Monat Juli | Traum und Weltmüdigkeit | Herbert Fritsche

Monat Juli | Traum und Weltmüdigkeit | Herbert Fritsche Tropische Glut überlagert die Landschaft, Gelassenheit ergreift Besitz von der Seele, chinesische Weisheit des Wu Wei, des Nichts-Tuns in Einklang mit dem Dao, ist dem Geist nunmehr gemäß. Am allzu bunt und sättigend aufgefüllten Erscheinungsbild der Welt ermüdet der Mensch, wie er in der Sonne des Juli ermüdet. Die Ferien sollen, so sagt man gerne, Ferien vom Ich sein - aber ist das ich nicht der Bezugspunkt, um den sich unsere gesamte Weltwahrnehmung ordnet? Es ist gut, wenn uns der Juli ein wenig zum Yogi macht, zum nach Innen hin Gesammelten, der nur für die Augen Ahnungsloser einem in Stumpfheit versunkenen Tagedieb ähnlich sieht. Die Stille, die der Yogi um sich und in sich sammelt, und die so wundervoll zum Antlitz des Juli, des Asiaten unten den Monaten, passen will, soll kein leeres Schweigen gebären, sondern der stumme Muttergrund sein, aus dem sich eine Weisheit kosmischer Herkunft erhebt. "Die Stimme der Stille", so heißt der Titel eines hochasiatischen Lehrbuchs des Pfades zur geheimen Erleuchtung, das uns von Helena Petrovna Blavatsky ins Abendland gebracht wurde. Wer des Lebensvordergrundes müde ist, wie der Juli es uns so gern beschert, der ist wohlvorbereitet für die Abkehr nicht nur vom Bild der Welt, sondern auch vom in die Welt verstrickten Ich. So schweigt und schwingt er sich denn heim in den Schoß der Urmutter, lauscht, die Pforten der Sinne abgeblendet, tief ins Herz der innersten Wirklichkeit hinein und vernimmt, was die Stimme der Stille zu sagen hat, wenn sie endlich emporklingt aus einem Sein, das umflutet ist vom glühenden Hauch des überreifen Sommers. Maya ist es, die uns umgibt, Illusion, Bilderspuk einer träumenden Gottheit: so lautet der Text in der heiligen Sanskrit-Sprache. "Wir sind vom gleichen Stoff gewoben wie die Träume und unser kleines Leben umrahmt der Schlaf", so weiß es uns Shakespeare, "Stern der höchsten Höhe", in seinem magischen Alterswerk "Der Sturm" zu sagen. Und wenn uns beides nicht modern genug ist, können wir uns auch inmitten der Juliglut zu den modernen Physikern ins Kolleg setzen, die uns - von den Einsichten ins subatomare Geschehen der Quanten her - recht schadenfroh die einst so festgefügten Wirklichkeitsbegriffe relativieren. Einer unter ihnen geht so weit, dass er im Motto eines seiner letzten Bücher demjenigen jede Eignung zum anständigen Philosophieren abspricht, der nicht von vornherein Erkenntniszugang zum Traum-Charakter der Welt hat. Träumend steht jetzt das Schilf am Weiher, träumend schwebt die Libelle im Mittagsdunst, träumend verwandelt der ruhevolle Leib der Kuh die Wiese zu Fleisch und Milch, träumend kann der Mensch erahnen - der Ferienmensch, dem die Ferien vom Ich nicht nur eine literarische Redensart sind -, dass irgendwo weit oberhalb der tausenfältigen Verteiltheit des Lebens, der Versprühung des Kosmos in die Millionen Funken, die als Kosmossubstanz in der Verbannung den Weltraum durchirren, eine Einheit gewährleistet ist, die kein Zweites kennt: Advaita, nichts Zweites gibt es außer dem Einen, sagt Indiens heilige Stimme. Hat uns die Müdigkeit des Juli, die Weltmüdigkeit, die ein eigenartiges Wachsein für das wahnlose Jenseits der Welten aus sich hervorgehen lassen kann, zu solcher Einsicht emporgehoben, dann mag der Yogi unversehens ins Abendland zurückkehren: nunmehr im Besitz des Wissens um die grundsätzliche Brüderlichkeit alles Geschaffenen, ist er reif geworden für den Sonnengesang des hl. Franziskus, der Sonne, Mond, Wind, Erde, Feuer und alles lebendige Leben als Geschwister ansprach. Begreifen wir den Monat Juli als einen Monat, der uns in der innersten Menschwerdung voranbringt wie keiner sonst.
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