Mein letzter Wille

Auf meinem Rechner findet sich keine Kinderpornographie. Auch keine Baupläne für Bomben, Sprengsätze oder Do-it-yourself-Minen. Mordpläne, nicht mal Mordabsichtserklärungen, finden sich gleichfalls nicht auf meiner Festplatte. Eine Datei, in der das Versteck zurückgehaltener Steuerzahlungen notiert wäre, wohnt auch nicht auf meinem PC. Ich bin, um es kürzer zu sagen, nicht bestrafungsrelevant. Das kann sich allerdings ändern. Nicht weil ich etwas täte, was mich einer Bestrafung näherbringen würde - das erledigen heute andere für einen. In der Dienstleistungsgesellschaft wird einem alles abgenommen: sogar die Straftat oder die strafrelevante Aktion.

Das heißt also, schon morgen könnten sie an meiner Türe klingeln, meinen Rechner per Verfügung mitnehmen und einige Stunden später erneut aufkreuzen, um mir schmucke Schellen unterhalb der Handwurzel anzulegen. Man könnte etwas gefunden haben, was ich nie zuvor gesehen, geschweige auf meine Festplatte gespeichert habe. Man mag sich gar nicht ausmalen, was das bedeutete. Plötzlich ist sind da Bauanleitungen zu finden oder nackte Pfadfinder - da ginge ein Leben zu Bruch; das ist nicht mehr zu kitten, selbst wenn die Unschuld hernach doch noch bewiesen würde. Semper aliquid haeret!

Daher ist es an der Zeit, dass Menschen virtueller Lebenswelten, Leute wie ich es bin, wie der kecke Journalist Berger, der dem deutschen Feuilleton verlorengegangene Erdmann, der Anstossgeber Baum... dass solche Leute ihren letzten virtuellen Willen formulieren. Bevor es zu spät ist! Bevor der Rechner, bevor man selbst abgeholt wird! Was soll mit dem Werk geschehen, wenn man "unpässlich" ist? Übernimmt, bewacht, sichert es jemand? Bereinigt einer die Schmähungen, die dann aufgescheuchte Trolle in den Kommentarabschnitt schmieren?

Übertrieben scheint das alles nicht. Man erklärt nun, dass mit dem Trojaner alles "rechtsstaatlich korrekt abgelaufen" sei - das tut man, obgleich man weiß, von den Experten des CCC analysiert bekam, dass das Ding eklatante Mängel hat. Mit dem Trojaner kann man, wie oben schon angerissen, dem PC-Besitzer Dateien unterschieben. Wie er beweisen soll, dass er nichts damit zu tun hat, obwohl doch nur er Zugriff auf seinen Kasten hat, das dürfte ein endloses, unübersichtliches Unterfangen im Zuschnitte Kafkas sein. Und das hält man für "rechtsstaatlich korrekt abgelaufen". Ist es da paranoid, wenn man sein bloggistisches Testament aufsetzt? Panikmache? Delirium? Oder nicht doch eher Vernunft? Voraussicht? Zukunftsplan? Eventuell ist es ja auch so, dass Paranoia im Überwachungsstaat gebotene Vernunft ist - vielleicht muß der Verstandesmensch delirieren, um sich selbst zu schützen. In einer Überwachungsgesellschaft ist der Paranoide kein Verrückter: er ist die ganz spezielle Spielart des Rationalisten in jener Lebenswelt.

Zunächst beginnt man wohl mit einer Stellungnahme. Wobei ich das oben bereits getan habe. Nochmal: mein Rechner ist sauber. Das ist überhaupt auch so etwas, dass man sich plötzlich genötigt fühlt, sich zu rechtfertigen. Wirkt auch so ein bisschen besessen. Aber die Hüllen der Intimität, der Privatsphäre fallen zu lassen, um seine Unschuld schon vorab zu beweisen, somit die Unschuldsvermutung umzukehren: das ist eine Verhaltensweise, die der Rationalist normalerweise ablehnt, die man ihm aber aufzwängt, wenn er sich in einem Klima aus Beobachtung und Observierung bewegt. Und nach der Stellungnahme, kommt man dann gleich zum letzten Willen? Kann ich dem Berger ad sinistram aufhalsen? Dem Erdmann nicht, der hat keine Zeit, den nehmen sie auch mit, jetzt da er zur Besetzung, zum occupy aufruft - dem schieben sie, alles freilich "rechtsstaatlich korrekt", bestimmt was in die Schuhe. Und der Baum? Möchte der meine Texte kopieren und speichern, damit sie einer Nachwelt, die sie nicht mehr lesen mag, erhalten bleiben? Und wer soll die Imagekampagne leiten, die mein Andenken bewahren soll?
Sicherlich, alles Panik. Was wollten die auch von mir kleinen Fisch? Aber genau darauf zielt deren Technik doch ab.

Morgen schon werden sie uns mitteilen, dass der Trojaner auch schon Erfolge zeitigte. Ein linker Spinner, der Bombenpläne auf seinem Rechner hatte, konnte dingfest gemacht werden - vielleicht bringt man ihn mit den vereitelten Anschlägen auf das Berliner Bahnnetz in Verbindung. Und dann? Wird der Trojaner dann, wenn schon nicht geliebt, so doch wenigstens geschätzt? Er scheint doch dann ein hilfreiches Werkzeug zu sein. Der linke Spinner aber, den gibt es entweder gar nicht oder, was mehr zu befürchten ist, ihm hat man Pläne auf die Festplatte gespielt. Künftighin wird man nicht mehr zwischen wirklichen Übeltätern und trojanisch geformten Tätern unterscheiden können. Auch so eine Auswirkung dieser Technik. Man wird sich ganz automatisch auf die Seite derer schlagen müssen, die da vor einen Richter gebracht werden. Schlussendlich waren die nackten Kinderleiber wirklich von ihm selbst erstellt, gezogen oder was auch immer - aber Troja sei dank, schlägt sich der Rationalist dann auf die Seite des Verbrechens, weil er ja annehmen muß, dass jedem etwas untergejubelt wird. Im Überwachungsstaat schwindet das Rechtsbewusstsein, es wird durch Skepsis ersetzt, die man den Behörden in jedem Falle entgegenbringt, sogar, wenn sie gegen das wirkliche Verbrechen vorgehen. Aber das ist alles "rechtsstaatlich korrekt"...


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