Anlässlich des in Genf stattfindenden Menschenrechtsrats der UNO „UPR 2010“ (Universal Periodic Review) hat die iranische Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Shadi Sadr (شادی صدر) flg. Rede gehalten:
Als ich in einem Verhörzimmer saß, mit dem Gesicht zur Wand, meine Augen verbunden und mein Körper von einem Tschador bedeckt, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich eines Tages vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen stehen und eine Aussage über genau diesen Tag machen würde. Ich bin sehr glücklich, dass ich heute hier sein kann, besonders da viele andere politische Gefangene noch immer in den Gefängnissen eingesperrt sind oder, selbst wenn sie freigelassen wurden, aus Angst schweigen und neutral sein müssen.
Lassen Sie mich mit meinen eigenen Erlebnissen beginnen, die nur ein Beispiel für die vielen Menschenrechtsverletzungen sind, die seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 in Iran verübt wurden.
Am 17. Juli 2009 wurde ich auf meinem Weg zur Teheran-Universität verhaftet. Ich wollte zum Freitagsgebet, das an jenem Tag von Ayatollah Hashemi Rafsanjani geleitet wurde. Ich war zusammen mit mehreren Frauenaktivistinnen zu Fuß auf dem Keshavarz-Boulevard unterwegs, als mehrere Personen in Zivil sich uns näherten. Sie weigerten sich, sich auszuweisen oder ihr Vorgehen zu erklären, und zwangen mich, in ein wartendes Auto zu steigen. Ich konnte kurzzeitig entkommen, aber ich wurde geschlagen und mit Gewalt wieder in das Auto gesetzt, während meine Begleiterinnen zurückgehalten wurden. Ich wurde in eine der Haftanstalten des Geheimdienstministeriums gebracht, die “Follow-up-Büros” genannt werden, und nach vierstündigem Verhör wurde ich nach Evin gebracht, wo ich bereits im März 2006 inhaftiert war.
Mitten in der Nacht wurde ich in Einzelhaft genommen, nachdem alles, was ich bei mir hatte, darunter meine Kleidung, mein Notebook und selbst meine Brille, beschlagnahmt worden war. Sie gaben mir meine Brille erst wieder, nachdem ich drei Tage lang die Nahrungsaufnahme verweigert hatte. Ich wurde fünf Mal verhört, jedes Verhör dauerte über vier Stunden.
Zunächst fragten sie mich nach den Usernamen und Passwörtern aller meiner E-Mail-Accounts und Blogs. Es war eine Standardfrage für sie, so wie die Frage nach meinem Namen und meiner Adresse. Dann begannen sie, mir viele Fragen zu stellen über alles, was ich gemacht hatte oder was mit mir zu tun hatte, angefangen bei unseren Aktivitäten in der Frauenbewegung bis hin zu meinem persönlichen Leben, von den Konferenzen im Ausland, an denen ich teilgenommen hatte, bis zu Namen und Informationen über meine Freunde in Iran und im Ausland. Sie nannten mich eine Puppe oder Marionette westlicher Länder, vor allem der Vereinigten Staaten, die den Auftrag habe, die Regierung zu stürzen, indem sie über die Forderungen von Frauen und den Gedanken der Geschlechtergleichheit die Gesellschaft verändert. Sie klagten mich zu keiner Zeit formal eines Verbrechens an.Dem iranischen Gesetz zufolge, das ich als Juristin sehr gut kenne, muss ich keine Fragen beantworten, bevor ich formal eines Verbrechens angeklagt bin. Diese Regelung wurde genau wie viele andere, die die Rechte von Gefangenen sichern, vollkommen außer Acht gelassen. Entgegen dem Procedere, dass durch das iranische Gesetz definiert wurde, um “die legitimen Freiheiten und den Schutz der Bürgerrechte zu achten”, steckten sie mich in eine Einzelzelle, in der ununterbrochen das Licht brannte. Ich konnte die Gesichter meiner Befrager nicht sehen, weil ich mit verbundenen Augen mit dem Gesicht zur Wand sitzen musste – das alles ist illegal. Ich wurde nicht körperlich gefoltert, aber an einem Tag brachten sie mich und etwa fünfzehn männliche Gefangene in einen Raum in Evin, und während ich mit dem Gesicht zur Wand saß, verhörten mindestens zwanzig Befrager diese Gefangenen, die hinter mich gesetzt wurden. Diese Männer wurden brutal geschlagen, und ich musste zuhören.
Zu Beginn konnte ich die Fragen über sehr einfache und gewaltlose Aktivitäten, wie z. B. die Verteilung von gedrucktem Material bei den Demonstrationen, noch beantworten. Aber nach einigen Sekunden konnte ich nichts mehr hören, und es fühlte sich an, als ob mein Kopf von zwei Eisenplatten zusammengequetscht wurde. Weniger als eine Stunde später wurde ich zum Verhör gerufen, meine Hände und Beine zitterten, und mein Gehirn war völlig leer. Ich fühlte mich wirklich, als würde ich gefoltert.
Was die Verletzung von Rechten angeht, haben so viele andere viel schlimmere Erfahrungen gemacht als ich, vor allem die, die die Öffentlichkeit nicht kennt. Offiziellen Angaben zufolge wurden während der Ereignisse nach der Wahl in Teheran und anderen Städten mehr als 4000 Menschen verhaftet. Sie wurden entweder auf der Straße, zu Hause oder am Arbeitsplatz festgenommen. Verschiedene verlässliche Quellen berichten inzwischen, dass die Rechte von Gefangenen umfassend verletzt werden. Zusätzlich zu den unzähligen Beispielen für die systematischen Menschenrechtsverletzungen, die es innerhalb der letzten drei Jahrzehnte der Islamischen Republik gab, sind die grundlegenden und fundamentalen Rechte während der Ereignisse nach der Wahl nach wie vor ernsthaft gefährdet. Dazu gehören die Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz, das Recht auf friedliche Versammlungen, die Rechte politischer Gefangener und die Rechte von Menschenrechtsverteidigern und Bürgerrechtsaktivisten.
Der Untersuchungskommission des iranischen Parlaments zufolge, die im Juli 2009 eingesetzt wurde, um Vorwürfe über Folter und Tötung von Häftlingen zu prüfen, die bei den Demonstrationen nach der Wahl verhaftet worden waren, wurden in der Haftanstalt Kahrizak drei Gefangene zu Tode gefoltert. Die Kommission erklärte den ehemaligen Teheraner Staatsanwalt Saeed Mortazavi in einem am 10. Januar 2010 veröffentlichten Bericht zum Hauptverantwortlichen für den Tod dieser drei jungen Männer. Er ist allerdings leider weder vor Gericht gestellt, noch offiziell befragt oder angeklagt worden, während eine Vielzahl von Frauenaktivistinnen, Journalisten und Menschenrechtsverteidigern auf Grund ihrer friedlichen Aktivitäten beschuldigt werden, das Regime stürzen zu wollen.
In diesem Moment befinden sich mindestens 60 Frauenrechtlerinnen im Gefängnis. Einige von ihnen konnten noch kein einziges Mal ihre Familien anrufen oder sehen. In manchen Fällen ist nicht einmal bekannt, in welchem Gefängnis sie sind. Die Justiz verweigert den Angehörigen von Gefangenen jede Information über deren Situation und den Anwälten der Gefangenen jede Kooperation. Nicht nur die Rechte der Frauenrechtlerinnen werden verletzt, sondern die Rechte aller iranischen Frauen sind in Gefahr. Zum Beispiel hat die Regierung vor Kurzem einen neuen Entwurf des Familiengesetzes vorgeschlagen (Titel: “Schutz der Institution Familie”), der derzeit im Parlament diskutiert wird. Dieser Entwurf enthält viele diskriminierende Elemente und geschlechtsspezifische Einseitigkeiten. Er fördert die Polygamie und die Eheschließung auf Zeit, beides Dinge, die den Mann bevorzugen und die gesellschaftlich inakzeptabel sind.
Aus eben diesen Gründen haben Frauenrechtlerinnen seit 2007 regelmäßig gegen diesen Vorschlag Einwände geäußert und es geschafft, die Abstimmung, mit der der Gesetzesentwurf im September 2008 legalisiert werden sollte, zu verzögern. Aber jetzt, wo viele Aktivistinnen entweder im Gefängnis sitzen oder unterdrückt werden, wird im Parlament wieder darüber gesprochen, und leider ist zu erwarten, dass der Entwurf angenommen wird. Bedauerlicherweise hat die Islamische Republik diesen diskriminierenden Gesetzesentwurf in ihrem Bericht an den Universal Periodic Review als eine Gesetzgebung definiert, die die Menschenrechtssituation verbessern wird.
Darum möchte ich, basierend auf meinen eigenen Erfahrungen sowie auf der Grundlage verlässlicher Fakten, meine Rede mit einigen Empfehlungen für die Islamische Republik Iran schließen, von denen ich glaube, dass sie von den Delegationen anderer Länder während der UPR-Sitzung vorgebracht werden sollten:
• Neben Irans internationalen Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte existieren viele nationale Regelungen und Gesetzgebungen im iranischen Rechtssystem, die die Rechte von Gefangenen betreffen, darunter auch das Gesetz “zur Achtung der legitimen Freiheiten und zum Schutz der Bürgerrechte”, neben anderen Verfahren, Gesetzen und der Verfassung, die fundamentale Rechte garantieren sollen.
Ich fordere die iranische Polizei und Justiz dringend auf, diese internationalen und nationalen Gesetze zu achten, die das Verbot willkürlicher Verhaftung, das Recht, einen Anwalt zu nehmen und mit ihm zu sprechen, das Recht auf regelmäßigen Familienbesuch, das Verbot von Einzelhaft und das Verbot körperlicher Misshandlung und Folter garantieren.• Die iranischen Behörden müssen aufhören, Mortazavi Strafbefreiung zu gewähren, und ihn ebenso gerichtlich verfolgen wie alle Befehlshaber und Ausführenden, die in die umfassenden Verletzungen der Bürgerrechte während der Proteste nach der Wahl verwickelt waren.
• Die iranische Regierung muss alle diskriminierenden Gesetze gegen Frauen zurückziehen, insbesondere den Gesetzesentwurf zum Schutz der Institution der Familie, der einen vollständigen Verstoß gegen die internationalen Verpflichtungen Irans, insbesondere gegen Artikel 2 und 3 des Internationalen Pakts über zivile und politische Rechte darstellt.
Quelle: Julias Blog