Da ich im Moment auf eine Klausur lernen muß, kann ich keine neuen Texte schreiben. Deshalb stelle ich einen Artikel online, der in der ersten Ausgabe von Agora42 erschienen ist:
„Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat Werte in einer ungeheuren Größenordnung vernichtet. Seit ihrem Ausbruch wird viel darüber diskutiert, wer dafür wohl verantwortlich sei. Der Schuldige war schnell ausgemacht: der gierige Banker, der einzig nach Profit und persönlichem Vorteil strebt und nicht in Kategorien wie Moral und Verantwortungsbewusstsein denkt.
Aber so einfach ist die Lösung nicht, wenn man sich auf die Suche nach den Verantwortlichen dieses Desaster macht. Denn die Schuld an der Krise ist wie die Hydra, das mehrköpfige schlangenartige Monster aus der griechischen Mythologie. Beim genauen Anschauen der verschiedenen Gesichter wird der Betrachter überrascht sein, wen er da alles sieht. Die Frage nach den Schuldigen ist nicht eindeutig zu beantworten. Schlägt man der Hydra nämlich einen Kopf ab, wachsen zwei neue Köpfe nach.
Über den gierigen Banker wurde schnell gerichtet und sein Kopf mit der scharfen Klinge der Kritik abgeschlagen. Inzwischen ist der Kopf des zaudernden Politikers nachgewachsen, der den Banken hohe Milliardenbeträge zur Verfügung stellt ohne für diese Zahlungen und Garantien Zugeständnisse für ein effizientes Regelwerk des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems zu verlangen.
Ein Gesicht wurde in der Analyse jedoch vernachlässigt. Es ist ein Gesicht, dass in der aktuellen Krisen-Diskussion das Gesicht eines Opfers ist. Es ist das Gesicht des Kleinanlegers, der Zertifikate und Wertpapiere gekauft hat, die in Zusammenhang mit den Immobiliendarlehen aus den USA, des sogenannten Subprime-Marktes stehen.
Der Kleinanleger kaufte Wertpapiere, deren Grundlage Kredite für US-amerikanische Hauskäufer waren, die von Banken Kredite bekommen haben, ohne kreditwürdig zu sein. Der Anspruch auf die Kreditrückzahlung ging durch viele Hände. Er wurde von Bank zu Bank weiterverkauft, bis er letztendlich beim Bankkunden, dem Kleinanleger landete. Dieser verstand nicht was er da kaufte, aber er hatte trotzdem ein klares Motiv für den Kauf dieser Zertifikate – Es war die Gier. Die Gier nach einer hohen Verzinsung.
Dabei muss man wissen, dass die Verzinsung einer Anlageform eine Risikoanzeige ist. Je geringer die Verzinsung, desto geringer ist das Risiko, dass der Anleger sein Geld verliert. Mit steigendem Zins nimmt das Ausfallrisiko zu. So funktioniert unser kapitalistisches Wirtschaftssystem. Wer ein Risiko eingeht, hat die Chance viel Geld zu verdienen – oder eben auch alles zu verlieren. Dabei ist diese Einsicht nicht sehr kompliziert. Der Klassiker für niedrigverzinste Geldanlagen ist das Sparbuch. Die Bank zahlt nur 1,25% Zinsen. Im Gegenzug hat in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg niemand je seine Einlage verloren. Ein Beispiel für eine Anlage mit hoher Verzinsung ist das Lottospiel „6 aus 49“. Im Erfolgsfall hat der Anleger eine astronomisch hohe Verzinsung. Jedoch verliert die überwältigende Mehrheit der Lottospieler, also der Anleger immer ihre Investition.
Nichtsdestotrotz stellt sich nun die Frage: Sollte man Mitleid mit denen haben, deren Zertifikate nun keinen Wert mehr haben und die somit ihre Einlagen verloren haben? Die Antwort lautet: Nein!
Im Falle, dass die Rechnung aufgegangen wäre und die Kleinanleger eine hohe Rendite realisiert hätten, wäre diese einfach mitgenommen worden. Es wäre keine Diskussion unter den Gewinnern dieses Risikospiels entbrannt, wie viel von dem Gewinn abgegeben werden soll – geschweige denn ob dafür Schulden gemacht werden sollten.
Von dieser Einschätzung ausgenommen sind selbstverständlich die Kleinanleger, die getäuscht wurden, wie z.B. die Kunden einiger Sparkassen. Dort wurden mit zweifelhaften Beratungsmethoden Zertifikate der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers verkauft. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise ging sie vor einem Jahr insolvent und die Anleger verloren ihr Geld. In einigen Fällen wurden den Geschädigten bereits gerichtlich Schadensersatz zugesprochen.
Außerdem dürften die Verluste von Kleinanlegern höchstens ein Partikularproblem von Berufsanfängern sein, die gerade am Anfang der Vermögensbildung stehen und noch keine Erfahrungen im Bereich Geldanlage und Sparen gemacht haben. Erinnern wir uns zurück. Es ist noch keine zehn Jahre her, dass die Spekulationsblase der New Economy geplatzt ist. Jeder Banker und jeder Kleinanleger, der diese Krise mitbekommen hat, hätte nicht in die zweifelhaften Papiere investieren dürfen, für den Fall, dass er Angst vor dem Totalausfall gehabt hätte. Wer es aus Gier trotzdem gemacht hat, ist selbst schuld. Wir werden nun in der Zukunft beobachten können, ob die Wirtschaftsakteure aus der aktuellen Krise gelernt haben werden oder ob sie auch in Zukunft die Gier zu risikoreichen Anlagen treibt.
Wer gierig ist, der macht sich schuldig. Das gilt für Banker, aber genauso auch für den Kleinanleger. So haben gierige Banker und gierige Kleinanleger Doppelpass gespielt. Am Schluss stand es 1:0 für die Weltwirtschaftskrise. Wer das (Eigen-)Tor geschossen hat, ist dabei egal.“