Es ist schön, neue Leute kennenzulernen oder? Umso erfreulicher ist es, wenn ein neu gewonnener Bekannter dazu beiträgt, dass eigene Persönlichkeit bereichert wird und auch wenn ich niemals nach neuen Bekanntschaften Ausschau halte, kommt es manchmal vor, dass das Schicksal meinen Lebensweg von interessanten Menschen kreuzen lässt. So war es auch diesmal. Ich kann nicht sagen, warum ich diesen Menschen interessant fand. Vielleicht aus dem Grund, dass ich auf ungewöhnliche Menschen stehe, die ihr Leben nicht nach einem langweiligen Muster bestreiten wie zB Frau/Mann, zwei Kinder, Eigentumswohnung auf Kredit, geleaster VW Passat Variant und fieberhafte Fußball-Diskusionen mit Bierglas in der Hand beim Grillen. Ich mag Menschen, die aus der grauen Masse hervor stechen und auch wenn sie sich nicht unbedingt in den Vordergrund stellen so deutlich sichtbar sind, dass nur ein Blinder an ihnen reaktionslos vorbei laufen würde. Und genau auf eine von diesen, vom Schicksal in Signalfarben bemalten Figuren des großstädtischen Alltags bin ich letztens gestoßen als ich eine der Essener Vorzeigestraßen entlang gelaufen bin. Irgendwo zwischen einem neu erbauten Bürogebäude mit sauber geleckten Marmorfassade und einem Supermarkt saß er da. Bewegungslos, still und vom Aussehen her wie ein Fremdkörper des mit Boutiquen und Juwelieren geschmückten Viertels…der Penner. Bevor ich gleich von politisch korrekten „Glücklichmachern“ angespuckt werde, die aus dem Penner sofort einen Obdachlosen machen, eile ich mit folgender Erklärung zuvor: er nennt sich selbst ein Penner und hat nach eigenen Angaben eine Wohnung! Anders als die meisten seiner Artgenossen, die mit Pulle Bier in der Hand und einem verwahrlosten Hund die Bahnhöfe oder Parks okkupieren, geht er niemandem auf dem Sack. Er versucht keine Straßenzeitung unterzujubbeln oder mit erfundenen Märchen (mir fehlen 2,90 EUR für einen Bahnticket nach Berlin um sterbende Mutter zu verabschieden etc) paar Münzen zu entlocken. Seine Methode vom Passanten etwas Kleingeld zu bekommen ist friedlich und effizient zugleich, denn er sitzt nur da, lächelt vorbei laufende Menschen an und punktet mit seinem ehrlichen Gesicht in dem man erkennen kann, das Schicksal meint nicht unbedingt gut mit ihm. Als ich ihn zum ersten Mal sah, schaute er mich an und nickte mit dem Kopf als wollte er mich begrüßen. Ich nickte zurück, ging weiterhin meinen Weg und müsste ihn eigentlich wieder vergessen, doch Erinnerung an sein Gesicht voller Geschichten haftete auf unerklärliche Weise noch etwas länger vor meinen Augen. Einen Tag später sah ich ihn wieder. Diesmal hielt der Augenkontakt etwas länger als bei der ersten Begegnung und er bewegte sich sogar dazu ein freundliches Hallo über seine Lippen zu bringen. Hallo zurück und wieder verschwand ich in der Menschenmenge mit der Frage im Kopf, was sei an diesem Mann so interessant, dass ich Lust habe mich zu ihm zu setzten und seine Geschichte zu hören. Da ich in dieser Gegend sehr oft zu tun habe, begegneten wir uns immer wieder bis ich eines Tages beim Vorbeilaufen meine Hand in seine Richtung streckte! Er hob seine Augen, schaute mich an und…ja…zum ersten Mal im meinem Leben begrüßte ich einen Penner mit Handschlag! Unsere Gespräche wurden länger. Wie geht’s, warum so spät heute und wo warst du gestern. Er verlangte nie nach Geld, ich warf nie etwas in seinen Becher und plötzlich, eines Tages, fragte er mich ob ich ihm etwas Geld leihen könnte, weil der Tag „umsatzmässig“ miserabel war und er sich langsam den Kopf macht ob sein Abendessen vielleicht etwas anderes beinhalten wird als nur Brot und etwas Orangensaft. Er sagte LEIHEN…dass ich nicht umgekippt bin, grenzt an ein Wunder! Ich überreichte ihm einen Zehner, sagte ihm, er braucht es mir nicht wieder geben doch er bestand darauf, dass es sich dabei nur im Leihgabe handelt und versprach mir, diese Schuld am nächsten Tag zu tilgen. Seine Einstellung machte mich neugierig und um ehrlich zu sein wäre ich sehr enttäuscht wenn er das gegebene Wort brechen würde! Der Zehner wäre mir egal, ich wollte ihm das Geld ja eh schenken aber einen Menschen vor sich zu haben, der zu seinem Wort steht ist eine Freude und in diesen Genuss wollte ich unbedingt kommen. Am Tag darauf schrieb er Geschichte…als er mir paar Münzen in die Hand drückte, spürte ich wie enorm der Wert dieses Geldes gestiegen ist. Mir wurde augenblicklich klar, ich will es nicht haben! Ich hätte damit vielleicht eine dämliche Zeitung oder Schachtel Zigaretten gekauft und dafür mit purem Gold zu bezahlen wäre eine ungeheure Verschwendung! Ich warf die Münzen wieder in seinen ramponierten Becher ein und es klang wie Musik als sie aufeinander schlugen! Wie ein Lied von Stolz und Ehre und davon hat der Mann mehr als genug…mein Kumpel…der Penner.