Mein lieber Mann ... Teil 6: Passspiel

Foto: Peer Kugler -  “Und manchmal bekomme ich sogar Lust mitzufeiern, weil die Gesellschaft beschwingt und lustig erscheint, wie sie da so mit Champagnerglas gestikulieren, sich bewegen wie auf einer Verkleidungsparty.”

Foto: Peer Kugler - “Und manchmal bekomme ich sogar Lust mitzufeiern, weil die Gesellschaft beschwingt und lustig erscheint, wie sie da so mit Champagnerglas gestikulieren, sich bewegen wie auf einer Verkleidungsparty.”

An dieser Stelle schreibt unsere Autorin Briefe an „ihren Mann“, den es zwar hoffentlich schon gibt, der aber noch nicht bei ihr geklingelt hat. Die Bilder zu der Serie sind von dem Fotografen Peer Kugler. Die beiden waren vor 30 Jahren ein Paar und haben die meiste Zeit ihrer verliebten 24 Monate im Kino verbracht. Beide wundern sich darüber, dass ihre Freundschaft schon so alt ist wie der Fall der Berliner Mauer. Auf einer gemeinsamen Reise nach Bukarest vor 24 Jahren schlug Stefanie Peer vor, eine Leica mitzunehmen, seither legt er die Kamera nur selten vom Körper ab.

Teil 6

Passspiel

„Es muss halt passen!“, sagen die Alten und die Jungen, wenn sie sich über Paare unterhalten. Mein lieber Mann, wenn ich nur endlich wüsste was das, in der Tiefe des Raums, bedeuten soll. Ich wohne direkt an einem öffentlichen Park mit imposanten Blutbuchen, in dem eine noch imposantere Villa steht. Von Mai bis September finden dort, an jedem Wochenende, Traum-Hochzeiten in der Traumvilla statt. Alle Brautpaare inszenieren sich individuell nach ihren Vorstellungen, und doch unterscheiden sie sich kaum.

Mein Trampelpfad mit meinen Hunden umrundet das dreistöckige Bauwerk von 1913 mit seinen Panoramafenstern und dem Prachtbalkon mit Elbblick, und so habe ich freie Sicht auf das Glück und die Gäste. Nach der Trauung unter dem blumengeschmückten Baldachin auf dem stark beanspruchten Rasen (leider räumen nicht alle die Hinterlassenschaften ihrer Hunde weg und auch die Grillfeste fordern ihren Tribut), dem obligatorischen Hochzeitsfoto auf der Treppe, dem anschließenden Bankett, dem total überflüssigen Feuerwerk (alle Anwohner sind davon total genervt, weil die Kinder und Hunde aus den Betten fliegen) ist ab 23:15 Uhr der DJ mit Hütchen und Vollbart an der Reihe: Und manchmal bekomme ich sogar Lust mitzufeiern, weil die Gesellschaft beschwingt und lustig erscheint, wie sie da so mit Champagnerglas gestikulieren, sich bewegen wie auf einer Verkleidungsparty. Im Souterrain der Villa ist immer das praktische Spielzimmer eingerichtet weil Kinder ja eigentlich im Weg sind auf Partys. Dabei könnten sie im Festsaal die Erwachsenen beim ältesten Spiel der Menschheit beobachten, um etwas fürs Leben zu lernen, vielleicht würden sie beschließen, bei ihrer Hochzeit ausnahmsweise nicht wie Barbie & Ken auszusehen. Sie könnten auch eine geheime Strichliste darüber führen, wie häufig folgende Sätze fallen: „Die beiden passen ja so gut zusammen, ein Traumpaar!“, „Ich geh’ mal eine rauchen“, „Die Rede des Brautvaters war zu lang“.

Als Kinder spielten wir zu solchen Anlässen ein einfaches Spiel, wir benötigten dazu nur einen Zettel und jeder einen Stift. Einer zeichnete den Kopf, der wurde umgeknickt, der nächste malte den Hals, Papier umknicken, weiterreichen, dann den Körper, bis zu den Füßen. Reihum entstanden abstruse Geschöpfe, gern mit Giraffenhals oder Elefantenrüssel. Nichts passte zusammen und wir lachten uns kaputt.

Mein lieber Mann, ich wache fast jeden Morgen mit einem anderen Kopf auf. Es mag daran liegen, dass ich eine Zwillingsgeborene bin, Aszendent sprunghaft. Überhaupt, es ist eine von zahlreichen und durchaus verbreiteten Möglichkeiten, den passenden Partner nach dem Horoskop auszuwählen oder ihn, bei kritischer Konstellation, sogar auszuschließen. Allerdings benötigen seriöse Astrologen dazu die exakte Geburtszeit, was oft eine Unbekannte darstellt. Und dann kann rasch mal, statt einem Löwen, ein Widder oder Elefant rauskommen und die Safari geht von vorn los.

Wie gesagt, ich wache fast jeden Morgen anders auf und mag deshalb in Beziehungen das „Tiki-Taka“, dass schnelle fließende Passspiel, was bedeutet: Spielen-Gehen-Freilaufen-Anbieten. (Anmerkung für Menschen, die Fußball nicht interessiert: Das Tiki-Taka hat nichts mit Pippi Langstrumpf und Taka-Tuka zu tun, sondern wurde populär durch den legendären Fußballer und Trainer Pep Guardiola). Spielen-Gehen-Freilaufen-Anbieten. Passspiel, so stelle ich mir die ideale Beziehungsdynamik vor. Eine Formel für Fortgeschrittene. Da fällt das Gerangel auf dem Bolzplatz der Eitelkeiten, Ängste und Fouls völlig unter die Bank. Es zählen Passsicherheit und der souveräne Blick für den freien Raum. Da fallen Tore, Gegner mit Mauertaktik haben keine Chance.

Vor einigen Tagen tröstete ich eine Freundin, sie war, obwohl sie offenkundig den passenden Partner gefunden hat, sogar das Sternzeichen stimmt, unzufrieden mit ihrer Gesamtsituation. Solche Klagen sind von der Ersatzbank aus manchmal schwer nachzuvollziehen, „Schiri, sie hat doch alles!“, möchte man über den Platz brüllen. „Ihr passt doch so gut zusammen!“ Aber jedes Formtief oder gelegentliche Fehlpässe haben ihre Geschichte. Da wird der gekonnte Blick für den freien Raum spielentscheidend. Einer wie Andrés Iniesta beherrscht das, offensives Mittelfeld, ein Traumspieler.

Mein lieber Mann, ich weiß, nach einer Verletzungspause muss ich irgendwann zurück auf den Platz.

Die nächste Geschichte aus unserer Serie “Mein lieber Mann” erscheint am Freitag den 23. August


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