© X-Verleih / Regisseur Michael Haneke mit seinen Hauptdarstellern Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant (v.l.n.r.)
Das Medium Film hat sich in den letzten Jahren immer mal wieder vom jugendlichen Zielpublikum abgewandt und Geschichten für ein älteres Semester erzählt. Zumeist stammten diese durchaus erfolgreichen Versuche aus amerikanischen Landen, weswegen oftmals ein eher heiterer, wenn auch nachdenklicher Unterton vorherrschte. In „Wenn Liebe so einfach wäre“ ist Meryl Streep zwischen zwei Männern hin und her gerissen, in „The Best Exotic Marigold Hotel“ nimmt gleich eine ganze Ladung voller Senioren das Abenteuer Indien auf sich und zuletzt war erneut Meryl Streep an der Seite von Tommy Lee Jones in „Wie beim ersten Mal“ zu sehen, wo die beiden von ihnen gespielten Figuren mit Alters-Eheproblemen zu kämpfen hatten. Das war immer ganz niedlich anzuschauen, man hat sich für die Protagonisten gefreut, wenn sie kichernd noch einmal die jugendlichen Probleme und Freuden erleben durften. Der in München geborene Michael Haneke, bekannt durch Filme wie „Funny Games“ oder „Das weiße Band“, verbreitet mit seinem neuen Film „Liebe“, so schön der Titel auch klingen mag, weniger freudvolle Bilder. Er stürzt sich in die bedrückende Realität zweiter Menschen, die gemeinsam alt geworden sind und nun dem Ende entgegen gehen, selbst das aber nicht ohne Komplikationen von statten geht.
Haneke inszeniert die französischen Darsteller Jean-Louis Trintignant („Drei Farben: Rot“, „L’homme Qui Ment“) und Emmanuelle Riva („Drei Farben: Blau“, „Thérèse Desueyroux“) als Ehepaar Georges und Anna, beide um die achtzig Jahre alt, als Kultur liebende und kultivierte Musikprofessoren inzwischen in den Ruhestand gegangen. Die Tochter (Isabelle Huppert) ist ebenfalls Musikerin, lebt aber mit ihrer Familie im Ausland. Die Tragik beginnt, als Anna eines Tages einen Herzanfall erleidet und fortan halbseitig gelähmt ist. Liebevoll kümmert sich ihr Mann Georges um sie, aber nach einem zweiten Anfall wird sie immer mehr zur Belastung. Eine Krankenschwester muss bei der Bewältigung von alltäglichen Dingen helfen, Georges versucht seine Frau vor der Außenwelt abzuschotten, sie will nicht in ihrem Zustand gesehen werden. Es ist eine Bewährungsprobe für beide Ehepartner, für ihre jahrelange Liebe zueinander.
Diese Liebe manifestiert sich im späteren Alltag stärker als noch zu Beginn, obgleich schon hier deutlich wird, wie liebevoll man miteinander umgeht, auch wenn es zu kleinen Meinungsverschiedenheiten kommt. Nach einem Konzertbesuch hilft Georges seiner Frau aus dem Mantel, beim gemeinsamen Frühstück läuft alles ganz harmonisch einstudiert. Man kann sich alles sagen, Fehler spielen keine Rolle, es ist ein friedvolles Leben, dass das Ehepaar in ihren alten Tagen noch zu führen in der Lage ist. Der Konzertbesuch zu Beginn gestaltet sich als kluge Inszenierung Hanekes, der das Publikum frontal abbildet und so dem Kinozuschauer einen direkten Kulturspiegel vorhält. Bitte die Handys ausschalten erklingt es auf der Leinwand, wo sich die letzten Ankömmlinge durch die Reihen auf ihre Plätze wuseln, während Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva in der Masse untergehen. Hier sitzen zwei ganz normales Menschen, Leute wie du und ich, Menschen die die Kultur lieben, in ihren alten Tagen den klassischen Konzertbesuch ebenso gut heißen wie die Kinobesucher in diesem Moment den Film, für den sie sich entschieden haben. Das Klavierspiel erklingt und man fühlt sich den beiden Protagonisten bereits jetzt sehr nahe, kann ihre Stimmung durch die ähnliche Situationsabbildung nachempfinden, was sich in den folgenden Minuten als Herz zusammendrückend herausstellend wird.
Emmanuelle Riva als Anna
Denn was nun folgt, ist ein intensives Spiel der beiden Hauptdarsteller, die ruhig und besonnen ihren Alltag vollführen, trotz dem Schicksalsschlages, der sie ereilt. Die Bewegungen sind langsam, fühlen sich schwerfällig und anstrengend an. Ebenso werden die Gespräche miteinander geführt, es ist eine langsame Spreche, eine schon fast müde Unterhaltungsform, die von Georges und Anna genutzt wird. Selbst bei Dingen, die wie ein Streit wirken, wünsche man sich, dass ein jeder Mensch so ruhige und durchdachte Konversationen führen könnte. Nur einmal rutscht Georges die Hand aus, aber da ist es bereits die Verzweiflung die ihn packt, die ihn durchdringt und hilflos wirken lässt, wenn seine Frau das Essen und Trinken verweigert um sich selbst der Qualen zu entledigen, denen sie nach den Herzattacken erlegen ist. So muss der einsame Ehemann nicht nur für das Leben seiner Frau sorgen, sondern auch dafür, dass sie dieses nicht vorschnell aufzugeben droht. Aber auch in solchen Momenten verweilt die Kamera, kein Bildschnitt zu viel, keine unnötigen Bewegungen. Man bleibt oftmals lange in der Situation hängen, der Moment wird festgehalten, fast schon wie ein Erinnerungsfoto in einem Album, welches nach und nach den Zerfall Annas dokumentieren soll.
So traurig es ist mit anzusehen wie sich Darstellerin Emmanuelle Riva innerhalb ihrer Rolle zu Grunde spielt, so traurig ist es auch ihre Mitmenschen zu beobachten, die in all ihrer Hilflosigkeit ganz unterschiedliche Reaktionen und Mechanismen im Umgang mit der Situation entwickeln. Während ihr Mann Georges sich möglichst gut versucht um seine Frau zu kümmern, ihr alle Wünsche erfüllen möchte, worunter auch die Pflege in der heimischen Wohnung statt in einem Krankenhaus zählt, ist Tochter Eva davon überzeugt, dass es der Mutter in einem Heim besser gehen würde. Sie selbst kann die Mutter nicht bei sich aufnehmen, mit genug eigenen Problemen ausgestattet, wirkt es wie ein Besuch aus einem anderen Leben, keine wirksame Medizin in der Tasche, ein Pflichtbesuch aus Liebe, eine Meinung die geäußert werden möchte, ohne das sie viel Wirkung erzielen könnte. Der schützende Ehemann gegen die sich sorgende Tochter, zwei unterschiedliche Positionen die in einer starken Konfrontation aufeinander prallen. Haneke gelingt es, den Zuschauer in der objektiven Mitte zu positionieren, so dass beide Blickwinkel nachvollziehbar erscheinen. Jeder möchte helfen, keiner kann es jedoch. Noch einmal wird das Herz zusammen gezogen, noch einmal wird die Hilflosigkeit bewusst gemacht, die eine solche Situation hier hervor bringt.
„Liebe“ ist kein Film über den man sich sofort nach Verlassen des Kinos unterhalten wird können, „Liebe“ ist ein Film der erst einmal sacken muss. Vergleichend darf gerne Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“ hinzugezogen werden, der ebenfalls in deutschsprachigen Landen ein so hartes Thema auf die Leinwände bannte. „Liebe“ wirkt kühl, wirkt langsam, wirkt ruhig, verliert dabei jedoch niemals seine Faszination, gewinnt gerade aus diesen Elementen seine inszenatorische Stärke, die zusätzlich durch das – man darf es ruhig so nennen – grandiose Spiel von Trintignant und Riva bestärkt wird.
Denis Sasse
“Liebe“
Originaltitel: Amour
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: F / D / A, 2012
Länge: ca. 127 Minuten
Regie: Michael Haneke
Darsteller: Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert, Alexandre Tharaud, William Shimell
Deutschlandstart: 20. September 2012
Offizielle Homepage: liebe.x-verleih.de