von pantarheiblog: (Mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Auf Einladung der Städtegruppe Marburg von Terre des Femmes e.V. kam am gestrigen Abend die iranische Menschenrechtlerin und Religionskritikerin Mina Ahadi zu einer Lesung aus ihrem aktuellen Buch und einer anschließenden Diskussion nach Marburg. Frau Ahadi ist vor allem bekannt für ihr unermüdliches Engagement gegen die Steinigung von Frauen in ihrem Heimatland Iran. In der säkular-atheistischen „Szene“ natürlich auch aufgrund ihrer Mitgründung des Zentralrats der Ex-Muslime.
Nach ein paar einführenden Sätzen zum bisherigen Leben Ahadi’s, ihrer gegenwärtigen Arbeit durch die Organisatorinnen und dem Hinweis auf die Aktualität des Themas wurde Ahadi etwa eine Stunde lang zu ihrer Kindheit im Iran, ihren Erlebnissen während und nach der Islamischen Revolution, ihrer momentanen Arbeit und zu ihren Ansichten zur Integrationspolitik befragt.
Vor der Revolution
Aufgewachsen ist Mina Ahadi in einem kleinen Dorf namens Abhar im Nordwesten des Iran. Ab ihrem 13. Lebensjahr musste sie in der Öffentlichkeit einen Tschador tragen. Laut Ahadi werden alle Mädchen mit Beginn der Pubertät dazu gezwungen. Als Frau war es praktisch nicht möglich, am öffentlichen Leben teilzunehmen, wohlgemerkt vor der Islamischen Revolution. Musste ihre Mutter zum Beispiel Schuhe kaufen, so holte ihr Bruder ihr einige Paare zur Auswahl nach Hause und sie wählte sich eines aus. Die Bestimmung der Frau war und ist es, zu heiraten und Kinder zu bekommen, ob freiwillig oder nicht.
Ihren Großvater, der ihre Großmutter früh verlassen hatte und in Teheran wohnte, besuchte Ahadi während ihrer Kindheit jedes Jahr drei Monate lang. Dort kam sie zum ersten mit der modernen, westlichen Lebens- und Denkweise in Kontakt. Was heute völlig undenkbar wäre, mit dem Minirock durch Teheran zu laufen, war damals möglich, was Ahadi auch tat. Ganze Stadteile waren von einer westlichen Großstadt nicht zu unterscheiden.
Ihr Großvater war Atheist und sehr liberal. Mit ihm war es möglich, völlig unbeschwert z.B. über Religionen zu reden. Den Propheten Mohammed zu kritisieren oder die Existenz Allahs in Frage zu stellen, gehörte fast zum guten Ton. Durch den Einfluss ihres Großvaters nahm ihre kritische Haltung gegenüber dem Islam zu. Sie begann also, den Koran zu lesen und bemerkte, dass dieser Widersprüche enthält. Ihre Mutter erteilte ihr jedoch ein Verbot, in solche Richtungen zu denken, als sie ihr davon erzählte. Sie seien schließlich Muslime. Im Alter von 16 verlor Ahadi jedoch dann endgültig ihren Glauben.
Nach der Revolution
Die Islamische Revolution 1979, der zu Beginn noch viele Studierende zugejubelt hatten, kostete sie nicht nur ihren Medizin-Studienplatz, weil sie sich weigerte ein Kopftuch zu tragen, was seit 1980 vorgeschrieben war. Sie nahm ihr auch ihren Ehemann Ismael, der hingerichtet wurde. Wegen ihrer Opposition zur Islamischen Revolution drohte ihr auch die Hinrichtung. Fahndungsfotos von ihr lagen in den Polizeistellen. Ihr, wie vielen anderen Iranern und Iranerinnen, blieb letztendlich nichts anderes übrig, als in das Exil zu flüchten. Aufgrund dieser Erfahrungen ist es verständlich, dass Ahadi auch heute noch ebenso wie Alice Schwarzer das Kopftuch als Flagge des politischen Islams betrachtet.
Aktivitäten im Exil
Seit ihrer Flucht nach Österreich und ihrem späteren Umzug nach Deutschland setzte sich Ahadi gegen die Praxis der Steinigung in ihrem Heimatland und für die Oppositionsbewegung ein. 2001 kam es dann schließlich zur Gründung des Internationalen Kommittees gegen Steinigung. In den vergangenen Monaten organisierte dieses u.A. Protestaktionen gegen die bevorstehende Hinrichtung bzw. Steinigung von Shakineh Mohammadi Ashtiani. Dank sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter ließen sich für die Freilassung Ashtianis bereits über 400 000 Unterschriften sammeln. Laut Ahadi deuten die momentanen Informationen darauf hin, dass das iranische Regime von einer Hinrichtung absieht. Dieser Fall zeige, so Ahadi, dass internationaler Druck sehr wohl Wirkung zeige.
Auf die Frage, was sie 2007 dazu brachte, den Zentralrat der Ex-Muslime zu gründen, antwortete Ahadi, dass sie die Selbstverständlichkeit, mit der die überwiegend konservativ eingestellten islamischen Organisationen in Deutschland wie z.B. der Zentralrat der Muslime oder Mili Görüs, beanspruchen, die Meinungen der Muslime in Deutschland zu vertreten, störte. Ihr wäre es z.B. während des Karikaturenstreits 2005 wichtig gewesen, darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht nur aber auch sie nicht stört, wenn der Prophet Mohammed karikiert wird. Währenddessen liefert der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, in regelmäßigen Abständen halbgare Bekenntnisse zur Meinungs- und Pressefreiheit. Den islamischen Verbänden, die ohnehin nur einen kleinen Teil der Muslime in Deutschland repräsentieren, dürfe nicht die Deutungshoheit über die Auffassungen der deutschen Muslime überlassen werden.
Was bleibt
Der Abend mit Mina Ahadi hat sich für mich sehr gelohnt. Das Durchhaltevermögen und das Engagement von Ahadi gegen das barbarische, menschenverachtende islamische Regime im Iran trotz aller Schicksalschläge haben mich unheimlich beeindruckt. Sehr zu überlegen gab mir auch die Tatsache, dass Deutschland zumindest laut Wikipedia mit 12% der größte Importpartner des Iran ist. Ein unhaltbarer Zustand nach meinem Empfinden. Ich denke, dass Frau Ahadi und ihre Mitstreiter im Kampf um Menschenrechte und Demokratie die volle Unterstützung durch demokratische Gesellschaften verdienen.
[Quelle]