| Meine Nachmittage mit Eva | Bärbel Schäfer und | Gütersloher Verlagshaus, 2017 | 978-3579086859 | 19,99 € |
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Zwei Frauen, zwei Generationen, zwei Erfahrungswelten: Bärbel Schäfer und die 85-jährige Eva Szepesi. Eva trägt eine tätowierte Nummer auf dem Unterarm. Sie war erst elf Jahre alt, als sie allein vor den Nazis fliehen musste und schließlich nach Auschwitz gebracht wurde. Jeden Mittwoch besucht Bärbel Schäfer ihre Freundin und die beiden sprechen über Gewalt, Schrecken und Angst, aber auch über Freundschaft, Toleranz, Geborgenheit und Respekt. Es geht in diesem Buch um eine der letzten Überlebenden eines Konzentrationslagers. Bärbel Schäfer gelingt es auf empathische Weise und literarisch brillant, ihre eigene Lebensgeschichte vor den Erzählungen Evas zu spiegeln und damit ihre erschütternden Erfahrungen ins Heute zu holen.
Vielleicht hatten wir nie die Möglichkeit, jemanden zu fragen. Vielleicht schwieg derjenige oder gab nur Kleinigkeiten seines Lebens preis. Habt Ihr immer gefragt, wenn ihr es noch gekonnt hättet? Denkt Ihr manchmal, dass es da ein Schweigen gab? Gerade in der Generation, die den 2. Weltkrieg erlebt hat, ist da eine Mauer. Gedanken und Gefühle wurden weggesperrt und manchmal öffneten sich die Personen nur schwer oder es war zu spät.
Bärbel Schäfer, die vielen bekannt ist und mich bereits vor einiger Zeit mit sehr klugen Gedanken überrascht hat, hat Eva getroffen. Ich möchte sagen, dass der falsche Eindruck von Frau Schäfer nur bei mir liegt, denn sie war jahrelang für mich nur die Talkshow-Tante. Ein sehr oberflächlicher Gedanken, denn sie beschäftigt sich als Autorin mit sehr wichtigen Themen: Schuld, Religion und Vergangenheit.
Dazu kommt, dass ich bis zu diesem Buch nicht wusste, dass sie zum jüdischen Glauben konvertiert ist und das aus Überzeugung. Sie ist mit Michel Friedmann verheiratet und hat Kinder. Ich erwähne diese persönlichen Aspekte nur, da sie einen ganz neuen Blickwinkel für mich eröffnet haben und auch verständlich machen, warum sich Frau Schäfer mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt. Mit Eva Szepesi ist sie nicht verwandt, während den Gesprächen wuchs eine tiefe Freundschaft, die die beiden verbindet.
Eva hat den 2. Weltkrieg überlebt. Eine Nummer, die sie jahrelang versteckt hat, zeugt davon, dass da etwas war. Nie sprach sie davon, machte viel mit sich selbst aus und konnte erst Jahre später die Worte finden, um ihr Leben zu beschreiben. Nicht nur, dass sie mit Bärbel Schäfer gesprochen hat, sie besucht auch Schulklassen und klärt damit über den Krieg auf. Hut ab, vor soviel Courage, die Mut erfordert.
Die Autorin trifft Eva auch, um sich selbst darüber klar zu werden, dass es Mauern in ihrer Familie gab. Als Kind sind sie nicht immer aufgefallen. Aber Frau Schäfer wurde älter und nahm etwas wahr. Niemand sprach mit ihr darüber, es gab Blicke, harsche Worte und immer wieder Bärbels Frage: wie viel hat meine Familie dazu beigetragen, dass die Juden verfolgt wurden? Was gehört uns? Woher stammt unser Haus? Fragen, die ihr niemand richtig beantworten wollte.
Später wollte sie wissen, wo sie selbst steht. Und auch viel wichtiger, wie steht sie zu ihrem Mann, zur Religion ihrer Kinder? Die Gespräche mit Eva belegen viele Fragen und Eva versucht zu erklären. Die Schuld, das Wiederkommen in das Land der Täter und die Verdrängung. Eva Szepesi erzählt Anekdoten. Nicht nur aus dem Lager, auch aus dem Leben danach. Wie es weiter ging, wie man einen Mann findet und Kinder bekommt – trotz allem. Sie zeigt aber der Zuhörerin auch auf, dass manche Dinge immer noch geglaubt werden. Es gibt ein Gespräch, in dem es um Kälte im Lager geht. Frau Schäfer fragt: „Hattet ihr Kinder keine Handschuhe?“ Es spricht Naivität aus diesen Worten und Eva lacht und antwortet.
Den Gesprächen kann man sehr gut folgen. Auch die Gedanken der Autorin sind verwoben mit Evas Geschichte. Die Frage nach der Schuld, dem Neid und dem Warum, kann nicht abschließend geklärt werden. Nie. Aber es ist ein anderer Blickwinkel und einer von vielen, denn „Meine Nachmittage mit Eva“ zeigt, ein Menschenleben und somit nur einen Umgang mit der Vergangenheit. Viele haben es geschafft, sich wieder etwas aufzubauen, mit den Wunden zu leben und den neuen Generationen, die Tür zum Verständnis zu zeigen.
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