Melassemorgen

Zugegeben, auch mir fiel es heute früh nicht leicht, aus dem Bett zu kommen, doch dies hatte einen Grund. Nach einem gemütlichen Sontag mit guten Freunden und üppigem Essen entsann sich mein Magen nämlich seiner Verstimmung von neulich und raubte mir damit den Schlaf. Ich hatte also einen guten Grund, das Bett nicht verlassen zu wollen, aber unsere Kinder? Luise zum Beispiel. Springt die etwa aus dem Bett und jubelt: “Hach, was bin ich doch glücklich. Ich darf in die Schule gehen und keiner kann mir sagen, ich müsse zu lernen aufhören, einen alten Sack heiraten und so bald als möglich Kinder kriegen.”? Nein, die bleibt liegen und raunzt mich an: “Welcher Idiot hat überhaupt die Schule erfunden?” In diesem Ton geht es weiter: “Darf ich denn nie bei den Kätzchen sein?”, “Warum hast du mir nicht gesagt, wie spät es ist?”, “Wann bekomme ich denn endlich neue Schuhe?” und schliesslich, als sie realisiert, wie spät es geworden ist: “Du hast mich viel zu spät geweckt und jetzt komme ich zu spät. Nur wegen dir.”

Okay, Töchterchen, wir könnten jetzt natürlich darüber reden, wie lange ich neben deinem Bett gestanden habe, um dich zum Aufstehen zu motivieren, wie oft ich dich ermahnt habe, dich zu beeilen und wie viel Zeit du damit vertan hast, deinen Bruder zusammenzustauchen. Aber ich muss mich jetzt leider um den FeuerwehrRitterRömerPiraten kümmern, dem heute auch nicht nach Schule ist. Das könnte in dem Krach, den Luise veranstaltet, leicht untergehen, denn der Widerstand unseres Dritten kommt auf sehr leisen Sohlen daher. Fünfzehn Minuten Schmollen hinter der Kakaotasse, eine schier endlose Dusche, anziehen im Zeitlupentempo, halbherzige Suche nach dem Schulsack und schliesslich, als mir der Kragen platzt, lautes Geheul, so als hätte ich ihm gesagt, er sei ein Nichtsnutz aus dem nie etwas werde. Dabei habe ich ihn nur darauf hingewiesen, dass er sich jetzt wirklich beeilen muss. 

Mit dem Abrauschen von Luise und dem FeuerwehrRitterRömerPiraten ist der einfachere Teil der Montagmorgen-Routine abgeschlossen und die wahre Herausforderung beginnt: Das Prinzchen mit Bitten, Betteln und Zürnen dazu bringen, die Augen zu öffnen. Wenn die Augen endlich offen sind, dafür sorgen, dass er die dreissig Schritte von seinem Schlafzimmer in die Küche unter die Füsse nimmt. Am Küchentisch dann das Motivationsgeschwätz: “Trink deinen Kakao. Nimm doch noch etwas Granola dazu. Nein, der Kakao ist nicht zu heiss, der ist gerade richtig.” Das ganze Anziehdrama erspare ich meiner Leserschaft und sage dazu nur: Hätte ich am frühen Morgen die Aussicht auf vier Stunden singen, spielen, Geschichten hören, basteln, etc. und das im schönsten Kindergarten der Welt, ich würde im Morgengrauen vor der verschlossenen Türe warten, bis sie mich ins Paradies einlassen. Nun, das Prinzchen ist ganz offensichtlich noch zu jung, um so etwas zu schätzen und kommt deshalb erst im Kindergarten an, als die Kindergärtnerin die Türe bereits wieder geschlossen hat, um den Spätankömmlingen zu zeigen, dass sie eigentlich schon längst hätten da sein müssen. 

Der Zoowärter, der sich zeitgleich mit dem Prinzchen bereit macht, muss zwar nicht motiviert werden, dafür wollen seine Kleider auf allen Etagen unserer dreistöckigen Wohnung – und in der Waschküche – zusammengesucht werden. Da der Zoowärter dazu neigt, aus allen Kleidungsstücken das Schmutzigste auszuwählen und anzuziehen, muss für jedes Stück, das er anzieht, ein sauberer Ersatz her und den muss ich besorgen, sonst zieht er sich einfach den nächsten befleckten Pulli über. Treppen steigen ist also angesagt, sehr viel Treppen steigen. Und zwischendurch dafür sorgen, dass der Zoowärter nicht einschläft beim Anziehen. 

Auf diese Weise bringen es vier meiner fünf Kinder fertig, zu spät zur Schule zu kommen und mir den letzten Nerv zu rauben. Einzig Karlsson ist schon längst weg, pünktlich wie fast immer, denn ihm käme es nie in den Sinn, den frühen Morgen mit Trödeln und Gejammer zu vergeuden. Zum Glück auch, ich fühle so schon, als wäre ich neunzig Minuten lang durch knietiefe Melasse gewatet.

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