Foto: Peer Kugler - “…Ich langte noch mal in den Brotkorb und freute mich, dass es in der Schar auch ein paar Dickerchen gab. Nichts ist anziehender als das wahre Leben, an glatter Oberfläche bin ich schon immer abgeschmiert, ich langweile und fürchte mich zugleich…”
An dieser Stelle schreibt unsere Autorin Briefe an „ihren Mann“, den es zwar hoffentlich schon gibt, der aber noch nicht bei ihr geklingelt hat. Die Bilder zu der Serie sind von dem Fotografen Peer Kugler. Die beiden waren vor 30 Jahren ein Paar und haben die meiste Zeit ihrer verliebten 24 Monate im Kino verbracht. Beide wundern sich darüber, dass ihre Freundschaft schon so alt ist wie der Fall der Berliner Mauer. Auf einer gemeinsamen Reise nach Bukarest vor 24 Jahren schlug Stefanie Peer vor, eine Leica mitzunehmen, seither legt er die Kamera nur selten vom Körper ab.
Teil 5
Tischordnung
Vor einigen Monaten ist mir der Spaß vergangen! Und vor einigen Tagen habe ich ihn zurückgewonnen. Wie das kam? Nun, Du kennst vermutlich die gesetzten Abendessen, die kleinen, großen und sehr großen Runden, in denen überwiegend Paare als geladene Gäste sitzen. Paare, die sich zufälligerweise zu diesem Anlass ganz wunderbar verstehen, so als zähle das zu den AGBs ihrer Allianz. Und ich dazwischen. Gewöhnlich sind noch ein homosexueller Alleinunterhalter und ein furchtbar netter Ladenhüter mit von der Partie, so als wäre das Ganze nicht schon traurig genug. Ich empfinde diese Abende, die selten in Nächte ausufern, immer als Mutprobe. Und ich schwöre, es war auch schon so, als ich noch nicht als Einzelwesen unterwegs war. Ich schätze, das schaffen nur die Franzosen und auch die Italiener, solche Abende auch mal eine Spur ins Unterhaltsame eskalieren zu lassen. Damit meine ich Flirts, Sticheleien und elegante Offenheit für die Kehrseiten der eingetragenen Lebensgemeinschaften und eine gewisse Unbefangenheit mit dem Umgang von Blessuren in Biografien.
Mein lieber Mann, vor einigen Monaten saß ich also mutig an einem dieser großen Tafeln, mit Tischkärtchen und Kleider-Motto für die Damen und Herren; und ich befand mich einem Beau gegenüber platziert, der mit der umwerfenden Ex-Freundin des Gastgebers in zweiter Ehe verheiratet ist. „Kennen wir uns?“, fragte mich Monsieur Beau, um höflichen Smalltalk bemüht. Er war es gewohnt hofiert zu werden, daran war nicht zu rütteln. Und ich antwortete wahrheitsgemäß: „Ja, ich bin eine Kollegin deiner Exfrau. Wir sind vor einigen Jahren mal gemeinsam in einer Bar versackt.“ Offenbar kam diese Information nicht so gut an, denn nur 30 Sekunden nach meiner Antwort entschuldigte sich der besagte Beau, stand auf und saß für den Rest des Abends am anderen Ende des Tisches. Das nennt man ein Fettnäpfchen. Die ganze Chose begann also ganz vielversprechend, auch weil mein Exmann mit seiner 18 Jahre jüngeren Partnerin und umringt von seinen besten Freunden, die zehn Jahre lang zu meinem Kreis zählten, drei Tische weiter saß. Sie unterhielten sich vermutlich über ihr Lieblingsthema Selbstoptimierung durch exzessiven Sport und 100 % zuckerfreier Ernährung. Oder fragten meinen Ex, ob ich noch mit dem Schönheitschirurgen liiert sei.
Die Antwort ist nein. Ich langte noch mal in den Brotkorb und freute mich, dass es in der Schar auch ein paar Dickerchen gab. Nichts ist anziehender als das wahre Leben, an glatter Oberfläche bin ich schon immer abgeschmiert, ich langweile und fürchte mich zugleich. Und ja, ich gebe es zu, ich zünde dann auch gern mal ein Feuerchen an.
Der Abend endete für mich auf der Tanzfläche. Allein. In meiner vielleicht verklärten Erinnerung tanzten noch vor wenigen Jahren alle durcheinander und verausgabten und verströmten sich in alle Richtungen. Ein großes Spektakel, vorbei! Auf diesem Fest galten auf der Tanzfläche offenkundig andere Regeln: die Frauen bewachten ihre Männer, ich kannte es umgekehrt – lag es vielleicht am Trachten-Motto? Bei so viel Etikette verschlug es mich nach draußen zu den Rauchern, obwohl ich gar nicht rauche. Ich plauderte mit einem alten Freund, als sich eine attraktive Frau zu uns gesellte und ihn um eine Zigarette bat, wir kamen ins Gespräch, ich fragte sie nach ihrem Namen, sie antwortete, sie sei die Frau von ... ich wiederholte amüsiert, ich hätte sie nach ihrem Namen gefragt. Kurze Zeit später verließ ich die Gesellschaft und drehte eine ausgiebige Runde mit meinen Hunden im Park. Mutterseelenallein durch die Nacht zu streifen empfand ich als weniger beängstigend als den Parcours der Paare.
Mein lieber Mann, es vergingen einige Monate, bevor ich reif für eine neue Mutprobe war. Es wurde ein toller Abend und ich zählte zu den Letzten, die sich vom Gastgeber und seiner Frau verabschiedeten. Beide konnten nicht ahnen, wie froh mich das machte. Denn wir kennen uns erst seit einer kurzen Weile.
In einem Feature im Deutschlandfunk über Freundschaft berichtete ein Soziologe jeder Mensch solle bis ins hohe Alter neue Freundschaften knüpfen. Denn Menschen verlieren Freunde, das sei ein natürlicher Prozess. Und gewinnen neue dazu, es passiert nur nicht von allein, es sei wichtig, auf neue Situationen zuzugehen. Und so ließ ich es geschehen und nahm die Geburtstagseinladung eines Künstlers an, der zur Begrüßung seine etwa 30 Gäste einzeln vorstellte. Drei charmante Sätze zu jedem von uns – „macht was draus!“, endete seine muntere Rede.
An diesem Abend lauschte ich einem Großmeister der japanischen Papierkunst, wie er jedes Jahr in Italien aus dem Bast des Maulbeerbaums Papier schöpft. Ich las von den Lippen eines französischen Konzeptkünstlers, der faszinierenden Schmuck trug, und folgte damit dem Rat eines Architekten, der zu meiner Rechten saß und mich konsequent siezte; der Franzose wiederum versuchte mir, in seiner Sprache, mitzuteilen, ich würde ihn an eine französische Moderatorin aus den Achtziger Jahren erinnern, ich fasste dies als Kompliment auf. Ich philosophierte mit einem Schriftsteller zu meiner Linken über das Tibetische Totenbuch, seine Mutter war gerade verstorben, und mit einem mir gegenüber sitzenden Witwer sprachen wir zu dritt über seine zweite große Liebe, der Mann rührte mich zu Tränen. Zu Beginn des Abends hatte er verschlossen, ja hanseatisch gewirkt, um uns dann eine sehr persönliche Seite zu offenbaren. Nach einem spontanen Tischwechsel beriet ich mich mit einer bemerkenswert charismatischen Frau über Hundeerziehung, sie unterschlug, dass sie Psychologin ist, sie unterschlug jedoch nicht, einen anspruchsvollen Hund zu haben, der ein territoriales Thema mit ihrem Mann hat. Und zu guter Letzt erfuhr ich, dass die Frau des Gastgebers als Kind in Pretoria gelebt und mit Löwenbabys gespielt hatte. Ich fühlte mich pudelwohl. Spürte meine Liebe zu den Menschen und ihren Geschichten, meine Zugehörigkeit zu einem Geist, der keine Normen braucht. Kein, „ich bin die Frau von ...“.
Mein lieber Mann, ich weiß, Du wirst an so einer Tafel sitzen.
Dir hat es gefallen? Die anderen Teile aus der Serie “Mein Lieber Mann” findest du hier: