Menschenwürdiges Sterben statt menschenwürdiges Leben

Der Tod ist ein Skandal fand Elias Canetti – und das ist er ja auch: Morgen kann alles vorbei sein. Den Tod kann man nicht abwenden, auch wenn die moderne Medizin dabei hilft, ihn hinauszuzögern – aber da fängt das nächste Problem schon wieder an: Will man das denn überhaupt? Kürzlich lief der Film Intensivstation im Fernsehen – und obwohl ich eigentlich gar keine Lust hatte, mir das anzusehen, bin ich dabei geblieben: 86 Minuten, in denen die Arbeit der Menschen auf der Intensivstation der Berliner Charité gezeigt wird. “Ja, wir spielen hier schon ein bisschen Gott”, sagt eine der Intensiv-Medizinerinnen.

Manchmal geht das gut, so konnten die Ärzte beispielsweise einen jungen Familienvater retten, der eigentlich gar keine Intensivmedizinische Betreuung mit künstlicher Beatmung und so weiter gewünscht hätte – aber jetzt ist er froh, dass seine Familie ihn noch hat. In anderen Fällen geht das nicht unbedingt so gut aus – die Frage ist immer auch, von welcher Qualität das Leben ist, das um nahezu jeden Preis gerettet werden kann. Hier setzt die Debatte mit der Sterbehilfe ein: Wenn klar ist, dass das Ende nah ist, warum soll man dem Patient dann es nicht mit starken Schmerzmitteln erträglich machen, auch wenn das möglicherweise zu einem etwas früherem Tod führt?

Friedhof Am Prenzlauer Berg, Berlin

Ist doch eigentlich ganz schön hier: Friedhof Am Prenzlauer Berg, Berlin

Andererseits: Weil das Sterben durch die Möglichkeiten mittlerweile so mächtigen Intensivmedizin so teuer geworden ist – warum den Menschen dann nicht die Wahl lassen, einen billigeren Ausgang zu nehmen? Dazu las ich heute auf der World Sozialist Website einen sehr aufschlussreichen Artikel von Sybille Fuchs. Natürlich läuft die Debatte in Deutschland alles in allem ziemlich defensiv – durch das Euthanasie-Programm der Nazis, die selbstherrlich über lebenswertes und lebensunterwertes Leben entschieden und bekanntlich keine Skrupel hatten, ihrer Ansicht nach unwertes Leben zu vernichten (und jede Menge lebenswertester Menschen dazu) gibt es zu recht große Empfindlichkeiten bei diesem Thema. Andererseits steht ein erstaunlich großer Teil der Bevölkerung der Sterbehilfe grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber: Für aktive Sterbehilfe sprechen sich 37 Prozent, für Beihilfe zur Selbsttötung sogar 46 Prozent aus, nur 12 Prozent finden, dass Beihilfe zum Sterben grundsätzlich verboten sein sollte.

Warum ist das so? Es sind ja nicht nur die Sterbenskranken, die den Tod als Erlösung ihrer Qual herbei wünschen, sondern zunehmend auch alte und arme Menschen, die Angst haben, den Rest ihrer Tage allein oder in einem Pflegeheim vor sich hin zu vegetieren – und die Zustände in vielen solcher Heime sind nachweislich keineswegs so, dass man selbst dort landen möchte. Und immer mehr alte Menschen werden sich nicht einmal ein schlechtes Pflegeheim leisten können.

Ich freue mich auch nicht auf meine Armutsrente. Aber den Strick nehmen, um der Allgemeinheit nicht länger zur Last zu fallen? Nee Leute, so nicht! Und es sollte auch nicht unter den Tisch fallen, dass nicht nur Medizin, Pflege, Altenverwahrung und der dergleichen mehr Geschäftsmodelle sind, um damit Profit zu erzielen, sondern auch die Sterbehilfe selbst: Es ist ja nicht so, dass entsprechende Dienstleister ihre Dienstleistung gratis anbieten würden. Aber alles in allem ist das wieder dermaßen typisch für unsere Gesellschaft: Lieber wird über ein menschenwürdiges Sterben debattiert als über ein menschenwürdiges Leben.



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