfasste.] schreibt über ethische Fragen, die sich aus den aktuellen Diskussionen um Peter Singer und den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung ergeben. Natürlich kann man – wenn dieses Thema aktuell ansteht – nicht an der Podiumsdiskussion von Frankfurt, bei der Peter Singer und Wolf Singer aufeinander trafen, vorübergehen:

Singer trifft Singer

An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen noch Wolf Singer, früherer Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt, und die Neuroethikerin Kathinka Evers von der Universität Uppsala (Schweden) teil.

Die Konstellation mit den beiden Singers war insofern besonders, als an Wolf Singers Forschungsinstitut Tierversuche durchgeführt werden, gegen die sich Peter Singer einsetzt. Allerdings zeigte sich der Hirnforscher gegenüber dem Projekt des Tierrechtlers zumindest ein Stück weit aufgeschlossen: Viele Experimente, die man vor Jahrzehnten noch habe durchführen können, seien heute nicht mehr legal. Mit Menschenaffen solle man allenfalls noch Verhaltensexperimente durchführen, bei denen die Tiere nicht litten, es sei denn, dass zum Abwenden einer größeren Gefahr ein anderer Tierversuch nötig sei. Als Beispiel hierfür nannte Wolf Singer die Bekämpfung einer Seuche wie der des Ebola-Virus, durch die die gesamte Menschheit bedroht sei.

Der Moderator Thomas Metzinger fragte Peter Singer nach dem idealen Umgang mit aus Tierversuchen gewonnenen wissenschaftlichen Daten. Dürfe man diese in seinen eigenen Arbeiten zitieren? Der Ethiker empfahl, dabei wenigstens in einer Fußnote auf die zweifelhafte Moral dieser Experimente hinzuweisen.

Kathinka Everts verwies hierbei auf die entsprechende Diskussion zum Umgang mit dem beispielsweise von Nazi-Wissenschaftlern in grausamen Menschenexperimenten gewonnenen Daten. Für sie besteht die größte ethische Herausforderung durch die Hirnforschung jedoch im Verständnis menschlichen und nichtmenschlichen Bewusstseins. Bei Lebewesen, die nicht mehr zur Kommunikation fähig seien, wie etwa Menschen im Endstadium einer amyotrophen Lateralsklerose, könnten entsprechende Untersuchungen für richtige medizinische Entscheidungen unerlässlich sein. Dabei unterstrich sie auch noch einmal den Aspekt Peter Singers Ethik, dass es nicht darum gehe, Menschen schlechter zu behandeln, sondern nichtmenschliche Lebewesen besser.

Allen Klärungsversuchen zum Trotz fanden sich auch auf der Veranstaltung an der Universität Frankfurt wieder die Protestler vom Vortag ein. Die Studierenden der Heilpädagogik verteilten am Anfang von Singers Vorlesung wieder ihre Flugblätter und ihre Professorin, Anne-Dore Stein, verwies in der für das Publikum offenen Diskussion auf Peter Singers umstrittene Ansichten und stellte den Veranstalter für die Entscheidung, dem Philosophen ein öffentliches Forum zu geben, zur Rede. Sowohl Thomas Metzinger als auch Wolf Singer konterten mit Verweisen auf die Meinungsfreiheit sowie ein falsches Verständnis der Position Peter Singers. Verglichen mit der Situation in Deutschland vor zwanzig Jahren war man mit dieser kurzen Abweichung vom eigentlichen Thema des Abends aber schon ein ganzes Stück weiter.

Eine allgemeingültige Antwort auf die ethischen Herausforderungen unserer Zeit ließ sich auf den Veranstaltungen in Frankfurt nicht finden. Viele der Anwesenden dürften sich aber darüber gefreut haben, dass Peter Singer die Probleme der armen Bevölkerung auf der Welt und des Umgangs mit Tieren in die Öffentlichkeit brachte. Die weitreichende Interpretation der wissenschaftlichen Ergebnisse für die Moral sollte sicher mit Skepsis begegnet werden. Nicht zuletzt bleibt die (wiederum moralische) Frage im Raum stehen, ob es eine Sichtweise gleich diskreditiert ist, wenn sie aus Gefühlen oder evolutionär bedingten psychischen Anpassungsleistungen folgt.

Quelle: Telepolis


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