Eine Streitschrift ist eine Streitschrift ist eine Streitschrift. Sie muss nicht lang und sie kann auch nicht ausführlich sein. Sie soll aufrütteln und zu eigenen Gedanken anregen. Und das schafft Michael Schmidt-Salomons Buch.
Ja, ich hätte mir das Buch länger gewünscht; ausführlicher, detaillierter. Das ist aber schon ziemlich das Einzige, dass sich an Negativem über das aktuelle Buch “Keine Macht den Doofen” sagen lässt.
Schmidt-Salomon möchte die Welt aus den ungetrübten Augen eines Kindes betrachten. Und die Dinge, die er sieht, benennen, wie nur ein Kind es tun kann. Denn nur dieses ist in der Lage, des “Königs neue Kleider” als das zu entlarven, was sie sind: ein riesiger Schwindel: “Ich wünschte, seinem Beispiel würden mehr und mehr Menschen folgen.” [Seite 11]
Und so zieht er vom Leder. In fünf Abschnitten hält Schmidt-Salomon dem “Homo demens” den Spiegel vor. Niemand und nichts kommt ungeschoren davon. Denn wir alle gehören dazu; auch wir, die wir uns “aufgeklärt” nennen, sind Teil dieser “weltumspannenden Riesenblödheit”, die den Menschen davon abhält, das zu tun, was für das Überleben seiner Spezies notwendig wäre: vernünftig sein.
Von wegen: Schmidt-Salomon lässt von nun an von Religionskritik ab. Gleich im ersten Teil des Buches bekommen die “Religioten” ihr Fett weg. Das ist nicht mehr das übliche Florett, das Schmidt-Salomon da ficht; das sind brutale, alles zerstörende Zweihänder, die er schwingt. So habe ich ihn noch nie erlebt. Diese sehr deutliche Art, diesen zuweilen aggressiv harten und gnadenlos deutlichen Ton kenne ich bisher nur aus der angelsächsischen Literatur: von Richard Dawkins zum Beispiel oder von Sam Harris. Das ist überaus erfrischend, weil es den Kopf frei macht. Wer jetzt noch den Begriff “Kuschelatheist” auf Schmidt-Salomon anwendet, weiß nicht, was er redet; was jener zu schreiben in der Lage ist.
Zynisch entlarvt der Autor die Lügen, die längst kein Gespinst mehr sind, sondern taudicke Blödheiten. Dabei kommt keine der drei großen Religionen zu kurz. Und es finden sich erstaunlich und erfreulich deutliche Worte zum Nahost-Konflikt und zum Iran der Mullahs und Ahmadinedschads. Die Ungeheuerlichkeit der “Holocaust-Leugnungs-Konferenz” des Jahres 2006 in Teheran beschreibt er als “eine Internationale des Deppentums, gesteuert von grundverschiedenen Hirnwürmern und doch vereint im gemeinsamen Wahn…” [Seite 34] Der Hirnwurm, mit dem er Religionen gleichsetzt, ist ein Parasit, der Ameisen zur Selbsttötung treibt, um sich fortpflanzen zu können.
Vor dieser Religiotie warnt Schmidt-Salomon eindringlich. Es sei “eine der großen Schicksalsfragen der Menschheit, ob es gelingen wird, den Einfluss der Religioten einzudämmen.” [Seite 44]
Ökonomidiotie
Doch nicht allein der religiöse Verblödung des Homo demens sagt Schmidt-Salomon den Kampf an. Diese Streitschrift geht weit darüber hinaus. Denn er führt im folgenden Teil die “Ökonomioten” ein. Es geht – wie nicht schwer zu erraten sein wird – um den ökonomischen Wahnsinn unserer Welt.
Für mich ist das der spannendste Teil des Buches. Denn erstmalig äußert sich ein Protagonist des Humanismus offen und überaus deutlich zu dem Irrsinn, dem wir täglich ausgesetzt sind und der sich “freier Markt” nennt. Schmidt-Salomon zitiert sie nicht; aber der Geist des Buches ist der von Naomi Klein. Wenn man seine Worte liest, möchte man nach jedem Satz schreien: “Richtig!” – und setzt sich dann doch wieder in die Ecke und schaut Tagesschau, die einem dann schon beibringt, weshalb es notwendig ist, dass der Steuerzahler die verzockten Schulden der Banken tragen muss. Steuergelder, die wir alle den Banken zahlen. Mit deren eigenem Geld.
Es klingt wie die Idee eines Wahnsinnigen. Und ist doch unser Wirtschaftssystem: Die Summen des Handels mit nichtexistentem Geld (sprich: Finanzmitteln, die nicht durch Wirtschaftsgut gedeckt sind) überstiegen 2010 die von realen Geldmitteln fast um das Zehnfache; die Gewinne aus Devisengeschäften sogar fünfzehnfach.
Auch für die “Ökonomidiotie”, die dazu führt, dass aus der guten Idee des Euro ein Desaster zu werden droht, hat Schmidt-Salomon ein anschauliches Bild: „Das Kapital, mit dem [Hedgefonds]Manager gegen den Euro wetten, stammt nicht unwesentlich aus der Eurozone selbst.” [Seite 54] Es stammt nämlich zum Teil aus deutschen Pensionskassen. Und nun können sich zukünftige Pensionäre aussuchen, ob sie lieber weniger private Altersvorsorge haben möchten (wenn der Niedergang des Euro gestoppt werden kann) oder eine steigende Rente – deren Eurobetrag dann allerdings nichts mehr wert sein dürfte. In der Internetcommunity gibt es für diesen Wahnsinn einen Begriff: Kopf-Tisch.
Ich meine: Obwohl gerade dieser zweite Teil der ist, an dem der Leser vermutlich am schwersten zu knabbern hat, ist es der wichtigste des Buches. Viele andere – vor allem auch soziale – Fragen, lassen sich nur verstehen, wenn die Ökonomidiotie begriffen wird.
Politidiotie
Weiter geht es mit den “Politidioten”. Vieles aus diesem Teil des Buches hat Esther Vilar bereits als “den betörenden Glanz der Dummheit” bezeichnet. Schmidt-Salomon zitiert sie jedoch nicht nur, sondern baut die Charakterisierung der Mächtigen noch weiter aus. Wo Vilar manchmal noch fast Mitleid mit denen zeigt, die Kraft ihrer Dummheit die Stufen zur Macht erklommen, kann Michael Schmidt-Salomon nur noch mit zynischer Feder austeilen. Sein Schwerpunkt ist dann auch der Einfluss der Religioten auf die Politik. Wenn zum Beispiel Ursula von der Leyen in die auf sie gerichteten Kameras posaunt, dass das Grundgesetz den “zehn Geboten” entspricht, fragt Schmidt-Salomon, welchen Text Frau von der Leyen nicht kennt: das Grundgesetz oder die Bibel.
Doch nicht nur die Genannte gehört zu den vom “Hirnwurm” Betroffenen. Im Zusammenhang mit der PID-Entscheidung verschickte die Giordano-Bruno-Stiftung ein eigenes Gutachten an alle Bundestagsabgeordneten. Über die Antworten darauf schreibt Schmidt-Salomon: “Die meisten Briefe und Faxe deutscher Politikerinnen bewegen sich auf einem derart unterirdischem Niveau, dass man sich wundern muss, weshalb der Staat nicht schon längst unter der Denkschwäche seines Führungspersonals zusammengebrochen ist.” [Seite 76]
Wir Leser des Buches dürfen diesen unterirdischen Antworten dankbar sein – sind sie doch der Auslöser für das vorliegende Buch. Allerdings würde ich gern auf das Buch verzichten und hätte lieber Politiker, die realistische und vernünftige (nachhaltige) Politik betreiben würden.
Wissensbulimie
Im vierten und letzten Teil seiner Streitschrift befasst sich Schmidt-Salomon mit den sichtbaren und doch kaum wahrgenommenen Fehlern unseres Bildungssystems. Und Bildung fängt für ihn bereits beim Fernsehen an. “…wer all dies übersteht, ohne intellektuell völlig zu degenerieren, dem wird spätestens von den ‘lustigen Mutanten’ der Volksmusik oder ihren Nachfahren von Ballermann 6 das letzte Fünkchen Denkvermögen aus den Hirnwindungen geblasen.” [Seite 96]
Er nennt das Bildungssystem “Verbildungssystem” und hält es für grundlegend falsch, denn unser “Bildungssystem” sei “Wissensbulimie”: “Schülerinnen und Schüler werden darauf trainiert, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel totes Wissen in sich hineinzufressen, um es zum Zeitpunkt der Prüfung…fristgerecht wieder zu erbrechen.” [Seite 97] Unverdaut selbstverständlich. Denn selbstständiges Denken wird nicht gelehrt, sondern abtrainiert.
Was wäre eine Streitschrift ohne einen Aufruf? Michael Schmidt-Salomon ruft auf zum Widerstand gegen die Macht der Doofen! Ganz hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es möglich sein sollte, dem König sein Nacktsein entgegen zu rufen. Damit endlich die Klügeren nicht mehr nachgeben und den Dummen die Siege lassen.
Es ist fast der Ruf der Verzweiflung, der da aus dieser Streitschrift dringt. Es ist zu wünschen, dass dieser Ruf viele Menschen erreicht und aufweckt. Damit aus dem Homo demens endlich ein Homo sapiens werden kann.
Nic
Michael Schmidt-Salomon, Keine Macht den Doofen – eine Streitschrift, Piper Taschenbuch (Februar 2012), ISBN: 3492274943, 5,99 Euro
Das Buch ist auch im Denkladen bestellbar.