Missbraucht

DIE WÖLFE ÜBERFALLEN DAS LAMM IM DUNKEL DER NACHT, DOCH DIE BLUTSPUREN HAFTEN AUF DEN STEINEN IM TAL, UND DAS VERBRECHEN WIRD FÜR ALLE SICHTBAR, WENN DIE SONNE AUFGEHT.
(Khalil Gibran)
Niemand aus dem kleinen Thüringischen Dorf kannte Günter Ewalds zweites Gesicht. Keiner wusste, was er neben dem Bierausschank und dem Spülen der Gläser noch tat, wenn man sich des Abends, nach getaner Arbeit oder an den Wochenenden in seinem Dorfkrug traf, um sich gemeinsam mit Freunden oder Kollegen ein paar Schnäpse und ein paar Biere schmecken zu lassen. Um über deren meist schlechte aber manchmal auch gute Witze zu lachen, um mit ihnen über Gott und die weite Welt zu reden oder um über die sehr viel näheren und sie alle betreffenden Probleme zu diskutierte
Nein. Niemand von ihnen wusste, dass Ewald ein Spitzel der Staatssicherheit war. Dass er jedes, in seiner Kneipe gesprochene falsche Wort genau notierte, um es bei dem nächsten Treffen mit seinem Führungsoffizier an diesen weiter zu geben.
Niemand wusste es. Niemand, außer Anne. Ein gerade erst vierzehn jähriges Mädchen, das nicht nur eines Tages erfahren musste, dass dieser Mann, den jeder im Dorf schätzte ein IM, sondern auch ein perverses und gnadenloses Monster war.

*
Ein besonderer und unvergesslicher Tag sollte es werden, als Anne, die man auf Grund ihrer sehr zierlichen Gestalt leicht für eine Zwölfjährige, statt für eine Vierzehnjährige hätte halten können gemeinsam mit den anderen Jugendlichen ihres Jahrganges auf der Bühne des LPG Festsaales stand und mit stolzer Brust und hell leuchtenden Augen ins Publikum blickte.
Zu diesem Zeitpunkt, als sie in ihrem neuen und schneeweißen Kleid und den ebenfalls neuen roten Schuhen auf dieser Bühne stand und wie die anderen neben ihr der Rede lauschte, die zu jeder Jugendweihe gehalten wurde, ahnte sie nicht, dass dieser Tag, der so schön begonnen hatte, noch so furchtbar enden würde.

*
Es geschah am Abend des selben Tages. Als man im großen Saal des Dorfkruges mit Musik, Tanz und einer Menge Alkohol Annes Eintritt ins Erwachsenenleben feierte. Als Günter Ewald das junge Mädchen, von den anderen unbemerkt, mit einem Trick in seinen dunklen Bierkeller lockte. 

Dort, wo er sich Anne erst offenbarte und wo er, nachdem Ewald sie mit der Drohung ausreichend eingeschüchtert hatte, ausnahmslos jeden ihrer Familie verhaften und für viele Jahre ins Gefängnis werfen zu lassen, wenn sie sich weigerte, ihm, wann immer er es wollte gefügig zu sein oder wenn sie es wagen sollte, irgendjemandem davon zu erzählen, über das Mädchen her fiel und es gleich mehrere Male hintereinander missbrauchte.

*
Gibt es etwas furchtbareres, etwas verachtungswürdigeres, als das, was Günter Ewald diesem Mädchen, das sich auf Grund ihrer Unerfahrenheit nicht gegen diesen Mann hatte wehren können und das sich ihm, aus lauter Angst um ihre Familie hin gab angetan hatte?
Ja. Das gibt es. Denn Annes Qualen sollten, bis Ewald endlich von ihr abließ, noch ganze drei Jahre dauern. Drei endlose Jahre, in denen er, ohne dass Annes Familie etwas davon erfuhr dem Mädchen immer wieder auflauerte oder in denen er es, wie eine Sklavin immer wieder zu sich rief. Ein Leid, das erst mit dem Untergang des SED Regimes, dem Fall der Mauer und der plötzlichen Flucht von Günter Ewald zu Ende ging.

**
Günter Ewald wurde damals ein Jahr später, nachdem sich die inzwischen zu einer jungen Frau heran gewachsenen Anne ihren Eltern anvertraut hatte, welche den Peiniger ihrer Tochter bei der Polizei anzeigten, in Hannover, der Stadt, in der er unter einem falschen Namen ein neues Leben begonnen hatte verhaftet und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.
Und Anne? Sie zog damals gemeinsam mit ihrer Familie nach Frankfurt am Main. Dort, wo sie heute noch lebt. Und wo ihr ein sie liebender und sich für ihre immer wieder kehrenden Erinnerungen und Ängste verständnisvoll zeigender Ehemann zur Seite steht.
Diese Geschichte beruht auf eine wahre Begebenheit. Sie wurde mir von Anne selbst erzählt.
Alle hier beschriebenen Namen wurden geändert.

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